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. 2021 May 25;23(5):15. [Article in German] doi: 10.1007/s15005-021-1939-z

Parkinson, Alzheimer und MS in Coronazeiten

Detlef Wietelmann 1,
PMCID: PMC8117795

Fragestellung: Demaskiert oder triggert COVID-19 aufgrund von Gemeinsamkeiten in der Neuropathogenese ausgewählte neurodegenerative Erkrankungen?

Hintergrund: Viele Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen (NDD) und Komorbiditäten beziehungsweise immunsuppressiver Therapie sind von COVID-19 betroffen. Insbesondere ältere Patienten mit Komorbiditäten haben ein erhöhtes Risiko für einen schlechteren Outcome. Eine Hypothese ist, dass COVID-19 die Immunantwort und Entzündungsreaktion dysreguliert und so das Auftreten oder Fortschreiten von NDD fördert.

Patienten und Methodik: Der systematische Review von 66 Arbeiten, die von Januar bis September 2020 publiziert worden waren, analysierte Patienten, die an COVID-19 erkrankten und eine der unten genannten NDD aufwiesen oder im Rahmen von COVID-19 entwickelten.

Ergebnisse: Für Patienten mit Demenzen wurde ein erhöhtes Risiko für Hospitalisierung und Tod gefunden. Sie weisen eine oder mehrere Hochrisikofaktoren auf, die signifikant zu einer schlechten Prognose beitragen. Zusätzliche Faktoren für eine Verschlechterung der neuropsychiatrischen Symptome auch ohne Coronakontakt sind Isolation, psychosoziale Stressoren und unzureichende Pflege. Eine Rolle spielen Entzündungsmediatoren, die auch bei COVID-19 bedeutsam sind. Diskutiert wird, dass COVID-19 über proinflammatorische Zyto- und Chemokine die Freisetzung von Aβ42 fördert. Unbekannt ist, ob COVID-19 den Beginn einer Demenz triggern kann.

Für Parkinson-Patienten wurde ein erhöhes Risiko für eine Verschlechterung motorischer Symptome im Rahmen von COVID-19 gefunden. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass durch vermehrte Freisetzung von α-Synuklein im Rahmen von COVID-19 die motorische Parkinson-Symptomatik verschlechtert werden könnte. Eine weitere Parallele sei die Anosmie, die sowohl beim Morbus Parkinson als auch bei der SARS-CoV-2-Infektion auftritt. Unbekannt ist, ob COVID-19 das Risiko einer Parkinson-Erkrankung erhöht.

Für Multiple Sklerose (MS) zeigte sich eine Korrelation zwischen viralen Infektionen und MS-Beginn. Es wurde keine Evidenz dafür gefunden, dass die Immuntherapie im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion mit einem erhöhten Hospitalisierungs- oder Sterberisiko assoziiert ist. Postuliert wird, dass eine SARS-CoV-2-Infektion eine nicht diagnostizierte MS triggern könnte, da die Sekretion proinflammatorischer Zytokine während der viralen Infektion neurotoxische Effekte bewirkt. Über mehrere Fälle demyelinisierender Erkrankungen bei COVID-19 wurde berichtet. Unklar ist, ob eine schubförmige oder progressive MS oder eine monophasische demyelinisierende Erkrankung auftrat.

Schlussfolgerungen: Bei Vorliegen einer Demenz besteht ein hohes Risiko für einen schlechten Outcome durch COVID-19, aber nicht bei Vorliegen von Parkinson oder MS. Neu aufgetretene NDD nach COVID-19 waren selten.

McAlpine LS, Fesharaki-Zadeh A, Spudich S. Coronavirus disease 2019 and neurodegenerative disease: what will the future bring? Curr Opin Psychiatry 2021, 34: 177-85

Kommentar von Detlef Wietelmann, Emmendingen.

Noch überwiegen die Spekulationen über die Daten

Diese systematische Literaturrecherche zeigt ein erhöhtes Risiko für einen schlechteren Outcome bei Demenzpatienten mit COVID-19, aber nicht bei Parkinson- und MS-Patienten. Aus Sicht der Autoren sind die Daten nicht ausreichend, um zu klären, ob durch COVID-19 neurodegenerativen Erkrankungen (NDD) verschlechtert, ausgelöst oder beschleunigt werden. Klar ist das Ergebnis des erhöhten Risikos von Demenzpatienten, das sich mit der klinischen Erfahrung von komorbiden somatischen Erkrankungen im Sinne einer Beschleunigung der kognitiven Defizite deckt. Es sollte bei der jetzigen Datenlage nicht voreilig davon ausgegangen werden, dass Parkinson- und MS-Patienten kein erhöhtes Risiko aufweisen. Beispielhaft sei genannt, dass delirante Syndrome oder organische wahnhafte Störungen beim Parkinson-Patienten z. B. durch Infekte ausgelöst werden können. Einerseits ist die Anzahl der Patientendaten zu gering, andererseits die Beobachtungsdauer unzureichend, um diese Effekte sicher genug beurteilen zu können. Es sollte nach Meinung der Autoren bei allen somatisch vorerkrankten und insbesondere älteren Patienten von einem deutlich erhöhten Risiko für einen schlechteren Outcome bei einer COVID-19-Erkrankung ausgegangen werden. Die Zusammenhänge zwischen COVID-19 und NDD im Sinne gemeinsamer inflammatorischer Prozesse sind kausal weder für Demenzen noch für die Parkinson-Erkrankung oder die MS belegt, stellen aber einen interessanten hypothetischen Aspekt dar. Insgesamt überwiegen noch Spekulationen über die Daten.

Dr. med. Detlef Wietelmann, Emmendingen.

Oberarzt der Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie

Zentrum für Psychiatrie, Emmendingen E-Mail: D.Wietelmann@zfp-emmendingen.de


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