Die Öffnung stationärer Altenhilfeeinrichtungen in das Gemeinwesen wurde bereits in den 1980er-Jahren gefordert. Sie soll die Exklusion von Heimbewohner*innen verhindern, eine Kultur der Unterstützung im Gemeinwesen befördern und zugleich Heime als Orte der Begegnung und Versorgung für das Gemeinwesen erschließen [4]. Auch neuere Konzepte knüpfen daran an. Bleck et al. [1] unterscheiden Ansätze der Öffnung der Heime für und die Öffnung zum bzw. in den Sozialraum. Bei der ersten Variante geht es v. a. um die Nutzung von Angeboten und Räumen einer Pflegeeinrichtung durch die Bürgerschaft oder Vereine, Gremien, Netzwerke etc. aus dem Sozialraum. Bei der zweiten Variante liegt der Fokus auf der Bewohnerschaft des Pflegeheims und deren Unterstützung im Hinblick auf die Teilhabe. Vor diesem Hintergrund wurden im letzten Jahrzehnt Ansätze der Heimöffnung gestärkt sowie in ihren Zielsetzungen und Ansatzpunkten weiter ausdifferenziert:
Zu nennen ist zum einen die altenpolitisch forcierte „Quartiersentwicklung“ als Querschnittsaufgabe zur Neuausrichtung der Altenhilfe und -pflege (z. B. Masterplan Altengerechte Quartiere.NRW), die sich in zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten in der Sozialen Gerontologie und Altenarbeit spiegelt. Vor Ort beteiligten sich stationäre Pflegeanbieter zunehmend als (Mit‑)Verantwortliche für eine gelingende Versorgung und Teilhabe alter und pflegebedürftiger Menschen im Quartier. Hier stellt sich u. a. die Frage, inwiefern Pflegeheime trotz ihrer Prägung als Exklusionsinstanz zu einem inklusiven Gemeinwesen beitragen können.
Zum anderen rückte der Ausbau sektorenübergreifender Versorgungsmodelle zusehends auf die gesundheitspolitische Agenda (z. B. Bund-Länder-Arbeitsgruppe Sektorenübergreifende Versorgung). Er ist insbesondere für die Langzeitversorgung wichtig, um auf das komplexe Problem „Pflegebedürftigkeit“ angemessen reagieren zu können. Stationäre Pflegeanbieter haben bereits begonnen, ihre Angebote auch für Menschen, die in eigener Häuslichkeit leben, zugänglich zu machen. Fragen, die hier im Zentrum stehen, sind, inwiefern Versorgungsbrüche zwischen ambulanter und stationärer Pflege abgemildert werden können und inwiefern eine Unterstützung für ältere Menschen im Quartier aus Pflegeheimen heraus (mit)gestaltet werden kann.
Einhergehend mit diesen Impulsen war ein zunehmender politischer Wille zu beobachten, die Weiterentwicklung stationärer Pflegeeinrichtungen zu fördern. In verschiedenen Bundesländern wurden Modellprojekte auf den Weg gebracht, die neben der Praxisentwicklung auch die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation ermöglichten. Sich wissenschaftlich mit den möglichen Beiträgen stationärer Pflegeeinrichtungen für die Versorgung und Teilhabe im Quartier auseinanderzusetzen, ist erforderlich. Denn, wie angedeutet, werden viele Herausforderungen der Organisation von Pflege berührt, angefangen von der Dienstleistungsorganisation über neue Anforderungen an Mitarbeitende in den Heimen bis hin zu Fragen der Inklusion von Menschen mit Pflegebedarf. Heimöffnung erweist sich u. a. daher als anspruchsvolle Aufgabe, weil entsprechende Initiativen auf eine fehlende Partizipationskultur in den Heimen, eine hohe Vulnerabilität von Personen in Pflegeheimen und ungebrochen starre sektorale Leistungslogiken im Sozial- und Gesundheitswesen treffen [1–3].
Mit der Coronapandemie ist ein Großteil des Engagements zum Stillstand gelangt. Pflegeheime waren in den letzten Monaten gegenüber ihren Sozialräumen wohl abgeschlossener denn je. Mitarbeitende werden auch in den kommenden Monaten mit Anpassungen an die Bedingungen der Pandemie intensiv befasst sein. Etablierte Strukturen und Angebote müssen in „postpandemischen“ Heim(um)welten erst wieder reaktiviert werden; Engagement von Mitarbeitenden wie auch aus dem Gemeinwesen gilt es vielerorts neu zu initiieren und zu entwickeln. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist es wichtig, jetzt (Frühjahr 2021), d. h. in der dritten Welle, über Initiativen und Engagements gezielt nachzudenken, wie ein Leben jenseits der Coronapandemie gestaltet werden kann. Denn jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür, dass sich Heime in der Frage der Quartiersöffnung vorbereitend neu aufstellen, und dass die Potenziale der Zivilgesellschaft, v. a. der Kommunen, für diese Entwicklung genutzt werden.
Mit dem Themenschwerpunkt möchten wir Einblicke in empirische Studien, die noch vor COVID-19 durchgeführt werden konnten, geben, wie auch theoretisch-konzeptionelle Bezüge für eine Heimöffnung reflektieren.
In seinem Beitrag untersucht Christian Bleck, inwiefern sozialraum- bzw. quartiersbezogene Handlungsansätze der stationären Altenhilfe Bezüge zu den in der Sozialen Arbeit diskutierten Grundlagen der Sozialraumorientierung beinhalten. Deutlich wird, dass im Unterschied zu einer dezidierten Orientierung von Konzepten der 1980er-Jahre an der gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit die Sozialraumorientierung in den Handlungsansätzen der letzten 10 Jahre nur vage bleibt. Insbesondere fehlen Bezüge, die von den raumbezogene Nutzungsweisen, -ressourcen und -barrieren von Heimbewohner*innen ausgehen. Der Autor betont, dass die Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner*innen in den Konzepten stärker in den Fokus zu rücken sind. Dies könnte zugleich ein wichtiges Ziel für die interprofessionelle Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Pflege darstellen.
Der Beitrag von Gundula Röhnsch, Marcus Heumann, Jonas Vorderwülbecke und Kerstin Hämel basiert auf einer qualitativen Evaluation des Modellprojekts „Pflege stationär – Weiterdenken!“. Die Autor*innen betrachten, inwiefern die Modelleinrichtungen durch Verzahnung offener, teilstationärer und vollstationärer Angebote zur Versorgungskontinuität für ältere Menschen im Quartier beitragen können. Die Studie verdeutlicht, dass Versorgungskontinuität im Quartier maßgeblich vom Aufbau vertrauensvoller Beziehungen der Nutzer*innen zu den Fachkräften abhängig ist. Allerdings verweist die Studie auch darauf, dass Mitarbeitende in Pflegeheimen verstärkt pflegende Angehörige als Koproduzent*innen der Versorgung adressieren sollten.
Ina Hartwig, Milena von Kutzleben, Frank Schulz-Nieswandt und Margareta Halek untersuchen, inwiefern Nutzer*innen ihre Versorgung im Rahmen des Gesamtversorgungskonzepts der Städtischen Seniorenheime Krefeld im Zeitverlauf als stabilisierend erleben. Das Konzept verbindet ein breites Unterstützungsangebot für ältere Menschen im Quartier mit einem Case Management bei komplexeren Bedarfslagen. Es zeigt sich, dass Sichtweisen der Nutzer*innen auf die Versorgung unterschiedlich ausfallen. Die Autor*innen empfehlen auf Basis der Ergebnisse u. a., im Rahmen des Case Management verstärkt Gespräche mit Nutzer*innen und ihren Angehörigen über ihre Bedürfnisse und Wünsche für eine vorausschauende Versorgungsplanung zu nutzen.
In der Zusammenschau war es unser Anliegen, mit dem Schwerpunktheft neuere Entwicklungen und künftige Herausforderungen im Themenfeld exemplarisch aufzuzeigen. Die Beiträge können nur einen Ausschnitt zeigen; weitere Forschungsdesiderata sind unverkennbar. Wir müssen hier einerseits das Innenleben der Heime beobachten, andererseits den Blick in die Außenwelten richten.
Bezogen auf den zuerst genannten Aspekt sollte die Organisationskultur der Heime, d. h. ihre formellen und informellen Praktiken und damit verbundene Sinnstrukturen und Bedeutungshorizonte, stärker akzentuiert werden. Denn die Heime führen in gewisser Weise ein Eigenleben, welches äußere Anforderungen – und dazu gehört auch die Quartiersentwicklung – in für die Organisation typischer Weise dekonstruiert. In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die interprofessionellen Logiken sehr wichtig. Wenn der Pflegebereich, d. h. der für die Organisation dominante Sektor, Quartiersentwicklung, Öffnung und Deinstitutionalisierung nicht auch als seine Aufgabe begreift, dann drohen vorwiegend auf biomedizinische Versorgungslogiken ausgerichtete Expertisen nahezu ausschließlich zur Geltung kommen. Denn diese sind am Ende abrechnungsfähig und werden seitens der Prüfbehörden kontrolliert. Man erkennt hier bereits, dass letztlich die Etablierung einer Lernkultur, verbunden mit Elementen der Organisationsentwicklung, auf die Agenda rücken muss.
Im Hinblick auf die Umwelten der Heime darf nicht verkannt werden, dass Pflegeeinrichtungen nach wie vor seitens der Mehrheitsgesellschaft skeptisch betrachtet werden. Nach wie vor sind erhebliche Restriktionen zu überwinden, um die vorhandenen Potenziale in der Kommune optimal zu nutzen. Denn Quartiersentwicklung ist nicht nur Aufgabe der Heime selbst; die Zivilgesellschaft ist hier gefordert. Es sind Foren, z. B. im Rahmen von „town hall speeches“ zu initiieren, bei denen diese Verantwortung für die Pflege und Versorgung von alten Menschen (in Heimen und darüber hinaus) thematisiert wird. Aber wie gelingt dieser Austauschprozess? Hier ist noch einiges an Forschung zu leisten.
Wenn beide Aspekte – sowohl die Organisationskultur wie auch die Beteiligung der Verantwortlichen in den Quartieren selbst – zusammenkommen, dann (so unsere These) hat die Öffnung der Heime eine echte Chance.
Interessenkonflikt
K. Hämel gibt an, dass sie an der Universität Bielefeld das Projekt Evaluation des Modellvorhabens „Pflege stationär – Weiterdenken!“, gefördert aus Mitteln der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, geleitet hat. H. Brandenburg gibt an, dass er das Projekt „Gut altern in Rheinland-Pfalz“ (GALINDA), gefördert aus Mitteln des Sozial- und Gesundheitsministeriums in Rheinland-Pfalz, geleitet hat.
Contributor Information
Kerstin Hämel, Email: kerstin.haemel@uni-bielefeld.de.
Hermann Brandenburg, Email: hbrandenburg@pthv.de.
Literatur
- 1.Bleck C, van Rießen A, Schlee T. Sozialraumorientierung in der stationären Altenhilfe. Aktuelle Bezüge und zukünftige Potenziale. In: Bleck C, van Rießen A, Knopp R, editors. Alter und Pflege im Sozialraum. Wiesbaden: Springer VS; 2018. pp. 225–247. [Google Scholar]
- 2.Brandenburg H, Loersch L, Bauer J, Ohnesorge B, Grebe C. Organisationskultur und Quartiersöffnung. Neue Perspektiven für die stationäre Langzeitpflege. Heidelberg: Springer; 2021. [Google Scholar]
- 3.Hämel K. Öffnung und Engagement. Altenpflegeheime zwischen staatlicher Regulierung, Wettbewerb und zivilgesellschaftlicher Einbettung. Wiesbaden: Springer VS; 2012. [Google Scholar]
- 4.Hummel K. Das gemeinwesenorientierte Konzept der Altenarbeit. In: Hummel K, Steiner-Hummel I, editors. Wege aus der Zitadelle: gemeinwesenorientierte Konzepte in der Altenpflege. Hannover: Vincentz; 1986. pp. 1–72. [Google Scholar]
