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. 2021 Aug 13;16(5):261–268. [Article in German] doi: 10.1007/s11560-021-00518-x

Nierenersatzverfahren bei Hochbetagten

Renal replacement procedures in the very old

Ulrike Bechtel 1,, Mariam Abu-Tair 2
PMCID: PMC8361401  PMID: 34405030

Abstract

Hochbetagte haben an der Hämodialyse eine 1‑Jahres-Mortalität, die im Zusammenhang mit Komorbiditäten und einem Katheter als Dialysezugang 30 % übersteigt. Metaanalysen zeigen aber, dass frühzeitige Vorbereitung und individuelle Verfahrensauswahl die Morbidität und Mortalität auch im hohen Lebensalter entscheidend bessern. Mit zunehmendem Alter und Gebrechlichkeit verschieben sich dabei die Behandlungsziele weg von der Verlängerung der Lebensdauer auf die Verbesserung der Lebensqualität. Damit kann die Präferenz von Heimdialyseverfahren, auch als assistierte Peritonealdialyse, ebenso Bedeutung erringen wie die fachnephrologische Behandlung ohne Nierenersatzverfahren mit palliativem Therapieziel. Im höheren Lebensalter bestimmen zunehmend Komorbiditäten, kognitive Einschränkungen, Gebrechlichkeit und die Gesamtprognose das sinnvolle Vorgehen. Bereits bei der Anlage von Gefäßzugängen ergeben sich hinsichtlich Anastomosenort und Anlagezeitpunkt bei Hochbetagten andere Entscheidungskriterien. Empfehlungen zu Dialysedauer und -frequenz folgen der Lebensqualität mit inkrementellen und am Ende des Lebens auch dekrementellen Therapieregimen. Die demographische Entwicklung stellt die Nephrologie mit einer Zunahme älterer Patienten vor besondere Herausforderungen. Frühzeitige Aufklärung über alle Nierenersatzverfahren und die Festlegung individueller Therapieziele können bei sorgfältiger Auswahl von Dialysemodalität und -intensität auch bei Hochbetagten entscheidend zur Verbesserung der Prognose und insbesondere der Lebensqualität beitragen.

Schlüsselwörter: Dialyse, Alter, Frailty, Komorbidität, Lebensqualität

Überblick

Über 80-Jährige beginnen die Hämodialyse mit einer durchschnittlichen 2‑Jahres-Mortalität von 20 %. Komorbiditäten wie Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, Rauchen, Übergewicht und der Dialysestart über einen Katheterzugang erhöhen bereits die 1‑Jahres-Mortalität auf 25 %, die 2‑Jahres-Mortalität sogar auf 65 %, und diese steigt noch weiter, wenn Anämie, erhöhtes C‑reaktives Protein (CRP) und niedriges Serumalbumin dazukommen. Das belegen Daten aus dem Dialysis Outcomes and Practice Survey (DOPPS; [27]). In diese Studien sind allerdings Patienten nicht eingerechnet, die eine Transplantation oder die Peritonealdialyse (PD) als Nierenersatzverfahren gewählt und ein weit besseres Outcome haben [28]. Bei Hochbetagten hat der individuelle Grad der Gebrechlichkeit („frailty“) außerdem einen höheren Einfluss auf die Prognose als das Alter an sich [9, 22, 24]. Es gilt daher, für die gemeinsame Entscheidung zwischen Arzt und Patient, Fachpflegekraft und Angehörigen am Ende der körpereigenen Nierenfunktion einen individuellen Weg einzuschlagen, der der letzten Lebensphase gerecht wird.

Bei Hochbetagten unterscheiden sich viele Aspekte der Auswahl, Einleitung und Dosierung von Nierenersatzverfahren grundlegend vom Vorgehen bei jüngeren Patienten, insbesondere bei ausgedehnter Komorbidität. Die Behandlungsziele verschieben sich zunehmend weg von Verlängerung der Lebensdauer zur Verbesserung der Lebensqualität.

Das durchschnittliche Alter bei Dialysebeginn ist über die letzten Jahrzehnte durch die Zunahme an Sicherheit und das flächendeckende Angebot von Nierenersatzverfahren auch für Ältere und Multimorbide angestiegen. Abb. 1 zeigt die Altersverteilung Dialysepflichtiger im Verlauf von 2008 bis 2020 im KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V. in Deutschland mit einem ungebrochenen Anstieg bei den Hochbetagten (> 80 Jahre) sowohl in der Hämo- (HD) als auch in der Peritonealdialyse (PD).

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Die mit dem Alter oft einhergehende Polymorbidität und Gebrechlichkeit erhöhen oft schon vor der nephrologischen Zuweisung bei Patienten und Hausärzten die Unsicherheit, ob durch Dialyseeinleitung ein Nutzen hinsichtlich Lebensverlängerung und besonders hinsichtlich der damit zu erreichenden Lebensqualität zu erwarten ist. Für Patienten im Alter über 85 Jahre weist eine bevölkerungsbasierte Kohortenstudie aus Alberta, Kanada, eine 5‑fach höhere Rate an unbehandeltem Nierenversagen nach (definiert als geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] < 15 ml/min) gegenüber der Altersgruppe 18 bis 44 Jahre [17].

Hochbetagten können Nierenersatzverfahren mit guter Lebensqualität und Prognose angeboten werden

Die Verfasserinnen dieses Artikels möchten die vorhandenen wissenschaftlichen Grundlagen verfügbar machen für Entscheidungen, ob, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Modalität auch Hochbetagten ein Nierenersatzverfahren mit guter Lebensqualität und Prognose angeboten werden kann.

Akutes Nierenversagen – Dialyse Hochbetagter auf der Intensivstation

Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Anteil alter und sehr alter behandlungsbedürftiger Menschen deutlich steigen. Damit finden wir auch zunehmend diese Alterskohorte auf unseren Intensivstationen wieder. Komorbiditäten wie kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen, aber auch eine vorbekannte chronische Niereninsuffizienz verschlechtern das Outcome dieser Patienten deutlich mit 1‑Jahres-Mortalitäts-Raten von 65 % bei Patienten über 90 Jahre [3, 13].

Grundsätzlich muss die Aufnahme auf eine Intensivstation gerade bei älteren und sehr alten Mitmenschen immer unter der Berücksichtigung von Komorbiditäten, „frailty“, Prognose der Erkrankung und Schweregrad etwaiger Organdysfunktionen diskutiert werden. Auch individuelle Wünsche des Patienten müssen berücksichtigt werden.

Aufgrund der vorhandenen Logistik wird vielerorts bei notwendiger Nierenersatztherapie auf HD in Form intermittierender und kontinuierlicher Verfahren zurückgegriffen. Nichtsdestotrotz hat auch auf den Intensivstationen indikationsabhängig die PD ihren Stellenwert. Gerade aufgrund der besseren Kreislaufverträglichkeit ist sie eine sinnvolle Alternative, sofern das entsprechende Setting vorgehalten werden kann.

Patienten, die mit einem akuten Nierenversagen auf der Intensivstation mit einem Nierenersatzverfahren behandelt wurden, haben ein absolutes Risiko von 20 %, auch nach 1 Jahr noch dialysepflichtig zu sein [11]. Auch dieses muss bei der Prognoseabschätzung und vor Einleitung einer Nierenersatztherapie auf der Intensivstation mit in Betracht gezogen werden, setzt man sich einen größtmöglichen Erhalt an Lebensqualität als Therapieziel.

Terminales chronisches Nierenversagen – Dialyse im ambulanten Bereich

Der richtige Zeitpunkt

Aufklärungen zu allen Nierenersatzverfahren müssen in Deutschland jedem chronisch nierenkranken Patienten angeboten werden. Das Timing der Aufklärungsgespräche richtet sich nach der Geschwindigkeit des eGFR-Abfalls. Oft werden diese Gespräche in allen Altersgruppen erst bei einer eGFR von weniger als 15 ml/min initiiert, wenn die anstehende Dialysepflicht offensichtlich wird. Bei Hochbetagten ist es aus 2 Gründen sinnvoll, diese Aufklärung schon bei einer eGFR von 20–25 ml/min zu starten:

  1. Für die Grundsatzentscheidung für oder gegen ein Nierenersatzverfahren braucht es oft mehrere Gespräche, u. U. auch gemeinsam mit Angehörigen. Für die Betroffenen und die Familien muss ausreichend Bedenkzeit eingeplant werden. Auch Gefäßchirurginnen und Hausärzte sollten in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

  2. Die Auswahl der Dialysemodalität muss sorgfältig erfolgen, da der Gefäßstatus und Komorbiditäten wie Diabetes oder Herzinsuffizienz einen entscheidenden Einfluss haben. Für die Shuntreifung sind bei älteren Patienten eher 3 bis 6 Monate als 3 Wochen einzuplanen, wenn eine arteriovenöse (AV-)Fistel gelingen soll. Hochbetagte können sehr erfolgreich für ein Heimdialyseverfahren trainiert werden, wenn für zusätzliche Trainingseinheiten ausreichend Zeit zur Verfügung steht, bevor die ansteigende Urämie die Lern- und Merkfähigkeit beeinträchtigt. Eine mögliche Transplantation erfordert bei älteren Patienten oft ausgedehnte Voruntersuchungen und Sanierungen vom Zahnstatus bis zur koronaren Herzkrankheit.

Wahl des Nierenersatzverfahrens

Apparativ oder konservativ?

Vor der technischen Auswahl eines Dialyseverfahrens oder der Erwägung einer Transplantation steht bei Hochbetagten mit besonderer Intensität die Frage, ob überhaupt ein Nierenersatzverfahren eingeleitet werden soll oder eine konservative Behandlung mit palliativer Zielsetzung individuell die sinnvollere Entscheidung ist.

Die Lebenserwartung Hochbetagter ist naturgemäß geringer als die jüngerer Patienten, und die Entscheidung zur Dialyseeinleitung verlängert diese nicht immer. Es gibt gute prognostische Modelle zur Abschätzung sowohl der Kurzzeitprognose (3 bis 6 Monate) als auch der Langzeitmortalität älterer Patienten jenseits des ersten Dialysejahrs [9, 16, 27]. Möglichkeiten und Risiken der Transplantation müssen diskutiert werden.

Die Lebensqualität kann sich nach Einleitung der Dialyse zunächst verschlechtern. Stationäre Aufenthalte sind häufiger bei älteren Dialysepatienten, und die Dialyseverfahren selbst belasten Ältere oft mehr mit postinterventioneller Müdigkeit und Leistungsschwäche als Jüngere. Daher verlangt die Behandlung Hochbetagter eine besonders sorgfältige und engmaschige fachärztliche Betreuung vor und nach Einleitung der Dialyse, insbesondere in den besonders vulnerablen ersten 3 Monaten [29]. Ältere Patienten sind oft ambivalent und möchten der Dialyse erst zustimmen, wenn die einzige Alternative das unmittelbare Versterben wäre. Hier ist die frühzeitige und einfühlsame ärztliche Aufklärung besonders gefordert, geht es doch mit der Vermeidung von Urämiesymptomatik und stationären Aufenthalten sowie mit der Behandlung von Anämie, Azidose und Hypervolämie auch und unmittelbar um den Erhalt der Lebensqualität.

Dialysemodalität

Bei den meisten älteren Patienten wird in Deutschland, aber auch in anderen Industriestaaten die Zentrums-HD eingeleitet, obwohl mehrere Studien belegen, dass dieses Nierenersatzverfahren Hochbetagten keinen Mortalitätsvorteil bietet [18, 25, 33]. Das Dialyseverfahren sollte auch bei Hochbetagten nach der Präferenz der Patienten ausgewählt werden. Grundsätzlich sind medizinische Indikationen und Kontraindikationen zu den Dialysemodalitäten nicht altersabhängig. Mehr noch als bei Jüngeren bestimmen aber im höheren Lebensalter die Gesamtprognose, Komorbiditäten, Gebrechlichkeit und kognitive Fähigkeiten die Auswahlmöglichkeiten. Auch die Eingebundenheit in familiäre oder professionelle Unterstützung spielt eine Rolle, insbesondere bei den Heimdialyseverfahren. Abb. 2 zeigt den Weg der gemeinsamen Entscheidungsfindung („shared decision making“).

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Entscheidungsfaktor Komorbidität

Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass die PD Vorteile bietet für ältere Patienten insbesondere bei Herzinsuffizienz, pulmonaler Hypertonie, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) und Leberzirrhose, weil die Ultrafiltration kontinuierlich und täglich erfolgt und der negative Einfluss des Shuntvolumens auf die Herzleistung vermieden werden kann. Heimdialyseverfahren haben generell den Vorteil, dass den betagten Patientinnen der 3‑mal wöchentliche Transport und das Infektionsrisiko erspart werden können, die mit einer kohortierten Behandlung in einem Dialysezentrum einhergehen. Die weltweit hohe Mortalität von älteren Zentrums-HD-Patienten in der SARS-CoV-2(„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)-Pandemie hat den Vorteil von Heimdialyseverfahren gerade auch in infektiologischer Hinsicht besonders verdeutlicht [2].

Entscheidungsfaktor Patientenpräferenz und Behandlungsziel

Sowohl PD als auch Heimhämodialyse (HHD) setzen ausreichende kognitive Fähigkeiten und Mobilität der Patienten voraus. Wenn diese eingeschränkt sind, kann die sog. assistierte Peritonealdialyse eine Alternative bieten, bei der spezialisierte Pflegedienste die häusliche Dialyse unterstützen. Die Kosteneffektivität und die Verbesserung der Lebensqualität durch assistierte PD gerade älterer und gebrechlicher Patientinnen wurden in mehreren Studien nachgewiesen [1, 4, 6]. Deshalb sind bei der Auswahl der Dialysemodalität für nichtselbständige Patienten neben der eigenen Präferenz auch die Möglichkeiten der Familie oder professioneller Hilfsdienste entscheidend. Wenn das Behandlungsziel auch darin besteht, die Beeinträchtigung des Tagesablaufs und der Häuslichkeit durch die Dialyse möglichst gering zu halten, bieten die PD und moderne, vereinfachte Verfahren der HHD einen Vorteil [33].

Entscheidungsfaktor Outcome

Es gibt keine validen Daten, die bei Älteren einen Vorteil von PD oder HD in Bezug auf Mortalität oder technisches Verfahrensüberleben belegen [5]. Die umfangreichen retrospektiven Studien in allen Altersgruppen ergeben ein ambivalentes Bild [18, 21, 25, 32]. Nur wenige Untersuchungen fokussieren dabei auf die Lebensqualität [21] oder korrigieren für den Grad der Gebrechlichkeit [19], der bei Hochbetagten entscheidend für die Prognose ist.

Besonderheiten der Vorbereitung (Gefäßzugang, PD-Training)

Wenn es die Gefäßverhältnisse zulassen, sollten auch bei Hochbetagten zur Hämodialyse native AV-Fisteln als Zugang entsprechend den KDIGO(Kidney Disease: Improving Global Outcomes)-Guidelines bevorzugt werden. Für die Shuntreifung sollten aber eher 3 Monate als 3 Wochen veranschlagt werden. Bei noch früherer Shuntanlage verschlechtert sich die Gefäßprognose, und Komplikationen nehmen zu [15]. Um auch bei älteren Patientinnen eine native AV-Fistel mit Erfolg anzulegen, sollten interdisziplinäre Voruntersuchungen mit Doppler-/und Duplexdarstellungen der arteriellen und venösen Armgefäße das Timing und die genaue Lokalisation der Fistel vorausplanen. Dann können die Venen der vorgesehenen Operationsseite bei Blutentnahmen frühzeitig geschont werden. Eine Analyse des United States Renal Data System (USRDS) über 115.425 Patienten zeigte auch für die 67- bis 79-Jährigen ein besseres Überleben mit AV-Fistel gegenüber den AV-Prothesenshunts. Der Vorteil verlor sich aber bei den über 80-Jährigen [7]. Die primäre Offenheitsrate der AV-Fisteln sinkt mit steigendem Alter. Bei den Hochbetagten über 80 Jahre lag die primäre Offenheitsrate ohne Intervention bei 40 % nach 1 Jahr und bei 12 % nach 3 Jahren [26]. Diese schlechte Prognose der Gefäßzugänge betrifft besonders die Frauen unter den Älteren, aber auch Patienten mit Diabetes oder pAVK [14, 31]. In einer Metaanalyse Hochbetagter zeigten brachiocephale Fisteln mit Anastomose in Ellenbeugenhöhe eine um 12 % bessere Offenheitsrate im ersten Jahr als distale radiocephale AV-Shunts [23]. Die primären Offenheitsraten für distale und proximale AV-Fisteln lagen bei 50 % bzw. 59 % und die sekundären Offenheitsraten bei 65 % versus 73 %. Die Anlage einer proximalen AV-Fistel geht aber wegen der höheren Flussvolumina gleichzeitig mit einer höheren Herzvolumenbelastung und mit dem Risiko der Minderdurchblutung der Hand i. S. eines Steal-Phänomens einher. Gerade bei Älteren sind hier Raten von 10 % versus 2 % berichtet für brachiocephale/proximale versus radiocephale/distale AV-Shunts.

Peritonealdialyse ist besonders für ältere Frauen und Patienten mit Diabetes oder pAVK zu bevorzugen

Für niereninsuffiziente Patienten mit ungünstigen Gefäßverhältnissen, aber guter Überlebensprognose sind PTFE(Polytetrafluorethylen)-Graft-Shunts den Vorhofkathetern weiterhin vorzuziehen. Als dauerhafter Dialysezugang sind getunnelte Katheter denjenigen vorbehalten, bei denen eine ausgedehnte pAVK der Armgefäße, erschöpfte Venenverhältnisse, eine kurze Lebenserwartung oder eine chronische Hypotension keine Alternative lassen. Vorhofkatheter kommen aber bei Hochbetagten auch als Brücke infrage für diejenigen, die hinsichtlich einer dauerhaften Dialysebehandlung noch ambivalent sind oder deren Prognose zu Dialysebeginn bei hoher Komorbidität und Gebrechlichkeit unklar ist. Überstehen diese Patienten das kritische erste Quartal und profitieren von der Dialyse mit Besserung der Lebensqualität und der medizinischen Rahmenbedingungen, dann kann anschließend ein Shunt mit gutem Erfolg angelegt werden. Der getunnelte Vorhofkatheter verbleibt als sicherer Zugang und Zeitbrücke bis zur endgültigen Shuntreifung.

Behandlungsziele und Dialysedosis

Der Vorteil einer höheren Dialysedosis lässt sich bei der insgesamt erhöhten Mortalität der Hochbetagten nicht mehr belegen. Hier ist daher Raum für eine individuelle Behandlung mit personalisiertem Therapieziel. Wenn die Dialyse noch bei signifikanter Nierenrestfunktion begonnen werden kann, ist anfangs oft eine reduzierte Behandlungsdosis möglich. Die PD bietet mit weniger häufigen Lösungswechseln oder nächtlicher Cycler-Therapie einen besonders günstigen inkrementellen Ansatz, insbesondere wenn Icodextrin für die Ultrafiltration verwendet wird. Für ältere Patienten ist der Beginn der HD mit niedrigerer Frequenz und Dauer besser verträglich.

Qualitätsvorgaben zur Dialysedauer und -frequenz sollten bei Hochbetagten und Multimorbiden flexibel sein und inkrementelle Behandlungsregime zulassen. Studien belegen, dass ein inkrementeller Dialyseansatz die Aufnahme der vollen Dialysedosis ohne Erhöhung der Mortalität um bis zu 1 Jahr hinauszögern kann [12].

Konservative Behandlung – palliative Zielsetzung

Auch die Patienten, die ein Nierenersatzverfahren ablehnen oder sich dafür aus medizinischen Gründen nicht qualifizieren, müssen engmaschig und sorgfältig fachnephrologisch betreut werden. Diätetische Beratung zur Proteinbilanz sowie Phosphat- und Kaliumrestriktion sind essenziell. Renale Folgekrankheiten wie sekundärer Hyperparathyreoidismus, Hyperurikämie mit Gichtarthritis, metabolische Azidose und renale Anämie müssen sorgfältig evaluiert und therapiert werden. Um die renale Restfunktion so lange wie möglich zu erhalten, ist eine exakte Blutdruckeinstellung unter Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems günstig, die anhand von Langzeit-Blutdruck-Messungen unter Vermeidung hypotensiver Phasen normnahe Werte anstrebt. Komorbiditäten erfordern ggf. eine individuelle Anpassung der Zielwerte. Unter entsprechender Aufklärung kann gegen Ende der Nierenfunktion der ACE(„angiotensin-converting enzyme“)-Hemmer bzw. das Sartan abgesetzt werden, um die Nierenfunktion noch einige Monate auf Kosten einer nicht mehr vorhandenen Langzeitprognose zu konservieren. Unter Einbezug der hausärztlichen Versorgung und z. B. kardiologischer oder orthopädischer Mitbehandler sollte der Verzicht auf NSAR(nichtsteroidale Antirheumatika)-haltige Analgetika und Röntgenkontrastmittel besprochen werden.

Therapieeinstellung mit Beendigung der Dialyse

Bei Hochbetagten ergeben sich vorhersehbar auch Situationen, die suggerieren, ein bei besserem Gesundheitszustand eingeleitetes Nierenersatzverfahren angesichts akuter Komorbiditäten oder schleichender Verschlechterung des Allgemeinzustands wieder einzustellen. Hilfreich sind hier bereits bei Behandlungsbeginn im Vorfeld geführte Gespräche über gewünschte Therapielimitierungen und eine Patientenverfügung. Ein abrupter Abbruch der Dialyse kann zu heftigen Urämie- und Hypervolämiesymptomen führen mit Erbrechen, Cephalgien, Dyspnoe und Blutungen. Ein dekrementelles Vorgehen mit schrittweiser Reduktion von Dialysefrequenz und -dauer erreicht in der Regel besser die palliative Zielsetzung einer weitgehenden Leidens- und Symptomfreiheit am Lebensende.

Prognose Hochbetagter mit und ohne Nierenersatzverfahren

Ältere Menschen haben an der Dialyse eine stark eingeschränkte Prognose. In einer Metaanalyse über 89 Studien und 294.921 ältere Dialysepatienten (mittleres Alter: 76 Jahre) lag das 1‑Jahres-Überleben nur bei 73 % und nur marginal über dem konservativ-palliativen Behandlungsansatz mit 71 % 1‑Jahres-Überleben [10]. Eine andere retrospektive Studie mit über 70-Jährigen kam zu einem deutlichen Vorteil im mittleren Überleben der Dialysepatienten gegenüber der konservativen Gruppe von 3,1 versus 1,5 Jahren. Aber auch in dieser Studie ergab sich kein Unterschied mehr für die über 80-Jährigen. Unabhängige Prädiktoren für eine schlechte Prognose waren ein Alter über 85 Jahre, Malnutrition, Komorbiditäten, insbesondere kardiovaskuläre Erkrankungen, Gebrechlichkeit und fehlende autonome Lebensführung, aber auch der späte Dialysebeginn, ein Dialysestart über einen Katheterzugang und die Zentrums-HD als Verfahrenswahl [30]. Kognitive Einschränkungen sind bei Dialysepatienten assoziiert mit erhöhter Sterblichkeit [8]. Darüber hinaus hat der individuelle Grad der Gebrechlichkeit hohen Einfluss auf die Prognose des Gefäßzugangs und auf Kofaktoren wie Depression und reduzierte Lebensqualität [20].

Die Auswahl oder Ablehnung eines Nierenersatzverfahrens sollte individuell adaptiert werden

Die Auswahl oder Ablehnung eines Nierenersatzverfahrens sollte daher sorgfältig individuell an die Lebenssituation der Hochbetagten adaptiert werden. Eine engmaschige fachnephrologische Behandlung kann die Prognose älterer Patienten mit (prä-)terminaler Niereninsuffizienz wesentlich verbessern und dazu beitragen, die Lebensqualitiät und Autonomie der Betroffenen auch beim Versagen der eigenen Nierenfunktion bis ins hohe Alter zu erhalten.

Fazit für die Praxis

  • Bei frühzeitiger und individueller fachnephrologischer Behandlung kann auch Hochbetagten ein Nierenersatzverfahren mit guter Lebensqualität und Prognose angeboten werden.

  • Mit zunehmendem Alter verschieben sich die Behandlungsziele weg von der Lebensdauer hin zur Verbesserung der Lebensqualität.

  • Die Aufklärung über alle Nierenersatzverfahren sollte schon bei einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 20–25 ml/min erfolgen, ggf. unter Einbezug von Angehörigen und Pflegediensten.

  • Die Auswahl der Dialysemodalität richtet sich auch im Alter nach der Präferenz der Betroffenen. Besondere Berücksichtigung finden die Prognose, die Komorbiditäten, der Grad der Gebrechlichkeit und der kognitiven Fähigkeiten sowie der Wunsch nach Verbleib in der Häuslichkeit. Hier sind auch assistierte Heimverfahren erfolgreich.

  • Empfehlungen zu Dialysedauer und -frequenz richten sich nach den individuellen Therapiezielen. Inkrementelle Therapieregime können die Aufnahme der vollen Dialysedosis ohne Erhöhung der Mortalität um bis zu 1 Jahr hinauszögern.

  • Am Lebensende werden palliative Behandlungsziele eher mit einem schrittweisen Ausschleichen der Dialysedauer und -frequenz erreicht. Abruptes Absetzen des Nierenersatzverfahrens führt häufig zu schweren Urämie- und Hypervolämiesymptomen.

  • Auch konservative Therapieregime erfordern zum Erhalt der Lebensqualität eine engmaschige fachnephrologische Betreuung.

Acknowledgments

Danksagung

Die Autorinnen bedanken sich beim QiN(Qualität in der Nephrologie)-Team des KfH, Dr. Martin Wagner und Dr. Matthias Schaller, für die grafischen Abbildungen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

U. Bechtel und M. Abu-Tair geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.

Footnotes

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Articles from Der Nephrologe are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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