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. 2021 Aug 30;70(9):18–21. [Article in German] doi: 10.1007/s35127-021-0770-7

"Den Finanzmarkt breiter und tiefer bearbeiten"

Christian Kemper 1,, Swantje Francke 1,
PMCID: PMC8403510

Andreas Wolf, Chief Commercial Officer der Raisin Bank, über den Zusammenschluss seiner Unternehmensgruppe mit Deposit Solutions, die Möglichkeiten im Plattformgeschäft und die Erfolgsfaktoren bei digitalen Finanzgeschäften.

Herr Wolf, Ihr Mutterunternehmen Raisin hat unlängst die Fusion mit Deposit Solutions bekannt gegeben. Was sind die signifikantesten Veränderungen für die Raisin Bank durch die Übernahme?

Von dem Zusammenschluss der beiden früheren Wettbewerber zu Raisin DS profitieren in erster Linie die Raisin-Plattformen Weltsparen und Raisin sowie Zinspilot und Savedo von Deposit Solutions. Die gemeinsame Strategie ist eindeutig auf Wachstum ausgerichtet. Künftig sollen mit einem breiteren Angebot und einem größeren Partnernetzwerk mehr Kunden erreicht werden. Für die Raisin Bank hat die Fusion mit Deposit Solutions vorerst keine Auswirkungen, abgesehen davon, dass wir die gemeinsame Expansion operational unterstützen werden.

Welche Möglichkeiten eröffnen sich über einen in Zukunft gemeinsam zu bearbeitenden Kundenstamm von Deposit Solutions und der Raisin-Gruppe?

Für die Gruppe insgesamt werden sich durch die steigenden Nutzerzahlen auf unseren Plattformen viele Türen öffnen. Die Energie, die früher in den Wettbewerb zwischen Raisin und Deposit Solutions geflossen ist, lenkt das Raisin-DS-Team mit vollem Fokus auf neue Kunden und Partner sowie bessere Angebote für die unterschiedlichen Zielgruppen. Die Kundinnen und Kunden aller unserer Plattformen werden künftig von einer größeren Produktauswahl und mehr Entscheidungsfreiheit profitieren. Überdies können wir den Partnerbanken unserer Gruppe Zugang zu deutlich mehr Kunden bieten. So werden wir den Finanzmarkt breiter und tiefer bearbeiten. Der Raisin Bank wird der Zusammenschluss mittelfristig dazu verhelfen, dass unsere Open-Banking-Plattform besser ausgenutzt werden kann. Denn mehr Geschäft hilft uns bei der operativen Stabilität und trägt zur Kosteneffizienz unserer IT bei.

Welche Wettbewerbsvorteile bringt die jeweils andere Seite in die künftige Zusammenarbeit ein?

Raisin ist mit Weltsparen stärker auf das Retail-Segment in Deutschland fokussiert, also auf das B2C-Geschäft. Deposit Solutions zielt hingegen als B2B-Anbieter vor allem auf hiesige Partner im Bankensektor ab. Dadurch entstehen Überlappungen im Einlagengeschäft, die in den kommenden Monaten definiert und strategisch weiterentwickelt werden. Hier schauen wir uns grundsätzliche Prozesse wie die Kontoeröffnung oder den Zahlungsverkehr an, die redundant verlaufen, und suchen nach Synergien, beispielsweise im Vertrieb.

Die Raisin Bank mit ihrem Banking-as-a-Service-Modell zählt derzeit rund 30 Kooperationen. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese Partner aus?

Die Zahl unserer Kooperationspartner wächst relativ stark. Viele Plattformen bieten ihren Kunden Finanzdienstleistungen an, die in verschiedenen europäischen Ländern lizenzpflichtig sind, hier unterstützt die Raisin Bank mit ihren Lösungen. Mit den ständig neu hinzukommenden Partnerunternehmen verfolgen wir einen Portfolioansatz und versuchen dabei, vor allem mit Fintechs ins Gespräch zu kommen, deren Geschäftsmodell Erfolg versprechend und skalierbar ist. Überdies müssen wir auch prozessual und operativ zusammenpassen. Dazu stellen wir den meisten unserer Partner über unsere Plattform die notwendigen Schnittstellen zu Kunden zur Verfügung und arbeiten die im Geschäftsverlauf anfallenden Prozesse im Backend ab. Zudem müssen unsere Partner die jeweils geltenden nationalen und europäischen regulatorischen Voraussetzungen unterstützen. Natürlich muss die Zusammenarbeit auch kommerziell beiden Seiten Spaß machen. Gemeinsam können wir so stabile und wachsende Unternehmen aufbauen, die Kundenvorteile schaffen. Das funktioniert nicht immer, aber so ist das eben in einem Portfolio.

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Mit dieser Strategie unterscheidet sich die Raisin Bank von traditionellen Geldhäusern, die Fintechs häufig weniger als Partner definieren, sondern als Investitions- und Übernahmeziele. Worin liegt der Vorteil, die Start-ups nicht zu integrieren, sondern in einem Netzwerk zu halten?

Die Raisin Bank versteht sich als ein reiner Dienstleister, der einen lizenzpflichtigen Service für Finanzunternehmen übernimmt. Die Bank soll ein Hilfsmittel sein, um den eigentlichen Zweck der Kunden zu erreichen, zum Beispiel Geld für etwas zu sparen oder einen Kredit für einen Kauf aufzunehmen. Über Plattformen können Verbraucher heute schon online ein Auto kaufen und erhalten die dazu passende Finanzierung sowie die notwendigen Versicherungen im Paket. Dieses aus Kundensicht holistische Angebot wollen wir mit unseren Partnern integriert abbilden und bei Bedarf ausbauen. Wir stellen reibungslose Prozesse zur Verfügung, deswegen kommen unsere Partner zu uns. Und im Sinne von Embedded Finance wollen wir unsere Angebotspalette ständig erweitern.

Wie hat Ihr Haus die von der Corona-Pandemie geprägten vergangenen Monate verkraftet?

Das Corona-Virus hat uns ebenso überrascht wie die ganze Welt, entsprechend herausfordernd waren die vergangenen Monate. Noch im Januar 2020 hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Bank zu 100 Prozent im Remote-Betrieb laufen würde. Wir hatten damals eine starke Präsenzkultur und weder die technologische Ausstattung noch die Erfahrung mit Führung aus der Ferne. Aber wir haben die Zeichen der Zeit früh erkannt und bereits im Februar des vergangenen Jahres die IT-Ausstattung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich aufgestockt. Vom eigenen Laptop mit VPN-Zugang über die notwendigen Sicherheitsprotokolle und den Datenschutz bis hin zu Schulungen und Arbeitsanweisungen waren wir innerhalb von zwei Wochen komplett fürs Homeoffice gerüstet. Es gibt aber auch Themen, die im vergangenen Jahr gelitten haben. Die Weiterentwicklung und das Leben der Unternehmenskultur und des Leaderships sind aus dem Homeoffice deutlich schwerer umzusetzen. Was uns allen im Team wohl am meisten fehlt, ist der informelle Informationsaustausch, der Flurfunk.

Welche Folgen hatte Corona für Ihr Partner-Netzwerk?

Weil wir im Gegensatz zu regionalen Geldhäusern keinen direkten Kundenkontakt am Schalter haben und dort auch keine papierhaften Überweisungsträger entgegennehmen, sondern unsere täglichen Kernprozesse über digitale Schnittstellen laufen, spürten unsere Partner keine Auswirkungen durch Corona. Die Umstrukturierung unserer Teams aufs Homeoffice wurde zu Beginn sehr eng mit täglichen Check-ups begleitet. Dabei wurde erörtert, was läuft und was nicht, und ob es noch an Ausstattung oder Wissen mangelt. Dabei ist die Abstimmung unter den Teams derzeit eher transaktional, die menschliche Komponente leidet etwas.

Laufen bei der Raisin Bank wirklich alle Prozesse digital ab und sind keine menschlichen Handgriffe mehr notwendig?

Der Digitalisierungsgrad ist je nach Geschäftssegment sehr unterschiedlich ausgeprägt. Bei den Konsumentenkrediten ist es tatsächlich so, dass von der Anfrage über die Aufnahme bis zur Auszahlung alles voll digital abläuft. Aus regulatorischen Gründen schaut über die abgelehnten Darlehensanträge allerdings noch eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, denn das dürfen wir aus aufsichtsrechtlichen Gründen nicht automatisiert erledigen. Allerdings handelt es sich bei den manuellen Prüfungen um Einzelfälle, denn unsere Plattform vermittelt die Kunden an unsere Partner bereits nach den passenden Kriterien. Somit wissen wir in der Regel, dass wir deren Anträge annehmen können, auch wenn die finale Prüfung und Entscheidung immer bei der Bank liegen. Anders sieht es bei der Unternehmensfinanzierung aus, wo es in der Regel um Kredite von mehreren Millionen Euro geht. Die dazu notwendigen Verträge werden mit ihren Vertragsbedingungen für den jeweiligen Firmenkunden individualisiert, etwa was zusätzliche Sicherheiten angeht. Diese Passagen schauen sich die Kollegen individuell an und ändern sie bei Bedarf manuell. Diesen Geschäftsbereich nennen wir liebevoll unsere Manufaktur.

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Halten Sie es für sinnvoll, die Unternehmensfinanzierung vollständig digital aufzustellen?

Bei großen Kreditbeträgen ist ein Mittelweg zwischen Standardisierung und Flexibilität am besten. Ein Beispiel für solche Manufakturleistungen sind die von der Raisin Bank unterstützten Transfers von Fußballspielern. Hierfür arbeiten wir mit einem Fonds zusammen, der diese Transfers finanziert, für die Lizenz- und Marketingrechte als von Banken haltbare Sicherheiten dienen. Für solche Dienstleistungen gibt es keine Standardverträge, deren Verarbeitung digital sinnvoll darstellbar wäre. Hingegen gibt es im Retailsegment und im kleinteiligen Geschäft mit kleinen und mittelgroßen Unternehmen, dem SME-Segment, durchaus Kreditprozesse, die effizient zu 100 Prozent standardisiert ablaufen. Das ist vor allem dann unabdingbar, wenn die Darlehen in nahezu Echtzeit ausgezahlt werden sollen. Dann haben wir gar keine andere Wahl, als den Prozess vollständig zu digitalisieren, und einige Kooperationspartner gehen diesen Weg mit uns zusammen.

Wie steht es um Ihr Kreditgeschäft mit Privat- sowie mit Unternehmenskunden in der von der Corona-Pandemie gedrückten konjunkturellen und gesellschaftlichen Situation?

Das Massengeschäft mit Verbraucherkrediten hat sich im vergangenen Geschäftsjahr erstaunlich positiv entwickelt. Und selbst die allermeisten Firmen in Deutschland sind trotz der Krise weiter gewachsen. Entsprechend hat auch die Unternehmensfinanzierung über unser Kredit-Servicing gemessen an den entrichteten Provisionen zugelegt. Zwischenzeitlich gab es gewisse - positive wie negative - Sondereffekte, etwa bei manchen unserer Factoringpartner sowie jenen, die das Finanzierungsmodell Buy now, Pay later (BNPL) anbieten. Doch auch deren Geschäft ist inzwischen auf normales Wachstumsniveau zurückgekehrt. Eine dauerhafte Krise in der Corona-Zeit hat keiner unserer Partner gespürt.

Die Unternehmensfinanzierung haben viele Finanzinstitute unter besonderer Beobachtung, da vermehrt notleidende Kredite für das kommende Jahr erwartet werden. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?

Ich glaube, dass die Corona-Hilfen ebenso wie die zwischenzeitliche Anpassung des Insolvenzrechts zu einer Verzerrung der Einschätzung von wirtschaftlichen Risiken geführt haben. Insofern rechne ich durchaus mit einzelnen Ausfällen. Unser eigenes Kreditengagement ist in diesem Bereich sehr gering. Und auch bei unseren Partnern erwarte ich keine existenzbedrohenden Situationen. Zwar hat keiner unserer Partner, die in den vergangenen zehn Jahren eine Finanzierungsplattform gegründet haben, schon eine echte Krise mit Ausfällen erlebt. Die meisten Anbieter, die Kredite über unsere Banking-as-a-Service-Plattform vergeben, haben aber eine relativ gute Risikostreuung in ihren Beständen und ihre Einzelengagements in den vergangenen Monaten angepasst.

Wie führen Sie traditionelle Finanzdienstleistungen wie das Kreditgeschäft in die nächste Generation?

Was derzeit im deutschen Bankensektor und auch im hiesigen Fintech-Bereich passiert, ist keine Revolution, sondern eher eine Evolution von Finanzdienstleistungen. Und wir sind gut darin, diese Evolution zu begleiten. Über unsere Schnittstellen können wir Services kosteneffizient, ereignisbasiert sowie nahezu in Echtzeit anbieten. Ein Beispiel: Wenn also heute ein Weltsparen-Kunde einen hohen Geldbetrag auf sein Konto bei der Raisin Bank überweist, dann bekommen meine Berliner Kollegen das wenige Millisekunden später mit und können umgehend das Gespräch über Vermögensanlagen beginnen. Ebenso können wir Kreditanträge komplett digital und in nahezu Echtzeit entscheiden. Diese Orientierung am Kundenverhalten schafft einen Mehrwert für beide Seiten. Diese Services können wir mit unserer noch relativ jungen IT und der sehr modernen Plattform mit ihren Schnittstellen darstellen. Viele traditionelle Geldhäuser mit entsprechender Komplexität haben nur begrenzte Möglichkeiten für eine derartige technische Integration. Zwar sind Standard-Schnittstellen kein Geschäftsgeheimnis, aber ein Pferdewagen ist eben nicht für einen Rennwagen-Motor gemacht.

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Wie können dennoch traditionelle Finanzinstitute und innovative IT zusammenkommen?

Viele Geldhäuser leiden an historischen Kernbanksystemen, in welchen auch die regulatorischen Prozesse tief integriert sind. Natürlich kann auch ein altes IT-System über entsprechende technologische Hilfsmittel mit modernen Schnittstellen und Schichten mit Business-Logik ausgestattet werden. Dazu muss an das alte Haus der ein oder andere Erker angebaut werden. Doch irgendwann sind es zu viele Anbauten und die Statik des gesamten Gebäudes gerät ins Wanken. Statt also bloß einzelne Prozesse und Tools IT-technisch zu renovieren, wäre es ein wirklich mutiger Schritt, zumindest für einen Teil des Geschäfts auf ein neues Kernbanksystem umzusatteln. Das wiederum trauen sich nur wenige Banken, weil sie nicht bereit sind, konsequent historisch aufgebaute Komplexität zu reduzieren. Leider sehen wir genau aus diesem Grund oft Mammutprojekte, die sehr teuer werden sowie mit einer nicht allzu geringen Wahrscheinlichkeit scheitern.

Die Raisin-Gruppe ist auf Expansion angelegt. Welche Wachstumsfelder hat sich Ihr Geldhaus vorgenommen?

Raisin und Deposit Solutions haben bislang unterschiedliche geografische Ziele verfolgt. Raisin ist in Deutschland, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, in Italien und Irland sowie seit vergangenem Jahr auch in den USA aktiv. Deposit Solutions ist ebenfalls 2020 in den USA gestartet und zusätzlich noch auf dem Schweizer Markt unterwegs. Bestimmt wird es in Zukunft Überlegungen geben, wo eine gemeinsame geografische Expansion noch sinnvoll sein könnte. Was die bereits erwähnte geplante Ausweitung der Produktpalette angeht, wollen wir gemeinsam Lösungen für jeden Geldbeutel und in allen Anlageklassen sowie für alle Investmenthorizonte anbieten. Niemand soll vom Finanzmarkt und von den positiven Chancen eines europäischen Binnenmarkts ausgeschlossen werden.

Während immer neue Fintechs den Markt betreten, zeigt die Fusion von Raisin mit Deposit Solutions, dass im bestehenden Umfeld ein Bündelungsprozess im Gange ist. Was zeichnet Ihrer Meinung nach einen wettbewerbsfähigen Finanzdienstleister heutzutage aus?

Aus der Perspektive einer etablierten Bank ist ein funktionierendes Geschäftsmodell am wichtigsten, um zu überleben. Für den Erfolg eines Start-ups muss es darum gehen, eine Finanzdienstleistung anzubieten, die dem Kunden einen Mehrwert bietet, für den er bereit ist, Geld zu bezahlen. Allerdings kenne ich kaum ein Fintech, dessen Geschäftsmodell sich in den ersten Jahren nicht noch einmal deutlich verändert hat. Somit geht es bei erfolgreichen Unternehmensgründungen auch darum, dass sie auf sich verändernde Marktbedingungen, etwa die Kundenbedürfnisse oder neue regulatorische Vorgaben, reagieren können. Daher ist das Team ebenso wichtig wie die Idee.

Wie gehen Sie bei Raisin mit der strengen Regulatorik und der Finanzaufsicht hierzulande um?

Derzeit jagt in der Europäischen Union eine regulatorische Novelle die nächste. Dabei ist nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Uneinheitlichkeit herausfordernd. Es gibt mehrere Fälle, in denen nationale Standards sehr unterschiedlich sind oder aber eigentlich für alle Mitgliedstaaten geltende europäische Standards nicht einheitlich umgesetzt werden. Die Raisin Bank muss andere Standards für das Onboarding ausländischer Kunden einhalten als jeweilige nationale Wettbewerber. Selbst in Deutschland gelten für ausländische Finanzdienstleister andere Standards als für uns. Das Interview führten Christian Kemper und Swantje Francke in Frankfurt am Main.

Kompakt.

  • Name: Raisin Bank

  • Hauptsitz: Frankfurt am Main

  • Niederlassungen: keine

  • Mitarbeiter: 60

  • Bilanzsumme: 1 Mrd. Euro

Contributor Information

Christian Kemper, Email: bankmagazin@springernature.com.

Swantje Francke, Email: bankfachklasse@springernature.com.


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