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. 2021 Aug 18;62(9):899–905. [Article in German] doi: 10.1007/s00108-021-01106-w

COVID-19 im Hinblick auf Arbeitsmedizin und Öffentlichen Gesundheitsdienst

COVID-19 with respect to occupational healthcare and public health services

Sabine Wicker 1,, Pia Behrens 1, René Gottschalk 2
PMCID: PMC8371945  PMID: 34406425

Abstract

Hintergrund

Medizinisches Personal hat ein arbeitsbedingtes Risiko für eine Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV‑2) und kann COVID‑19 auf Patienten übertragen. Bei der zugehörigen Berufskrankheit handelt es sich um die BK 3101.

Fragestellung

Häufigkeit von Verdachtsmeldungen berufsbedingter SARS-CoV-2-Infektionen und anerkannter COVID-19-Berufskrankheiten, Meldepflichten nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) und Anzeigepflichten des Arztes.

Material und Methoden

Selektive Literaturrecherche unter besonderer Berücksichtigung von Daten der Unfallversicherungsträger zu arbeitsbedingten SARS-CoV-2-Infektionen des medizinischen Personals.

Ergebnisse

Die SARS-CoV-2-Pandemie stellt sich auch als Herausforderung der Arbeitsmedizin und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) dar. In den letzten Monaten wurden bei den Unfallversicherungsträgern im Zusammenhang mit COVID-19 vermehrt Verdachtsfälle einer Berufskrankheit (BK 3101) sowie eine steigende Zahl von Arbeitsunfallmeldungen registriert. Der ÖGD bearbeitet die Meldungen gemäß dem IfSG und koordiniert die Kontaktpersonennachverfolgung.

Schlussfolgerungen

Arbeitsbedingte SARS-CoV-2-Infektionen geben Anlass zur Sorge. Die Meldedaten der Unfallversicherungsträger belegen hohe Fallzahlen. Präventive Maßnahmen, z. B. das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und COVID-19-Impfungen, reduzieren sowohl das Infektionsrisiko der Beschäftigten signifikant als auch das Risiko einer nosokomialen Übertragung auf die Patienten.

Schlüsselwörter: SARS-CoV‑2, Berufskrankheiten, Arbeitsunfälle, Medizinisches Personal, Gesetzliche Unfallversicherung


Die weltweite Ausbreitung des „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) wurde am 11.03.2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Insbesondere Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen waren von Anbeginn einer erhöhten Infektionsgefährdung ausgesetzt. Der aktuelle Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zu COVID-19 weist am 26.05.2021 insgesamt fast 200.000 COVID-19-Fälle bei Beschäftigen in Einrichtungen nach § 23 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG; z. B. Krankenhäuser, ärztliche Praxen), § 33 IfSG (z. B. Kitas, Schulen), § 36 IfSG (z. B. Pflegeeinrichtungen) auf [16].

Grundlagen

Verdachtsanzeigen auf arbeitsbedingte COVID-19-Fälle

Im Januar und Februar 2021 wurden den Unfallversicherungsträgern im Zusammenhang mit COVID-19 vermehrt Verdachtsfälle einer Berufskrankheit (BK 3101) sowie eine steigende Zahl von Arbeitsunfallmeldungen gemeldet. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Unfallkassen erhielten in diesen beiden Monaten insgesamt 47.578 Verdachtsanzeigen auf eine arbeitsbedingte COVID-19-Erkrankung. Im vergangenen Jahr 2020 waren es insgesamt 30.329 COVID-19-Verdachtsanzeigen [7, 8].

Vor der COVID-19-Pandemie wurden den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. den staatlichen Gewerbeärzten jährlich zwischen 1600 und 2000 Verdachtsmeldungen einer Berufskrankheit BK 3101 (Infobox 1) gemeldet [8].

Infobox 1: Berufskrankheit 3101 [4]

Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.

Meldepflichten gemäß Infektionsschutzgesetz

COVID-19-Verdachtsfälle, COVID-19-Erkrankungen sowie Labornachweise von SARS-CoV-2 müssen gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden (Infobox 2).

Infobox 2: Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz

Cave: Meldepflichtige Krankheiten müssen sowohl vom behandelnden Arzt (§ 6 IfSG: „Meldepflichtige Krankheiten“) als auch vom diagnostizierenden Labor (§ 7 IfSG: „Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern“) gemeldet werden.

Lageberichte des RKI zu laborbestätigten COVID-19-Fällen

Das Gesundheitsamt übermittelt diese Daten über die zuständige Landesbehörde an das RKI. Das RKI veröffentlicht tägliche Lageberichte zu laborbestätigten COVID-19-Fällen oder Erregerisolierung, unabhängig von der klinischen Symptomatik (Tab. 1; [16]).

Tätig in Einrichtung Gesamt Verstorben
§ 23 IfSG (z.B. Krankenhäuser, ärztliche Praxen) 87.470 86
Davon mit differenzierten Angaben 49.954 39
Krankenhäuser 33.895 22
Rehabilitationseinrichtungen 1940 0
Sonstige 14.119 17
§ 36 IfSG (z.B. Pflegeeinrichtungen) 65.532 174
Davon mit differenzierten Angaben 37.135 92
Pflegeeinrichtungen 33.701 87
Ambulante Pflegedienste 2479 3
Sonstige 955 2

IfSG Infektionsschutzgesetz

Die Daten des RKI-Lageberichts können allerdings nicht durchgehend unterscheiden, ob es sich um arbeitsbedingte oder außerberuflich erworbene Infektionen der Beschäftigten aus den Einrichtungen nach § 23, § 33, § 36 IfSG handelt. Auch ist eine Unterscheidung zwischen medizinisch tätigem und nicht medizinisch tätigem Personal nicht immer möglich [11]. Durch die Auswertung der Meldedaten der SARS-CoV-2-Infektionen können jedoch Risiken für eine arbeitsbedingte Infektion im Vergleich zu außerberuflich erworbenen Infektionen erkannt werden, um somit zukünftig einen verbesserten Infektionsschutz am Arbeitsplatz zu erreichen [12, 13].

Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes

Gesetzliche Grundlagen der Maßnahmen im Pandemiekontext

In der Bundesärzteordnung vom 02.10.1961, zuletzt geändert am 15.08.2019, liegt die Rechtsgrundlage für jegliches ärztliches Handeln – sie ist somit für alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland gültig. Im Abschnitt I, § 1 wird erläutert, was unter dem ärztlichen Beruf gesetzlich verstanden wird:

§ 1 (1) Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.

Die Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) dienen mit ihrem Wissen und ihrer fachärztlichen Ausbildung somit der Gesundheit des ganzen Volkes.

Wie dieses Wissen umzusetzen ist, ist in sog. Landesgesundheitsdienstgesetzen festgeschrieben: Gesundheit ist Ländersache. Es gibt allerdings auch Bundesgesetze, die direkt für die öffentlichen Gesundheitsbehörden aller Länder gelten. Führend zu nennen ist das „Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften“ (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG) vom 20.07.2000 [5]. Im Artikel 1 dieses Gesetzes ist das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz, IfSG) beschrieben, zuletzt geändert am 16.7.2021. Eine wesentliche Änderung aber fand am 23.04.2021 mit dem Inkrafttreten des § 28b IfSG, dem sog. „Bundes-Notbremsengesetz“ statt [6]. Hier werden bundesweit weitreichende einschränkende Maßnahmen für die Bevölkerung vorgeschrieben, wenn bestimmte epidemiologische Kennzahlen (7‑Tage-Inzidenz [Anzahl der COVID-19-Fälle der letzten 7 Tage/100.000 Einwohner]) überschritten werden.

In der Tat regelt das IfSG auch die möglichen Grundrechtseinschränkungen. Unter anderem können durch die zuständigen Behörden (namentlich die Gesundheitsämter) die folgenden Grundrechte eingeschränkt werden:

  • körperliche Unversehrtheit (Artikel 2, Abs. 2, Satz 1, GG),

  • Freiheit der Person (Artikel 2, Abs. 2, Satz 2, GG),

  • Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG),

  • Brief- und Postgeheimnis (Artikel 10 GG)

  • Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 GG) und

  • Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG).

Zu beachten ist aber, dass dies immer mit Augenmaß zu erfolgen hat und die Ermessensspielräume genutzt werden müssen. Es muss immer die am wenigsten eingreifende Einschränkungsmaßnahme gewählt werden.

Das berufliche und private Leben der Bevölkerung darf nur im geringstmöglichen Maß eingeschränkt werden

Die Gesundheitsämter haben somit die Aufgabe, die Bevölkerung, soweit dies möglich ist, vor den Auswirkungen aller infektiologischen Bedrohungen (nicht nur Pandemien) zu schützen. Dabei müssen sie sehr sorgsam abwägen, ob die geplanten Maßnahmen überhaupt wirksam sind, gleichwohl haben sie aber auch zu beachten, dass die Auswirkungen auf das berufliche und private Leben der Bevölkerung so gering wie möglich gehalten werden.

Im medizinischen Bereich spielt in diesem Kontext die Evidenz der gewählten Maßnahmen eine entscheidende Rolle. So gibt es beispielsweise bei der Anwendung von chirurgischen Atemschutzmasken durchaus Evidenz über deren Nutzen. Dies ist bereits bei „Filtering-face-piece“(FFP)-Masken der Klasse 2 für die Bevölkerung keineswegs mehr der Fall. Ebenso sind die gewählten Grenzen für weitergehende Maßnahmen im Rahmen der 7‑Tage-Inzidenz (Stufenregelungen) nicht evidenzbasiert, sondern mehr oder weniger willkürlich gewählt worden.

Ob der Ermessensspielraum und die Abschätzung dieser Auswirkungen auf die Bevölkerung bei der derzeitigen COVID-19-Pandemie ausreichend berücksichtigt wurden, muss im Nachgang geklärt werden.

Kontaktpersonennachverfolgung bei SARS-CoV-2-Infektion

Beim Eingang einer Meldung des positiven Nachweises einer SARS-CoV-2-Infektion (z. B. mithilfe eines Polymerase-Kettenreaktion[PCR]-Tests) muss das Gesundheitsamt Ermittlungsarbeit leisten. Zum einen muss die Infektionsquelle zum Indexfall gesucht werden („Rückwärtsermittlung“). Diese Suche umfasst die zurückliegenden 14 Tage ab dem Symptombeginn. Zum anderen muss, da die Indexperson selbst auch andere anstecken kann, eine entsprechende „Vorwärtsermittlung“ durchgeführt werden. Hier werden sämtliche relevanten Kontakte ab 2 Tagen vor dem Symptombeginn bis zum Zeitpunkt der Isolierung erfragt. Insbesondere diese Fallarbeit ist für die Gesundheitsämter extrem aufwendig.

Die Gesundheitsämter betreuen täglich sowohl die isolierten als auch die quarantänisierten Patienten

Mögliche Kontaktpersonen, also gesunde Ansteckungsverdächtige, bekommen eine Quarantäneverfügung, Erkrankte oder Krankheitsverdächtige eine Isolationsverfügung. Diese Unterscheidung, die oftmals nicht richtig benannt wird, ist außerordentlich wichtig, da die Zeiträume der jeweiligen angeordneten Absonderung unterschiedlich sein können. Die Gesundheitsämter betreuen täglich sowohl die isolierten als auch die quarantänisierten Patienten, bis die jeweiligen Verfügungen aufgehoben werden. Bei der Vielzahl der Fallmeldungen ist es verständlich, dass insbesondere kleinere Gesundheitsämter schnell an ihrem Leistungslimit anlangen und externe Hilfe zur Fallbearbeitung benötigen.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung

Berufskrankheit Nr. 3101

Unter der Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sind Krankheiten erfasst, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind. Diese Krankheiten fallen grundsätzlich dann unter die Nr. 3101 der Anlage zur BKV, wenn sie bei Versicherten auftreten, die infolge der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in bestimmten Bereichen einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind [4].

Zur Anerkennung als BK 3101 muss eine konkrete Risikoerhöhung in der ganzen Berufsbranche vorliegen

Die BK 3101 ist somit auf bestimmte Berufs- und Tätigkeitsfelder beschränkt. Tätigkeiten außerhalb des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege bzw. außerhalb von Laboratorien können nur dann als BK 3101 anerkannt werden, wenn ein mit diesen Tätigkeiten vergleichbar hohes Infektionsrisiko bestanden hat. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSB) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zunächst eine orientierende Prüfung vorgenommen, inwieweit weitere Tätigkeitsfelder identifiziert werden können, bei denen ein vergleichbar hohes Infektionsrisiko wie bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen besteht. Aktuell wurde noch keine Personengruppe identifiziert, die diese Bedingung erfüllt. Der ÄSB mahnt jedoch weitere wissenschaftliche Untersuchungen beispielsweise hinsichtlich des Risikos einer COVID-19-Infektion in Schlachthöfen an [1]. Für die Anerkennung als BK 3101 ist eine Gefährdung in einzelnen speziellen Betrieben nicht ausreichend. Vielmehr müsste eine konkrete Risikoerhöhung in der gesamten Berufsbranche nachweisbar sein [10].

COVID-19 als Arbeitsunfall

In den Tätigkeiten, in denen aktuell eine COVID-19-Infektion nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist mitunter die Anerkennung als Arbeitsunfall möglich. Arbeitsunfälle (Infobox 3) und Berufskrankheiten sind prinzipiell gleichwertige Versicherungsfälle, die die Ansprüche auf das gesamte Leistungsspektrum der gesetzlichen Unfallversicherung auslösen können.

Infobox 3: Definition des Arbeitsunfalls

Ein Unfallereignis ist ein zeitlich begrenztes (d.h. innerhalb einer Arbeitsschicht), von außen (hier Virustransmission) auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden (hier COVID-19-Infektion) führt.

Ein Arbeitsunfall kann somit vorliegen, wenn es infolge der versicherten Tätigkeit der Betroffenen zu einer durch SARS-CoV‑2 verursachten Erkrankung kommt.

Im Januar und Februar 2021 erhielten die Unfallversicherungsträger 2710 COVID‑19-Arbeitsunfallmeldungen, 799 wurden als Versicherungsfall anerkannt [7].

Ob die Voraussetzungen zur Anerkennung einer COVID-19-Erkrankung als Arbeitsunfall vorliegen, prüft der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Einzelfall.

Voraussetzungen der Anerkennung

COVID-19 als Arbeitsunfall:

  • Die COVID-19-Infektion muss auf eine nachweislich mit SARS-CoV‑2 infizierte Person („Indexperson“) zurückzuführen sein.

  • Es muss intensiver beruflichen Kontakt mit dieser Indexperson bestanden haben.

  • Maßgeblich sind die Dauer und die Intensität des Kontaktes.

  • Lässt sich keine konkrete Indexperson feststellen, kann im Einzelfall eine größere Zahl nachweislich infizierter Personen innerhalb eines Betriebs ausreichend sein, um als Nachweis für die berufliche Verursachung infolge der versicherten Tätigkeit zu dienen.

  • Eine COVID-19-Infektion kann prinzipiell auch auf dem Weg zur oder von der Arbeit als Arbeitsunfall anerkannt werden [10].

BK3101:

  • Zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung muss ein ursächlicher Zusammenhang (z. B. zeitliche Verbindung zwischen Exposition gegenüber dem betreffenden Erreger und der Infektion – cave: Inkubationszeit beachten) nachgewiesen werden (Vollbeweis).

  • Die Infektion muss ebenfalls im Vollbeweis nachgewiesen werden (d. h. entsprechende virologische oder mikrobiologische Diagnostik bzw. phylogenetische Analysen).

  • Zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung muss ein wahrscheinlicher Zusammenhang bestehen, d. h., der kausale Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung muss nicht zwangsläufig im Vollbeweis nachgewiesen werden, sondern er muss wahrscheinlich sein [18].

Es müssen zur Anerkennung einer COVID-19-Infektion als BK 3101 somit folgende drei Voraussetzungen vorliegen:

  • Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen bzw. Patientenmaterialien im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium und

  • Krankheitserscheinungen wie z. B. Fieber, Husten (cave: Es genügen auch geringfügige klinische Symptome) und

  • positiver Befund der SARS-CoV-2-PCR (Nachweis der Infektion im „Vollbeweis“ [9]).

Vor dem Hintergrund des pandemischen Geschehens und der mitunter hohen Infektionszahlen in der Allgemeinbevölkerung ist eine Anerkennung der BK 3101 möglich, sofern die berufliche Verursachung überwiegend wahrscheinlich ist und keine Umstände aus dem unversicherten Bereich einer Anerkennung entgegenstehen [14]. Beispielhaft in diesem Kontext ist eine SARS-CoV-2-Infektion einer Haushaltskontaktperson, die vor dem Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen an COVID-19 erkrankte und die aufgrund der Art des privaten Kontakts eine außerberufliche Infektion wahrscheinlicher erscheinen lässt als eine berufliche Verursachung.

Beweiserleichterung

Auch ohne konkreten Nachweis von Kontakten mit einer bestätigten Infektionsquelle kann eine „Beweiserleichterung“ wirksam werden, soweit die Versicherten während der infrage kommenden Ansteckungszeit einer besonderen über das normale Maß hinausgehenden Infektionsgefahr ausgesetzt waren. Hierbei sind die Häufigkeit und die Intensität von Kontakten zu infektionsverdächtigen Quellen sowie die Art der konkret ausgeübten Tätigkeit maßgeblich. Überdies kann im Einzelfall beispielsweise ein Ausbruchsgeschehen im Betrieb ausreichen, um im Sinne einer Beweiserleichterung von einer arbeitsbedingten Infektion auszugehen, auch wenn ein konkreter Kontakt mit einer Indexperson nicht ermittelt werden kann [2, 14].

Bei besonderer über das normale Maß hinausgehender Infektionsgefahr greift die Beweiserleichterung

Nowak et al. nennen beispielsweise folgende Bereiche und Tätigkeiten, bei denen eine Beweiserleichterung greifen könnte:

  • Abteilungen, in denen COVID-19-Patienten behandelt werden,

  • Intensivstationen,

  • Labors, die Nasen-Rachen-Abstriche auf SARS-CoV‑2 untersuchen,

  • aerosolgeneriende Tätigkeiten, z. B. Notfallintubation, Bronchoskopie,

  • Betreuung von Hochrisikogruppen (z. B. Personen aus Risikoländern, Hochinzidenzländern, Virusvariantengebieten) und Personen, die die AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene, Alltag mit Maske) nicht einhalten können (z. B. bestimmte Bereiche der Psychiatrie und Geriatrie, [2, 14]).

Rechtliche Grundlagen zur Meldepflicht

Ärztinnen und Ärzte sowie der Arbeitgeber sind verpflichtet, der gesetzlichen Unfallversicherung oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle den begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form unverzüglich anzuzeigen [3].

Arbeitsunfälle sind meldepflichtig bei Unfällen im Betrieb, durch die Versicherte getötet oder so verletzt worden sind, dass sie für mehr als 3 Tage arbeitsunfähig werden (§ 193 SGB VII).

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung

Der Unfallversicherungsträger übernimmt bei Anerkennung der Berufskrankheit bzw. eines Arbeitsunfalls die Kosten der Heilbehandlung sowie der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Ist infolge der SARS-CoV-2-Infektion die Erwerbsfähigkeit gemindert, z. B. durch schwere Verläufe (beispielsweise Z. n. Langzeitbeatmung, Therapie mithilfe der extrakorporalen Membranoxygenierung [ECMO]) oder Spätfolgen (z. B. Long-COVID) kann es u. U. auch zu Rentenzahlungen kommen. Im Todesfall können Hinterbliebene eine Hinterbliebenenrente erhalten.

Insbesondere die Leistungen zur Rehabilitation sind u. U. umfangreicher als die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Fazit für die Praxis

  • Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege haben ein erhöhtes Infektionsrisiko für COVID-19.

  • Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 3101 sind der Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium sowie Krankheitserscheinungen wie z. B. Fieber, Husten und der Nachweis von SARS-CoV‑2 mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR).

  • Bei einem intensiven beruflichen Kontakt mit einer SARS-CoV-2-positiven Person ist u. U. die Anerkennung als Arbeitsunfall möglich.

  • Medizinisches Personal wurde von Anbeginn prioritär gegen COVID-19 geimpft. Erste Daten zeigen, dass durch hohe Impfquoten bei medizinischem Personal die Rate an asymptomatischen und symptomatischen Infektionen signifikant gesenkt werden kann [15, 17]. Aus diesem Grund sollten auch weiterhin möglichst niederschwellige Impfangebote für diese Berufsgruppen vorgehalten werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund der voraussichtlich anstehenden Booster-Impfungen erforderlich.

Prof. Dr. Dr. Sabine Wicker

ist stellvertretende Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO).graphic file with name 108_2021_1106_Figa_HTML.jpg

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Wicker, P. Behrens und R. Gottschalk geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Footnotes

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Literatur


Articles from Der Internist are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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