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. 2021 Jul 23;19(4):311–314. [Article in German] doi: 10.1007/s10304-021-00395-6

COVID-19 aus Sicht des gynäkologischen Endokrinologen

COVID-19 from the perspective of a gynecological endocrinologist

Ricardo Felberbaum 1,, Wolfgang Küpker 2
PMCID: PMC8300072  PMID: 34335125

Abstract

Die von SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) ausgelöste infektiöse Atemwegserkrankung COVID-19 („coronavirus disease 2019“) weist in ihrem Verlauf und Schweregrad eine deutliche Abhängigkeit vom Geschlecht der Erkrankten auf. So ist die Inzidenzrate bei Frauen höher als bei Männern, während bei Männern schwere Verlaufsformen erheblich häufiger zu beobachten sind und die Mortalitätsrate bei ihnen signifikant höher ist. Allerdings unterscheiden sich wiederum prämenopausale und postmenopausale Frauen hinsichtlich des Verlaufs. Prämenopausale Frauen müssen seltener hospitalisiert werden und bedürfen seltener maschineller Beatmung. Postmenopausale Frauen, die eine Hormonersatztherapie erhalten, scheinen davon zu profitieren. Ergebnisse der Grundlagenforschung am Mausmodell zeigen, dass die weiblichen Sexualsteroide im Falle der Influenza den Entzündungsverlauf positiv beeinflussen bzw. im Falle von SARS-CoV‑2 die Empfänglichkeit gegenüber dem Virus herabsenken, während Androgene eine Erhöhung der Infektionsrate zur Folge haben. Dies gilt auch für Patientinnen mit polyzystischem Ovarsyndrom. Erste Ergebnisse von Therapiestudie mit Progesteron – wenngleich mit kleinen Patientenzahlen – weisen darauf hin, dass eine Therapie mit diesem Sexualsteroid sich positiv auf den Krankheitsverlauf bei betroffenen Männern auswirken kann. Allerdings zeigt auch die Verteilung der Komplikationen im Zusammenhang mit der Impfung gegen COVID-19 eine deutliche Geschlechterdifferenz, hier mit einem höheren relativen Risiko für jüngere Frauen.

Schlüsselwörter: SARS-CoV‑2, Geschlecht, Sexualhormone, Krankheitsverlauf, Hormontherapie

Einleitung

Die COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie stellt ein historisches Ereignis ungeahnten Ausmaßes dar, nur vergleichbar mit dem desaströsen Verlauf der Spanischen Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts [1]. Ebenso wichtig wie die schnelle Entwicklung von wirksamen Impfsubstanzen war dabei von Anfang an die Suche nach möglichen therapeutischen Ansätzen, die sich aus dem Verlauf dieser schweren infektiösen Atemwegserkrankung ergaben. Während das Virus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) im Dezember 2019 zunächst nur in der Region von Wuhan, Volkrepublik China, auftauchte, entwickelte sich seit März 2020 die Pandemie mit ihren weltweiten Folgen. Sehr schnell wurde offensichtlich, dass die durch das Virus verursachte Krankheit COVID-19 eine auffällige Geschlechtsabhängigkeit hinsichtlich Schwere und Verlauf aufweist. Das Risiko eines schweren Verlaufs und auch das Risiko, an der Krankheit zu versterben, sind eindeutig erhöht bei älteren Menschen v. a. männlichen Geschlechts. Eine aus endokrinologischer Sicht sich anbietende Erklärung dieser Unterschiede war der unterschiedliche hormonelle Hintergrund bei Mann und Frau, vor dem sich das Infektions- und Krankheitsgeschehen abspielt. Es ist seit Längerem bekannt, dass die höheren Östrogen- und Progesteronspiegel bei der Frau in der fertilen Lebensphase eine robustere Immunantwort auf virale Infektionen zur Folge haben, als dies bei Männern oder postmenopausalen Frauen der Fall ist [2]. Es stellt sich also die Frage, ob hier bezüglich der Erkrankung und ihres Verlaufs ein Ansatz zu effektiver Prophylaxe und Therapie bestehen kann.

Epidemiologische Daten

Von Beginn der Pandemie an beobachteten Kliniker und Epidemiologen weltweit die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei COVID-19 hinsichtlich Schwere, Verlauf und Mortalitätsrisiko. Während die Infektionsraten zwischen Mann und Frau sich nur marginal unterscheiden, liegt die Mortalitätsrate der schwer erkrankten Frauen bei nur 18,3 %, während sie bei Männern einen Wert von fast 60 % erreicht [3]! Nicht überraschend spiegeln sich diese Werte auch in der Intensivpflichtigkeit der Erkrankten wider. So mussten 74 % aller erkrankten Männer in Norwegen auf einer Intensivstation behandelt werden, während dies nur bei 26 % der betroffenen Frauen der Fall war [3]. Bei Frauen mit schwerem Verlauf konnte in 60 % der Fälle ein erhöhter Testosteronspiegel gemessen werden. Dieser Testosteronspiegel wiederum korrelierte mit einer Erhöhung proinflammatorischer Zytokine [4]. Ein besonderer Verlauf wurde bei schwangeren infizierten Frauen beobachtet. So konnte bei einigen bis zur Geburt keine Symptomatik beobachtet werden, während es postpartal teilweise zu schweren Verläufen kam. Dies wiederum erscheint aus endokrinologischer Sicht durch den „Hormonsturz“ postpartal erklärlich [5]. Insgesamt muss aber bei Schwangeren von einem höheren Risiko für einen schwereren Verlauf ausgegangen werden, mit einem besonderen Augenmerk auf den postpartalen Verlauf.

Ergebnisse der Grundlagenforschung

Bei Virusinfektionen und insbesondere bei COVID-19 kann eine überbordende Immunreaktion einsetzen, die auch alarmierend als Zytokinsturm bezeichnet wird [6]. An der Spitze dieser fatalen Kaskade stehen hier hohe Aktivitäten von Interleukin(IL)-6, IL-1β und Makrophagen. Im Gefolge einer solchen Virusinfektion wird das gesamte Immunsystem aktiviert, um die Pathogene auszuschalten. Sexualsteroide beeinflussen und verstärken dabei die Immunabwehr und sind in der Lage, diesen Support über eine spezifische Rezeptorbindung an den Immunzellen und an lymphoidem Gewebe auszuüben. Im Falle von COVID-19 ist in erster Linie die angeborene Immunabwehr gefordert. Monozyten, Makrophagen, dendritische Zellen, Granulozyten und natürliche Killerzellen (NK-Zellen) werden hochaktiv. Wenn diese immunogenetischen Maßnahmen nicht ausreichen, die virale Infektion zu neutralisieren, wird das adaptive, erworbene System aktiviert. B‑ und T‑Zellen exprimieren und präsentieren Antigenrezeptoren, um das pathogene Antigen zu erkennen und zu eliminieren [3].

Die Bindung von Sexualsteroiden an den immungenetischen Zellen setzt eine Reihe von Signalwegen in Gang, z. B. c‑Jun, NF-κB („nuclear factor ‚kappa-light-chain-enhancer‘ of activated B cells“) und IRF („interferon regulatory factor“), um nur einige Startproteine zu nennen – letztlich mit dem Resultat einer jeweils aktivierenden oder inaktivierenden Zytokinantwort. Ein inhibitorischer Effekt wird beispielsweise dem Östrogenrezeptor α (ER-α) zugewiesen. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass durch einen Östrogenantagonisten die Sterberate der infizierten weiblichen Tiere signifikant erhöht wurde. Auf der anderen Seite wiesen mit Östradiol behandelte Mäuse eine signifikante Absenkung der ACE2(„angiotensin-converting enzyme 2“)-mRNA, eine reduzierte Expression dieses für den Infektionsmechanismus entscheidenden Rezeptors auf den Lungenzellen widerspiegelnd, auf [7]. Ähnliche hinweisgebende Ergebnisse im murinen Modell hatte die Behandlung mit Östradiol im Falle der Influenzainfektion ergeben. Hier konnte eine signifikant höhere Aktivierung der angeborenen Immunantwort, also der Rekrutierung von Makrophagen, neutrophilen Granulozyten und Lymphozyten, beobachtet werden [8].

In der Situation eines Zytokinsturms gilt es, ein Überwiegen der proinflammatorischen Komponenten zugunsten der antiinflammatorischen Effekte zu vermeiden. Dies wird in der Regel bei prämenopausalen Frauen durch physiologische Konzentrationen der Sexualsteroide gewährleistet. Äquieffektiv scheint bei postmenopausalen Frauen, bei denen normalerweise eine Dysbalance in Richtung proinflammatorischer Komponenten zu erwarten ist, eine Hormonersatztherapie („hormone replacement therapy“, HRT) zu wirken. In einer retrospektiven Studie an konnte gezeigt werden, dass durch eine HRT mit Östradiol das Risiko für einen tödlichen Verlauf von COVID-19 bei Frauen über 50 Lebensjahren um mehr als 50 % gesenkt werden konnte (Odds Ratio [OR]: 0,33, 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,18–0,62; Hazard Ratio [HR]: 0,29, 95 %-KI: 0,11–0,76). Bei jüngeren Frauen scheint die endogene Östradiolsekretion diese protektive Wirkung auszuüben [9].

Die Wirkung des Testosterons in diesem Zusammenhang ist umstritten. Zum einen scheint das wichtigste männliche Sexualsteroid mit den weiblichen vergleichbar zu sein. Bei Gabe von Testosteron kommt es zur Herunterregulierung der proinflammatorischen Zytokine, IL-1β, IL‑6 und TNF(Tumornekrosefaktor)-α sowie zur Hochregulierung von IL-10, einem wichtigen antiinflammatorischen Zytokin. Auf der anderen Seite konnte im Mausmodell gezeigt werden, dass gerade Androgene die Expression der für das Andocken von SARS-CoV‑2 notwendigen Rezeptoren und der transmembranen Serinprotease 2 (TMPRSS2) verstärken. Dies mag eine Erklärung für das höhere Risikopotenzial bei Männern und postmenopausalen Frauen zu sein. So wurde in epidemiologischen Untersuchungen auch ein um über 50 % erhöhtes Risiko für COVID-19 bei Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom („polycystic ovarian disease“, PCOD) nachgewiesen [10]. Allerdings konnten andere Arbeitsgruppen keinen Effekt auf die Regulation von TMPRSS2 im Lungenepithel von männlichen Rauchern zeigen [11]. Die Bedeutung der Androgene in diesem Zusammenhang bleibt also unklar.

Klinische Hinweise auf eine positive Wirkung des Progesterons auf das Virusinfektionsgeschehen gibt es für HIV(humanes Immundefizienzvirus)- und Influenza-A-Infektionen [10]. Progesteronrezeptoren werden auf der Oberfläche von Immunzellen exprimiert, sowohl im angeborenen als auch im adaptiven Immunsystem. Somit werden eine lokale und auch eine systemische Entzündungsreaktion beantwortet und reguliert. Die Produktion proinflammatorischer Zytokine wird supprimiert, die T‑Zell-Reaktion wird auf die Produktion von antiinflammatorischen Zytokinen umgestellt. Höhere Konzentrationen von Östrogen und Progesteron sind bei prämenopausalen Frauen physiologisch. Damit verbunden zu sein scheint eine Abschwächung eines inflammatorischen Impulses durch die Inhibition von IL-1β und IL-12, eine verminderte Expression von IL-6-Rezeptoren auf den T‑Zellen und die Tendenz, vermehrt die antiinflammatorischen Zytokine IL‑4, IL‑5 und IL-10 zu produzieren. Klinisch hinweisgebend ist die Wirkung des Progesterons auf die pulmonale Affektion einer Influenza-A-Infektion. Hierzu konnte im Tiermodell nachgewiesen werden, dass Progesteron die Inflammation der Lunge attenuiert. Es konnte gezeigt werden, dass die Hochregulierung von TGF(„transforming growth factor“)-β, IL‑6, IL-22 und regulatorischen Th17-Zellen zu einer Verbesserung der Lungenfunktion führte, darüber hinaus aber auch insbesondere die Mehrproduktion von Amphiregulin (AREG) zu einem Repair-Mechanismus der pulmonalen Epithelzellen anregte [12, 13].

Ergebnisse experimenteller Therapiestudien mit weiblichen Sexualsteroiden

Im Vergleich zur putativen Wirkung der Östrogene oder eines Steroidgemisches von Östrogen und Progesteron ist über die Wirkung von Progesteron als therapeutische Monosubstanz bisher wenig bekannt. Klinische Hinweise auf eine positive Wirkung von Progesteron auf das Virusinfektionsgeschehen gibt es für HIV- und Influenza-A-Infektionen. Ein indirekter Nachweis der Bedeutung von Progesteron erfolgte aber eben über den Verlauf des Infektionsgeschehens bei schwangeren Frauen und den weiteren postpartalen Verlauf. Physiologische und supraphysiologische Konzentrationen von Sexualsteroiden modulieren die Immunantwort auf ein virusspezifisches Antigen im Sinne einer antiinflammatorischen Reaktion, und dies alters- und geschlechtsabhängig. Prämenopausale Frauen und Frauen mit einer HRT erscheinen hier im Vorteil. Das gilt auch für schwangere Frauen, deren schwangerschaftsassoziierte Höchstkonzentrationen von Östrogenen und Progesteron nachgewiesenermaßen abgeschwächte Reaktionen auf eine SARS-CoV-2-Infektion zeigten, die jedoch postpartal nach Abfall der Steroidkonzentrationen plötzlich schwerste Infektionsverläufe aufwiesen. Die wesentlichen bekannten Effekte von Progesteron weisen auf eine antientzündliche Potenz dieses Sexualsteroids hin. Potenzielle Repair- und Regenerationseffekte, z. B. an pulmonalen Epithelzellen, sind ermutigend in Bezug auf COVID-19 [14].

Einen sichtbaren klinischen Erfolg zeigt eine jüngst veröffentlichte randomisierte, nicht placebokontrollierte Studie aus Los Angeles, in der parenteral verabreichtes Progesteron in einer Dosis von 200 mg täglich über 5 Tage bei Männern mit schwerem COVID-19-Verlauf ohne Nebenwirkungen zu einer deutlich verbesserten Situation, insbesondere hinsichtlich des Sauerstoffbedarfs, führte. Die Männer, die mit dem Progesteron behandelt worden waren, bedurften im Vergleich zur Placebogruppe im Durchschnitt 3 Tage weniger einer Sauerstoffunterstützung und konnten 2,5 Tage früher entlassen werden. In den ersten 7 Tagen der Behandlung war die Wahrscheinlichkeit der Zustandsverbesserung in der Verumgruppe mit einer OR von 0,76 im Vergleich zu 0,55 in der Kontrollgruppe signifikant erhöht [15]. Darüber hinaus muss in Betracht gezogen werden, dass das neuroprotektive und regenerative Potenzial von Progesteron eine entscheidende Bedeutung erhalten kann, wenn im Rahmen von COVID-19 Nerven und das Zerebrum einer ebenso schweren Affektion durch das Virus anheimfallen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Mortalität beiträgt. Ursächlich wird auch in diesem Zusammenhang die Herunterregulierung von IL-1β, TGF-β2 und NOS(„nitric oxide synthase“)-mRNA gesehen [16].

Allerdings scheint die robustere Immunantwort von Frauen in der reproduktiven Lebensphase und solchen, die eine HRT erhalten, auch verantwortlich zu sein für eine höheren Inzidenz von Impfkomplikationen, wie v. a. für den Vektorimpfstoff der Firma AstraZeneca beschrieben [17].

Fazit für die Praxis

  • Die vermuteten geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich Schwere und Verlauf von COVID-19 („coronavirus disease 2019“) sind von allen bisher publizierten epidemiologischen Studien bestätigt worden.

  • Nun gilt es, an den Schnittstellen von Physiologie, Immunologie und Umweltfaktoren nach therapeutischen Ansätzen zu suchen, die ebenso wichtig sind wie die angewandten Impfstrategien.

  • Der endokrinologische Ansatz lässt hier aufgrund der bekannten und erheblichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihren unterschiedlichen Lebensphasen wesentliche und klinisch relevante Ergebnisse erhoffen.

  • Beide Sexualsteroide, Östradiol und Progesteron, scheinen im Moment als wirksame und nebenwirkungsarme Therapeutika neue Optionen zu eröffnen.

  • Auch hinsichtlich des Krankheitsverlaufs bei Schwangeren und der möglichen Impfkomplikationen ist der endokrinologische Aspekt von erheblicher klinischer Bedeutung.

Interessenkonflikt

R. Felberbaum und W. Küpker geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Footnotes

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