Die führungs- und organisationskulturlichen Voraussetzungen sowie die Rahmenbedingungen für die Flexibilisierung der Arbeit und Homeoffice in der Verwaltung werden derzeit noch wenig beleuchtet. Die Studie "Mobiles Arbeiten - Dienstvereinbarungen in der Landesverwaltung" greift diese Aspekte auf und beleuchtet, wie sie die Verwaltungspraxis bei der Strategieentwicklung unterstützen.
An den Dienstvereinbarungen von Behörden zur Telearbeit beziehungsweise zum mobilen Arbeiten lässt sich die Entwicklung zu flexiblen Arbeitszeitmodellen in den vergangenen 20 Jahren gut ablesen. Eine Analyse von 15 Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen (Eckert, 2020a) belegt: Es zeichnet sich der Trend ab, Beschäftigten mobile Arbeit möglichst niedrigschwellig, anlasslos und in einem Umfang von mindestens 50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit anzubieten. Viele der jüngeren Ansätze verbinden mit der Flexibilisierung von Arbeit zudem ein modernes Personalmanagement in einer veränderten Arbeits- und Organisationskultur. Vertrauen, Arbeitszufriedenheit und Eigenverantwortung stehen dabei im Vordergrund. Als Gründe für die Etablierung mobiler Arbeit werden außerdem ökologische Ziele, ökonomische Einsparungen (zum Beispiel durch Desksharing) und demografische Aspekte angeführt, die auf veränderte Werte und Haltungen zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ansprechen.
Während bei der klassischen Telearbeit an festen Tagen die Berechtigung mancherorts noch durch aufwendige Verfahren nachgewiesen werden muss, setzen flexible Modelle auf flach angelegte organisatorische und Führungsprozesse. Das Arbeiten im Homeoffice wird beispielsweise zeitnah auf direktem Weg zwischen Beschäftigten und der/dem direkten Vorgesetzten, im besten Fall unter Einbindung der Teaminteressen, ausgehandelt. Auch Führungskräfte werden weitgehend als Nutzerinnen und Nutzer mobiler Arbeit einbezogen. Mehr noch: Sie haben eine Art Botschafterfunktion. Indem Führungskräfte selbst mobil arbeiten, unterstreichen sie das Commitment der Behörde für gesundes Arbeiten, Führen und Transparenz. Das Image als fortschrittliche/r Vorgesetzte/r ist Behörden wichtig. Sie signalisieren: Die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen bei uns im Vordergrund.
Die Grundidee ähnelt dem, was sich im privaten Sektor als Megatrend abzeichnet und "New Work" genannt wird. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass die Verwendung digitaler Technik das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Arbeiten von Beschäftigten stärkt und sich dadurch die (intrinsische) Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Produktivität und letztlich die Identifikation mit dem Arbeitgeber steigern lassen. Bei zunehmendem Wegfall von Work-Life-Konflikten, die häufig Folge ungünstiger Rahmenbedingungen sind, zum Beispiel Anfahrt zur Dienststelle (DAK, 2020) oder eine ineffiziente Besprechungsdichte, wird Stress reduziert und Arbeit ganzheitlicher gelebt.
Von der operativen zur organisationskulturlichen Perspektive
In Dienstvereinbarungen werden in der Regel das "Warum" (Ziele und Vorteile), das "Wann" (feste Tage, einzelne, kurzfristig in Anspruch genommene, mobile Tage) und das "Wie viel" (Anteil mobiler Arbeit an der Wochenarbeitszeit) sowie Antrags- und Genehmigungsverfahren beschrieben. Zu den "Must-haves" gehören die rechtlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel zum Arbeitsschutz, Nachteilsverbot, zu den Befugnissen der Personalvertretung und zur Datensicherheit, die sich in Dienstvereinbarungen überwiegend gleichen.
Die Bedeutung für die Organisationsentwicklung und die Konsequenzen für das zugrunde liegende Führungsverständnis werden, wenn überhaupt, bisher häufig nur in Präambeln gestreift. Das heißt: Mobiles Arbeiten wird bisher vorwiegend aus einem operativen Blickwinkel betrachtet. Gerade mit den organisationsstrategischen und -kulturlichen Aspekten wird man sich jedoch in Zukunft intensiver beschäftigen müssen. Auch der Entwicklung individueller Potenziale von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften und den Auswirkungen mobiler Arbeit auf Gesundheit und Zusammenarbeit muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass mobile Arbeit ihre volle Produktivität dann erreicht, wenn Teams echte Kollaboration praktizieren. Sie halten mobiles Arbeiten für unverträglich mit stark auf hierarchische Koordination und Kontrolle setzenden Unternehmenskulturen. Boos et al. (2017) stellen fest, dass die Vorteile und Potenziale räumlich verteilter Zusammenarbeit nicht erschlossen werden, wenn die auf Kooperation und Eigenverantwortung setzende Basis für Zusammenarbeit und Führung nicht angemessen gestaltet wird.
Covid-19 hat Erfahrungen beschleunigt - es gibt kein Zurück
Die öffentliche Verwaltung holt bei mobiler Arbeit, insbesondere vor dem Hintergrund der Covid-19-Erfahrungen, bisher überwiegend quantitativ Rückstände auf. 72 Prozent der Befragten aus der Verwaltung berichten in der DAK-Studie aus dem Jahr 2020 über eine enorme Ausweitung während der Corona-Zeit. Die Akzeptanz ist gestiegen, die digitale Zusammenarbeit wurde intensiviert (DeFilippis et al., 2020). In einer Mitarbeiterbefragung in fünf Landesbehörden Nordrhein-Westfalens (Eckert, 2021) wurden Beschäftigte nach ihren Erfahrungen im Homeoffice während der ersten Covid-19-Welle befragt. Das Ergebnis: Beschäftigte schöpfen die neu entstandenen Kapazitäten dankbar aus und wünschen sich Erweiterung. Dabei gehen die Vorstellungen dahin, drei Tage und mehr pro Woche im Homeoffice arbeiten zu wollen beziehungsweise zu können - zwei Drittel der untersuchten Dienstvereinbarungen der NRW-Landesbehörden sehen zurzeit 50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit für Tele- oder mobile Arbeit vor, 28 Prozent der Behörden liegen darunter. 87 Prozent der über 1.500 Befragten wollen mindestens genauso viel wie bisher oder häufiger (52,6 Prozent) mobil arbeiten. Sogar diejenigen, die vor der Pandemie keine Erfahrungen mit dem Arbeiten im Homeoffice sammeln konnten, denken über zwei bis drei Tage pro Woche, Erfahrene über drei und mehr Tage nach. 88 Prozent halten es für wünschenswert, wenn ihre Behörde mobiles Arbeiten ausweitet und über 70 Prozent geben an, in ihrer Behörde hätte sich die Akzeptanz gegenüber mobiler Arbeit erhöht. 86 Prozent der Befragten halten es für sinnvoll, dass Führungskräfte einbezogen werden. Der Anteil der mobil arbeitenden Führungskräfte lag vor der Covid-19-Pandemie in den 15 Landesbehörden bei durchschnittlich 18,5 Prozent.
Neue Risiken des mobilen Arbeitens
Man sollte bei allem Optimismus jedoch nicht zu blauäugig sein, denn es gibt Baustellen: Mobiles Arbeiten birgt Risiken, die es frühzeitig zu bearbeiten, am besten präventiv zu verhindern gilt. Hierzu gehören
die Destabilisierung der Teambindung und die damit entfallende soziale und emotionale Entlastung durch Kolleginnen und Kollegen,
die sich reduzierende Identifikation mit dem Großen und Ganzen und die Belastungen, die sich aus anderen, bisher noch wenig beleuchteten Faktoren ergeben: Erreichbarkeitsdruck, soziale Isolation, Doppelbelastung im häuslichen Umfeld oder ein unzureichendes Selbstmanagement.
Es ist nicht verwunderlich, dass sich von den Befragten obiger Studie über 60 Prozent wünschen, ihre Behörde würde die Umstellung auf das Arbeiten im Homeoffice intensiver durch Informationen, Fortbildung oder Online-Impulse begleiten.
Von Nachteil ist auch, dass defizitäres Führungsverhalten durch die häufig bilateral stattfindenden Kontakte mit Mitarbeitenden viel später auffällig werden kann als unter Präsenzbedingungen. Der informelle Austausch zwischen Betroffenen begünstigt Aufdeckung. Professionelle digitale Führung überträgt Arbeit und Aufgaben zudem aus sozialen und qualitätsrelevanten Gründen nicht nur punktuell und sternförmig auf Einzelpersonen. Beschäftigte müssen befähigt werden, digital genauso zusammenzuarbeiten und zusammenzukommen, wie sie es in der Präsenzzeit gewohnt sind. Nur dann lassen sich Synergien so effizient nutzen, dass die Arbeitsergebnisse die Qualität der Präsenzarbeit erreichen oder diese sogar übertreffen. Dafür ist es zwingend notwendig, die passenden digitalen Tools, adäquate soziale Rahmenbedingungen (auch architektonische bei Einsparung von Dienstarbeitsplätzen) sowie ein ganzheitliches Führungshandeln zu etablieren. Führungskräfte haben bei all dem eine Schlüsselfunktion. Die oben genannte Mitarbeiterbefragung ergab: Sind Führungskräfte auf die Anforderungen der mobilen Arbeit nicht gut genug vorbereitet, hat das negative Auswirkungen auf die Gesundheit, die Wahrnehmung von Belastung, den Teamzusammenhalt und das Leistungsniveau (Eckert, 2021).
Das bedeutet, die digitale Ausstattung und die digitalen Kompetenzen als Voraussetzung für flexible Arbeitszeitmodelle sind nicht alles. Wirklich fortschrittlich lassen sich das Instrument "mobiles Arbeiten" und die dazugehörigen Dienstvereinbarungen in der Verwaltung nutzen, wenn man in den Phasen nach Corona Strategien um digitale, soziale, aufgaben-, gesundheits- und führungsbezogene Aspekte anreichert. Der erfolgreiche Weg führt über ein bewusstes "Out-of-the-box-Denken" (Eckert, 2020b), bei dem die Erweiterung der Spielräume, aber auch soziale Konstanz und Verbindlichkeit im Mittelpunkt stehen sollten. Dienstvereinbarungen sind Voraussetzung für eine zukunftsfähige Gestaltung der Arbeitsbedingungen im digitalen Zeitalter. Mit ihrer Formulierung befinden sich Dienststellen nicht am Ende, sondern am Anfang eines Prozesses, der die Organisation nachhaltig verändern wird.
Literatur
Boos, M., Hardwig, T., Riethmüller, M. (2017): Führung und Zusammenarbeit in verteilten Teams, Göttingen.
DAK-Gesundheit (2020): Digitalisierung und Homeoffice in der Corona-Krise, Sonderanalyse zur Situation in der Arbeitswelt vor und während der Pandemie, https://bit.ly/3j4dRnd (Abruf: 10.08.2020).
DeFilippis, E., Impink, S. M., Singell, M., Polzer, J. T., Sadun, R. (2020): Collaborating during corona virus: The impact of Covid-19 on the nature of work, Working paper, Massachusetts, National Bureau of Economic Research, http://www.nber.org/papers/w27612.
Eckert, M. (2020a): Mobiles Arbeiten - Dienstvereinbarungen in der Landesverwaltung, www.viwa.nrw
Eckert, M. (2020b): Welche Führung braucht Verwaltung zur Bewältigung einer komplexen Zukunft?, in: Beck, J., Stember, J. (Hrsg.): Der demographische Wandel, Baden-Baden, S. 227-245.
Eckert, M. (2021): Homeoffice unter Pandemiebedingungen - Erfahrungen, Folgen und Konsequenzen in der und für die Landesverwaltung, Abschlussbericht. Institut Verwaltung im Wandel, Witten.
Kompakt.
Behördliche Dienstvereinbarungen zum mobilen Arbeiten behandeln aktuell überwiegend operative Aspekte. Führungs- und organisationskulturliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen werden noch zu wenig beleuchtet.
Die durch die Covid-19-Pandemie initiierte Ausweitung von mobiler Arbeit in Verwaltungen lässt sich nicht zurückdrehen. Wünsche und Forderungen entwickeln sich eindeutig in Richtung Ausweitung.
Um zukunftsfähige Voraussetzungen zu schaffen, wird ein "Out-of-the-box-Denken" benötigt, das in Anlehnung an "New-Work-Konzeptionen" Selbstständigkeit und Eigenverantwortung fördert und eine Abkehr von dysfunktionaler, hierarchischer Führung ermöglicht.
Ein bewusstes Risikomanagement ist notwendig, das sich der Prävention und Bearbeitung von Einflussfaktoren widmet, die bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit erhielten: zum Beispiel Entgrenzungsdruck, Isolation und ein unangemessenes Selbstmanagement.
Springer Professional.
Homeoffice
Landes, M. et al. (2021) Wechsel ins Homeoffice - Umgang mit Veränderung, in: Erfolgreich und gesund im Homeoffice arbeiten, Wiesbaden, S. 5-8, www.springerprofessional.de/link/18674152
Dechow, M. (2020): Projekte aus dem Homeoffice managen, in: innovative Verwaltung, 12, S. 34-37, www.springerprofessional.de/link/18683266
Prof. Dr. Martina Eckert
ist Professorin für Psychologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW und Vorsitzende des Instituts ViWa e. V. (Verwaltung im Wandel). Sie beschäftigt sich seit 2005 in der Forschung und Fortbildung intensiv mit dem Thema Verwaltungskultur und berät unter anderem Ministerien und Landesbehörden.