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. 2021 Jun 10;22(3):16–18. [Article in German] doi: 10.1007/s15202-021-4692-8

Long COVID - Langzeitfolgen durch chronische Neuroinflammation?

Thomas Müller 1,
PMCID: PMC8158075

Es trifft nicht nur die Alten und Schwerkranken: Die meisten Patienten mit Long COVID sind relativ jung und haben die Infektion zuhause durchgemacht. Experten vermuten eine chronische Neuroinflammation als Ursache.

Long COVID hat viele Gesichter: Ein 30-jähriger Mann ohne psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte wird eine Woche nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung plötzlich extrem schläfrig, entwickelt Wahnvorstellungen und eine ausgeprägte Paranoia, spricht auf Antipsychotika aber nicht an. Ein 40-jähriger Arzt muss sich sämtliche Aufgaben und Gesprächsinhalte aufschreiben, weil er sonst alles vergisst. Dabei braucht er zwei- bis dreimal so lange wie üblich, um sich Notizen zu machen. Vor der Infektion hat er regelmäßig Brot gebacken, nun kann er dem Rezept nicht mehr folgen. Eine 36-jährige Frau spürt acht Monate nach der SARS-CoV-2-Infektion noch immer ein Kribbeln und Brennen in Torso, Armen und Beinen. Eine 62-jährige Krankenschwester leidet neun Monate nach der Erkrankung unter schweren täglichen Kopfschmerzen und kann deswegen nicht mehr arbeiten. Das sind einige Beispiele von Menschen mit Langzeitfolgen nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion, die Prof. Dr. Serena Spudich von der Yale-Universität in New Heaven auf der virtuellen Tagung der amerikanischen Neurologengesellschaft AAN vorgestellt hat. Solche Patienten würden nun in einer Long-COVID-Studie der Universität genauer untersucht.

Kognitive Defizite und "Brain Fog" am häufigsten

Long COVID könne viele Organsysteme betreffen, manche Menschen klagten über Herz-, andere über Atemprobleme, besonders ausgeprägt und häufig scheinen jedoch neuropsychiatrische Spätfolgen zu sein, erläuterte Spudich. Nach einer Auswertung der Post-COVID-Ambulanz an der neurologischen Klinik der Yale-Universität nannten 60 % von 63 Patienten als Hauptbeschwerden kognitive Beeinträchtigungen, rund die Hälfte hatte neuromuskuläre Beschwerden, ein Drittel litt unter starken Kopfschmerzen, etwa 15 % unter Ängsten und Depressionen, 10 % hatten eine anhaltende schwere Anosmie, ebenso viele gravierende Schlafprobleme.

Spudich verwies auch auf eine internationale Online-Umfrage zu COVID-19-Spätfolgen bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer von mindestens vier Wochen. Das häufigste neuropsychiatrische Symptom war "Nebel im Hirn" (Brain Fog). Dies nannten rund 60 % der knapp 3.800 Teilnehmer, 50 % klagten über Gedächtnisprobleme, 30 % hatten Sprechschwierigkeiten. Rund die Hälfte benannte sensomotorische Probleme, darunter Neuralgien, Tremor, Benommenheit und Balancestörungen. Kopfschmerzen wurden ebenfalls von der Hälfte der Befragten angegeben, Insomnie von etwa 40 % (Abb. 1).

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Das Symptommaximum wurde meist in den ersten vier bis acht Wochen nach der Infektion beobachtet, die Beschwerden gingen dann über sechs Monate hinweg nur langsam bis gar nicht zurück, lediglich die Anosmieprävalenz sank deutlich [Davis HE et al. MedRxiv preprint. https://doi.org/10.1101/2020.12.24. 20248802].

Spudich verwies jedoch darauf, dass Patienten mit Long COVID nicht unbedingt einen schweren akuten Verlauf gehabt haben müssen: In ihrer Long-COVID-Kohorte hatten zwei Drittel der Betroffenen die akute Infektion zuhause auskuriert, lediglich 19 % waren auf einer Intensivstation. Zudem betrug das Durchschnittsalter 49 Jahre - es sind also nicht nur die Alten und Schwerkranken, die Long COVID entwickeln.

Wie häufig die Long-COVID-Beschwerden auftreten, ist jedoch noch ungewiss: An entsprechenden Umfragen nehmen naturgemäß vor allem betroffene Personen teil, nicht jene Patienten, die COVID-19 ohne Spätfolgen auskuriert haben.

Entzündungsprozesse durch mikrovaskuläre Schäden

Auch über die Ursachen der neuropsychiatrischen Beschwerden können Ärzte häufig nur spekulieren. Spudich geht nicht von einer direkten viralen Schädigung der Nervenzellen aus, vielmehr könnten inflammatorische Prozesse der gemeinsame Nenner sein. Das Virus schädige das Gefäßendothel und die Bluthirnschranke.

Die Expertin verwies auf Autopsieberichte von 18 Patienten, in denen ein deutlicher Fibrinogen-Austritt aus kleinen Hirngefäßen beobachtet wurde. Forscher fanden zudem perivaskuläre Makrophagen um solche Gefäße, aber kein Virus im Gehirn. All dies deute auf mikrovaskuläre Schäden in der Akutphase hin, und diese könnten chronische Entzündungsprozesse triggern.

Andere Wissenschaftler sahen in einer Untersuchung bei Krebspatienten mit überstandenem COVID-19 erhöhte Werte von Entzündungsmarkern im Liquor, nicht aber bei solchen ohne COVID-19. Schließlich gelang es einer Arbeitsgruppe, bei 45 Patienten mit persistierenden Symptomen drei Monate nach der Infektion im FDG-PET in bestimmten Hirnarealen einen Hypometabolismus nachzuweisen. Dieser korrelierte deutlich mit der Art und Ausprägung der Symptome, die Forscher fanden die Veränderungen also in Arealen, die an der Entstehung der Symptome beteiligt sein könnten.

Die entscheidende Frage ist nun natürlich, was den Hypometabolismus verursacht. Inzwischen, so Spudich, gibt es international eine ganze Reihe von Studien, die über neuropsychiatrische Assessments, Bildgebung sowie regelmäßige Blut- und Liquormarkertests solche Geheimnisse lüften wollen.

Bei dem 30-jährigen Mann mit der Psychose konnten die Ärzte die Ursache bereits klären: Sie fanden einen neuartigen Autoantikörper und gehen von einer Autoimmunpsychose aus.

Virtual 73rd Annual Meeting of the American Academy of Neurology (AAN), Hot Topics: Neuro-COVID Plenary Session, 17.4.2021

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