SARS-CoV-2 ist ein Virus, das über die Schleimhaut der Nase und des Nasenrachens in den Körper dringt, nicht über Haut- oder Blutkontakt. Was liegt näher, als die Bekämpfung direkt auf der Schleimhaut zu beginnen?
Das Coronavirus ist keine "Erfindung" aus Wuhan. Der erste Bericht über ein humanes Coronavirus stammt aus dem Jahr 1965: Tyrrell und Bynoe hatten ein Virus aus der Nasenspülung eines Kindes mit typischen Symptomen und Anzeichen einer Erkältung isoliert [1]. 1968 wurde es in der Zeitschrift Nature erstmals als "Corona"-Virus bezeichnet und damit gleich eine ganz neue Gruppe von Viren charakterisiert: "Es gibt auch einen charakteristischen 'Saum' von 200 Å langen Vorsprüngen, die abgerundet oder blütenblattförmig sind und nicht scharf oder spitz wie bei den Myxoviren. Dieses Aussehen, das an die Sonnenkorona erinnert, wird mit dem Maushepatitis-Virus und mehreren kürzlich beim Menschen wiedergefundenen Viren geteilt, nämlich dem Stamm B814, 229E und mehreren anderen." [2]
Die Vorsprünge, die dem Virus sein charakteristisches Aussehen verleihen, werden korrekt "Peplomere" genannt und nicht "Spikes", wie oft zu lesen. Peplomere sind an ihren Enden aufgetrieben und nicht spitz, wie die Bezeichnung "Spike" vermuten lässt.
Aufgebaut sind Peplomere aus viralen Membranproteinen, die mit einer Proteindomäne in der Lipidmembran verankert sind. Eine weitere Domäne ragt nach außen und vermittelt die Bindung an die Oberflächenrezeptoren der Zielzelle - und damit den Eintritt des Virus in die Zelle. Auch die äußeren Epitope der Peplomere definieren die serologischen Eigenschaften des Virus und die Interaktion mit Antikörpern des Wirtes.
1980 stand bereits fest, dass neben alleinigem Fieber auch Lungenentzündungen, neurologische Symptome, eine Perimyokarditis und andere schwere Erkrankungen infolge einer Infektion mit Coronaviren auftreten können [3].
Im Jahr 1994 schrieb Myint [4]: "Es wird allgemein angenommen, dass Erkältungsviren durch Aerosole übertragen werden, was jedoch umstritten ist. Ein Editorial in Lancet von 1988 fasst die Forschung zu den beiden alternativen Hypothesen zusammen, nämlich der Aerosolübertragung und der direkten Übertragung durch Finger oder Infektionsträger. Für Human Coronavirus HCV-229E wurde auch gezeigt, dass es bei mittlerer bis hoher Luftfeuchtigkeit tagelang in der Luft überleben kann. Es wurde jedoch ebenso nachgewiesen, dass Rhinoviren auf Händen und unbelebten Gegenständen überleben können und somit eine Übertragung auf diese Weise ermöglichen. Es ist wahrscheinlich, dass beide Wege vorkommen können, aber in vivo die Übertragung durch Aerosol die häufigste ist."
Die ursprünglich entdeckte Version hCoV-229e (daneben gibt es noch NL63, OC43, HKU1), hält uns nun in einer modernen Variante in Schach - SARS-CoV-2 (Todesrate 2-3 %), nachdem man im Jahr 1999 SARS-CoV-1 (auch aus China, Todesrate 9,5 %) und 2003 MERS-CoV (Todesrate 35 %) hierzulande nicht allzu ernst nahm [5].
Schon damals lag nahe, was in Vergessenheit geraten zu sein scheint: Viren lassen sich wegwaschen. Das gilt nicht nur für Oberflächen und Hände, sondern auch für die Schleimhäute der Nase und des Nasen-Rachen-Raums. Angesichts einer nicht zu (s)toppenden Pandemie rückt dieses Wissen nun zaghaft wieder in der Fokus.
Was sagt der Rhinologe dazu?
Zu der Frage, welche Rolle Rhinologika bei der Prävention von Virusinfektionen spielen können, wollen wir die Einschätzung von Prof. Dr. med. Gerhard Grevers hören, der ein ausgewiesener Experte und Rhinologe ist1:
Gerhard, Du hast Dich in den frühen Jahren Deiner wissenschaftlichen Laufbahn ausgiebig mit den Nasenschleimhäuten beschäftigt, anatomisch-morphologische sowie transmissions- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen durchgeführt und dich auch darüber habilitiert: Wie können Coronaviren den Menschen über seine Nase infizieren, wo doch eine dicke Schleimschicht vorhanden ist?
Grevers: Die Schleimhautoberfläche des Respirationstrakts ist eine Eintrittsstelle für viele Viren. Allen Atemwegsviren ist gemeinsam, dass sie die physikalische Barriere aus Schleim und Atemflüssigkeit passieren müssen, um die Zelloberfläche zu erreichen. Über 90 % des Virus werden über die Nasenschleimhaut übertragen, einschließlich des okulären Weges, über den Abfluss von Tränen durch den Tränen-Nasengang in die Nasenhaupthöhle. Im Allgemeinen vermehrt sich das Virus im Epithel der oberen Atemwege, bevor es sich nach unten in die Alveolen der Lunge ausbreitet oder über die Blutbahn andere Organe erreicht.
Wie können die Viren in die Nasenschleimhautzellen eindringen?
Grevers: Man weiß mittlerweile, dass der Hauptrezeptor für SARS-CoV-2 das Angiotensin-Converting-Enzyme-2, kurz ACE-2, ist - wie übrigens auch für das Influenza-A-Virus [6]. Studien haben gezeigt, dass das Epithel des Nasopharynx und der Mundschleimhaut stark ACE-2 exprimiert. Es ist aber noch umstritten, ob Patienten, die ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptorblocker einnehmen, mehr oder weniger Covid-19-Infektionen bekommen [7]. Ob sich dieser Ankopplungsmechanismus zur Behandlung ausnutzen lässt, wird derzeit erforscht; sicherlich ist hier eine Achillesferse des Virus zu sehen.
Hat das Virus es einmal geschafft sich anzukoppeln, dringt es in die Zelle ein und benutzt deren Replikationsmechanismus, um sich selbst zu vermehren, bis die Zelle abstirbt. Dabei werden neue Viren freigesetzt, die nun teils über Aerosol-Tröpfchen beim Sprechen oder Niesen zu anderen Menschen gelangen und teils in den Körper eindringen und dort wieder an Zellen in der Lunge und anderen Geweben andocken.
Oft wird vergessen, dass Antikörper erst nach Eindringen des Virus in den Körper ihre volle Wirksamkeit zur Abwehr entfalten können. Zurzeit wird daher vermehrt der Frage nachgegangen, ob es nicht sinnvoll wäre, SARS-CoV-2 in der Nasenschleimhaut abzufangen, bevor das Virus an eine Zelle ankoppeln kann.
Das ist ein faszinierender Ansatz: "Vorbeugen ist besser als heilen", wie schon von Hippokrates überliefert ist. Bedeutet dies, Gerhard - einfach gesprochen -, dass man das Virus einfach von der Schleimhaut "wegspült"?
Grevers: (lacht) Es gibt wissenschaftliche Literatur über den Einsatz von Nasenspülung mit Salzlösung zur Prävention von Infektionen der oberen Atemwege. Schon seit Jahren werden salzhaltige Nasenspülungen als zusätzliche nicht-pharmakologische präventive Strategie zur Reinigung der Nasenhöhlen - und damit Entfernung von Antigenen, Entzündungsmediatoren und Mikroorganismen wie Bakterien und Viren - empfohlen. Nasenspülungen mit Salzlösung können die Viruslast auf den Schleimhäuten reduzieren.
Es gibt aber nur wenige gute Studien in der wissenschaftlichen Literatur. Šlapak und Kollegen zeigten, dass Kinder mit Erkältung, die zusätzlich zur Standardtherapie regelmäßig ihre Nase mit Salzlösung spülten - dreimal täglich für acht Wochen - kürzer nasale Symptome aufwiesen und seltener erneut eine Erkältung entwickelten als Kinder, die nur die Standardtherapie erhielten [8]. Tano und Tano kamen zu dem Schluss, dass eine tägliche Anwendung von Nasenspray mit Kochsalzlösung bei ansonsten gesunden Erwachsenen nasale Erkältungssymptome verhindern kann [9].
Kürzlich führten Ramalingam und Kollegen eine randomisierte, kontrollierte Pilotstudie mit hypertoner Nasenspülung und Gurgeln versus Standardbehandlung bei ansonsten gesunden Erwachsenen innerhalb von 48 Stunden nach Beginn einer Infektion des oberen Respirationstrakts durch [10]. Am Ende der Studie war die Krankheitsdauer in der Interventionsgruppe um 1,9 Tage kürzer (p = 0,01), der Gebrauch von rezeptfreien Medikamenten um 36 % geringer (p = 0,004) und die Übertragung auf Kontaktpersonen um 35 % seltener (p = 0,006) als in der Kontrollgruppe. Die virale Ausscheidung wurde um ≥ 0,5 log10 pro Tag reduziert.
Lassen sich über die Nasenschleimhäute nicht noch andere Behandlungen realisieren? Lassen sich nicht auch Erfahrungen über die lokale Behandlung bei Rhinosinusitis übertragen?
Grevers: Über die Behandlung der Rhinosinusitis, z. B. mit Babyshampoo, ist viel geschmunzelt worden. Doch in einer Studie inaktivierte 1%iges Babyshampoo bei Kontaktzeiten von ein und zwei Minuten mehr als 99 % bzw. mehr als 99,9 % der humanen Coronaviren [11]. Die Studienautoren um Meyers konstatierten: "Nasenspülungen und Mundspülungen, die direkt die wichtigsten Orte der Aufnahme und Übertragung von hCoV behandeln, können einen zusätzlichen Schutz gegen das Virus bieten."
Kürzlich las ich in einer Pressemitteilung über ein schleimhautadhäsives Gel, mit dem man das Virus in der nasalen Mukosa aufhalten will. Wie ist das vor dem Hintergrund deiner Forschungsarbeiten über die Nasenschleimhaut zu beurteilen?
Grevers: Schon vor Jahren wurde der Einsatz von Nasensalbe bei Pollenallergikern propagiert, um die Pollenkonzentration auf der Nasenschleimhaut zu reduzieren - genauso wie der Einsatz von Vaseline, die zu horrenden Preisen und mit klingendem Namen als "das" Pollenallergiemittel angepriesen wurde. Viren sind aber viel, viel kleiner als Pollen und vermehren sich in der Zelle, wenn sie an diese andocken können. Deshalb sind die beiden Szenarien überhaupt nicht vergleichbar.
Die angesprochenen Medizinprodukte aus Hydroxypropylmethylcellulose setzen aber auf einen ähnlichen Effekt, indem sie sich zwischen Schleimoberfläche und Zelle schieben und so eine Barriere formen wollen. Das ist allerdings alles erst im Labor ansatzweise erforscht, genauso wie Carrageen, ein Polysaccharid, das ebenso als Verdicker und Stabilisator in der Nahrungsmittelproduktion eingesetzt wird und antivirale Eigenschaften haben soll [12]. Es wurde auch schon vor der Pandemie als Nasenspray bei Rhinitis eingesetzt [13].
Im Prinzip also vielversprechende Ansätze, die offensichtlich hinter dem Hype der Impfung verschwinden. Die Impfung stimuliert eine systemische Immunantwort, doch das Virus vermehrt sich zunächst in der Nasenschleimhaut, dem Ort des ersten Kontaktes. Ist das nicht auch ein Ansatz zur Behandlung?
Grevers: Eine Immunantwort in den Schleimhäuten unterscheidet sich - wie wir aus der Allergieforschung wissen - von der Immunantwort im Blut. Eine Tetanus-Schutzimpfung gegen Viren, die direkt in die Blutbahn gelangen, ist daher sehr wirksam. Beinahe 100 % der Geimpften bilden Antikörper, die im Blut zirkulieren. Der Infektionsweg und das Ansprechverhalten nach Immunisierung sind bei SARS-CoV-2 aber anders.
In China wird schon an einem Nasenspray-Impfstoff gearbeitet, was nicht so einfach ist, da Enzyme in der Nasenschleimhaut solche Impfstoffe prinzipiell abbauen können.
Lieber Gerhard, ein wirklich umfassender Ausblick aus rhinologischer Sicht auf SARS-CoV-2 und die faszinierenden Möglichkeiten, das Virus noch vor der eigentlichen Infektion in der Nasenschleimhaut abzufangen. Vielen Dank für das Gespräch!
Fazit:
Angesichts der vielfältigen Folgen der Pandemie erscheint es sinnvoll, alle Wege in Betracht zu ziehen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 verhindern oder abschwächen können. Rhinologika können einen zusätzlichen Weg zur Überwindung der Infektionswelle bieten und sollten daher weiter und besser beforscht werden. Schon allein eine reduzierte Viruslast in der Nase wäre ein entscheidender Schritt gegen das Virus, bevor blutgebundene, durch Impfung stimulierte Antikörper ihre Abwehraufgabe aufnehmen können.
Prof. Dr. med. Olaf Michel.
Afdelingshoofd dienst KNO, Universitair Ziekenhuis - Vrije Universiteit Brussel UZ-VUB Laarbeeklaan 101, B-1090 Brüssel
E-Mail: OMichel@uzbrussel.be
1 Anmerkung in eigener Sache: Ich kenne und schätze ihn schon länger, daher darf ich auch duzen.
Contributor Information
Olaf Michel, Email: OMichel@uzbrussel.be.
Gerhard Grevers, Email: grevers@gmx.de.
Literatur
- 1.Tyrrell D, Bynoe M. Cultivation of a novel type of common-cold virus in organ cultures. Br Med J. 1965;1:1467 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 2.Tyrrell D et al. Coronaviruses. Nature. 1968; 220:650
- 3.Riski H, Hovi T. Coronavirus infections of man associated with diseases other than the common cold. J Med Virol. 1980;6:259-65 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 4.Myint S. Human coronaviruses: a brief review. Rev Med Virol. 1994;4:35-46
- 5.Guarner J. Three emerging coronaviruses in two decades: the story of SARS, MERS, and now COVID-19. Am J Clin Pathol. 2020; 153:420-1 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 6.Chung SC et al. Association between angiotensin blockade and incidence of influenza in the United Kingdom. N Engl J Med. 2020; 383:397-400 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 7.Wendt R et al. COVID-19: Der Einfluss von Antihypertonika. Dtsch Arztebl. 2020; 117:A-664, B-565
- 8.Šlapak I et al. Efficacy of isotonic nasal wash (seawater) in the treatment and prevention of rhinitis in children. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2008;134:67-74 [DOI] [PubMed]
- 9.Tano L, Tano K. A daily nasal spray with saline prevents symptoms of rhinitis. Acta Otolaryngol. 2004;124:1059-62 [DOI] [PubMed]
- 10.Ramalingam S et al. A pilot, open labelled, randomised controlled trial of hypertonic saline nasal irrigation and gargling for the common cold. Sci Rep. 2019;9:1-11 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 11.Meyers C et al. Lowering the transmission and spread of human coronavirus. J Med Virol. 2021;93:1605-12 [DOI] [PubMed]
- 12.Vega JC et al. Iota carrageenan and xylitol inhibit SARS-CoV-2 in cell culture. bioRxiv. 2020; https://doi.org /10.1101/ 2020.08.19.225854
- 13.Graf C et al. Development of a nasal spray containing xylometazoline hydrochloride and iota-carrageenan for the symptomatic relief of nasal congestion caused by rhinitis and sinusitis. Int J Gen Med. 2018;11:275-83 [DOI] [PMC free article] [PubMed]