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editorial
. 2021 Dec 7;17(8):777–779. [Article in German] doi: 10.1007/s11428-021-00827-8

Mit Big Data zu einer gezielteren Diabetes-Prävention und -Therapie

Using Big Data for more precise diabetes prevention and therapy

Astrid Glaser 1, Martin Hrabě de Angelis 1,2,3,
PMCID: PMC8649314

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Digitalisierung und Big Data ermöglichen gezieltere und individualisierte Diabetesprävention und -therapie

Die Digitalisierung, moderne Informationstechnologien sowie die Auswertung großer Datenmengen auch unter Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) mit maschinellem Lernen ermöglichten in den vergangenen Jahren wichtige Durchbrüche in der Diabetesforschung. Mithilfe der Clusteranalyse1 wurden in großen internationalen Kohorten verschiedene Diabetessubtypen identifiziert [1]. Ergebnisse aus der Deutschen Diabetes Studie deuten darauf hin, dass je nachdem, zu welchem Diabetessubtyp die Patientinnen und Patienten gehören, sie auch ein unterschiedlich hohes Risiko für Komorbiditäten und Komplikationen aufweisen [2]. Eine aktuelle Studie des DZD (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung) zeigt, dass bereits bei Menschen im Vorstadium des Typ-2-Diabetes (Prädiabetes) 6 klar abgrenzbare Subtypen identifiziert werden können, die sich in der Krankheitsentstehung, dem Risiko für Diabetes und der Entwicklung von Folgeerkrankungen unterscheiden [3]: Durch ein niedriges Diabetesrisiko zeichnen sich 3 dieser Gruppen aus, während die anderen 3 Subtypen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes bzw. dessen Folgeerkrankungen einhergehen.

Identifikation von Subtypen – ein wichtiger Schritt zur Präzisionsmedizin

Diese neuen Klassifikationen sind wichtige Schritte in Richtung einer Präzisionsmedizin. Sie können künftig nicht nur eine differenzierte Einteilung und eine damit verbundene präzisere Therapie von Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes ermöglichen, sondern auch eine gezieltere Prävention oder frühzeitige Behandlung der Stoffwechselerkrankung sowie der diabetesbedingten Folge- und Begleitkrankheiten. Um noch mehr bisher unerkannte Muster in den großen Datensätzen identifizieren und daraus eine präzisere Therapie und Prävention ableiten zu können, wurde vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung das Daten- und Wissensportal DZDconnect gestartet. Hier werden u. a. DZD-Daten aus der Grundlagenforschung und aus klinischen Studien standort-, disziplin- und speziesübergreifend mit externem Wissen verknüpft, wie Dedie et al. in dieser Ausgabe beschreiben.

Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen

Moderne Informationstechnologien wie KI und besonders der Teilbereich des maschinellen Lernens können auch helfen, die Diabetesforschung sowie -diagnose zu verbessern. Mit Techniken des maschinellen Lernens („deep learning methods“) gelang es Computerbiologiespezialistinnen und -spezialisten („computational biology experts“) des DZD-Partners Helmholtz Zentrum München, Retinopathien besser zu klassifizieren. Sie trainierten den Computer darauf, kranke und gesunde Augen zu erkennen und die Patientinnen und Patienten entlang der Schwere und des Fortschreitens der Erkrankung einzuordnen [4]. Auch andere Gruppen arbeiten an Systemen zum Netzhautscreening, um diabetische Veränderungen an der Netzhaut zu erkennen. Bereits 2018 ließ die amerikanische Gesundheitsbehörde („U.S. Food and Drug Administration“ [FDA]) ein erstes System zur Anwendung künstlicher Intelligenz zur Retinopathiediagnostik zu. Methoden des maschinellen Lernens halfen auch, den Risikoscore für Typ-1-Diabetes (T1D) deutlich zu verbessern. Der neue Risikotest bezieht bis zu 41 Typ-1-Diabetes-Risikogen-Regionen ein [5, 6]. So können Kinder identifiziert werden, die ein mindestens 25-fach erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes haben. Der Test kommt bereits in einem europaweiten Präventionsprojekt zu Typ-1-Diabetes zum Einsatz. Diese und weitere Anwendungen von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen in der Diabetesforschung beschreiben Phong et al. in diesem Schwerpunktheft.

Digitalisierung: Eröffnung von Chancen in der Versorgung

Aber nicht nur in der Diabetesforschung, sondern auch in der medizinischen Versorgung eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten – etwa mit dem Einsatz von Programmen zur Analyse von Glukosedaten, der Unterstützung durch künstliche Intelligenz bei Diagnostik- und Therapieentscheidungen, Onlinesprechstunden, Closed-Loop-Systemen, Onlineangeboten zur Prävention des Typ-2-Diabetes oder speziellen Apps.

Diese zunehmende Digitalisierung in der Diabetologie kommt bei den Behandelnden gut an – das zeigt eine Umfrage im aktuellen Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes (D.U.T): Mehr als 80 % der befragten Diabetologinnen und Diabetologen beurteilten die Digitalisierung in der Diabetologie positiv [7]. Auch die befragten Patientinnen und Patienten haben insgesamt eine sehr positive Einstellung zur Digitalisierung in der Diabetologie (83 %) – besonders hoch ist die Zustimmung bei Eltern von Kindern mit Diabetes (90 %) und Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes (85 %). Und die digitale Entwicklung geht weiter – so werden u. a. KI-gestützte Entscheidungssysteme für Ärztinnen und Ärzte, aber auch für Menschen mit Diabetes in Zukunft immer mehr Verbreitung finden, wie B. Kulzer in seinem Beitrag beschreibt.

Elektronische Diabetesakte und mögliche Optimierung der Behandlung

Die Digitalisierung kann hier in Zukunft aber noch mehr leisten. Mit der Entwicklung einer elektronischen Diabetesakte mit angeschlossenem Register (eDA-DDG) möchte die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) Menschen mit Diabetes eine Ergänzung zur elektronischen Patientenakte (ePA) bieten, um die Versorgung weiter zu verbessern und die Forschung mit versorgungsnahen Daten im Bereich der Diabetologie zu fördern. Bisher werden die bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes erhobenen Daten noch nicht systematisch erfasst, flächendeckend ausgewertet und für eine Behandlungsoptimierung genutzt. Das soll die eDA-DDG ändern. Sie kann die Erhebung strukturierter versorgungsnaher Daten direkt aus dem Versorgungsprozess ermöglichen und so auch helfen, die phänotypische Heterogenität des Diabetes mellitus und seiner Folgeerkrankungen besser zu verstehen. Darüber hinaus soll die eDA-DDG Menschen mit Diabetes eine standardisierte, auswertbare, leitlinienbasierte Versorgung nach Standards der Nationalen VersorgungsLeitlinie und der DDG, unabhängig von der jeweiligen Krankenkasse, den Regionen, Ballungsgebieten oder der verfügbaren Dichte von Ärztinnen und Ärzten sichern [8]. Dazu werden die Behandlungsdaten nach internationalem und interoperablem Standard automatisch strukturiert erfasst, zeitgerecht mit bedarfsorientierten leitlinienbasierten Empfehlungen sowie anderen digitalen Gesundheitsanwendungen gekoppelt und wissenschaftlich evaluiert. Entsprechend den Vorgaben für die ePA entscheiden Menschen mit Diabetes selbst, welche Daten und Dokumente freigegeben werden. Zurzeit wird für die eDA-DDG mit angeschlossenem Register ein Pilot erstellt, berichten Verket et al. in diesem Schwerpunkt.

Weitergabe von Daten an die Forschung und Vorteile hieraus

Digitalisierung und moderne IT-Verfahren (IT: Informationstechnologie) verbessern die Gesundheitsforschung und das Versorgungssystem. Damit Datenanalysen aber ihr Potenzial voll entfalten können, benötigt die Forschung qualitativ hochwertige Daten, und zwar in großen Mengen. Doch Gesundheitsdaten sind äußerst sensibel, Datenschutz und -sicherheit sind hier von herausragender Bedeutung. Um den digitalen Innovationen zu vertrauen, müssen die Bürgerinnen und Bürger deren Nutzen erkennen und souverän mitbestimmen können, wer ihre Daten zu welchem Zweck nutzen darf. Zudem gilt es, wichtige ethische und rechtliche Rahmenbedingungen datengestützter Verfahren in der Medizin zu klären, auch hinsichtlich des Einsatzes von KI. Wie dies umgesetzt und Menschen aktiv miteingebunden werden können, stellte das Forum Gesundheitsforschung in einem Strategiepapier zusammen. Es wurden konkrete Empfehlungen erarbeitet, um digitale Daten für die Gesundheitsforschung nutzen zu können [9].

Die Beispiele aus der Diabetesforschung, aber auch die aktuelle COVID-19-Pandemie (COVID-19: „coronavirus disease 2019“) machen deutlich, wie wichtig Daten sind, um Krankheiten präziser diagnostizieren sowie gezielter vermeiden und behandeln zu können. In großen Datenmengen lassen sich Muster erkennen, die sonst verborgen bleiben. Erst wenn Daten in einen größeren Zusammenhang gestellt werden, können neue Lösungen gefunden werden – und davon profitiert dann auch wieder der Einzelne, der seine Daten der Forschung überlassen hat – etwa durch eine präzisere Prävention und Therapie.

Interessenkonflikt

A. Glaser und M. Hrabě de Angelis geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Footnotes

1

Die Clusteranalyse (Clustering-Algorithmen) ist ein Verfahren, mit dem man anhand vorgegebener Kriterien und Merkmale die Untersuchungsobjekte (z. B. Personen) gruppieren kann. Die so gefundenen Gruppen – auch Cluster genannt – enthalten dann jeweils Fälle, die sich ähnlich sind. Ein gebildetes Cluster soll in sich maximal homogen sein, sich aber gleichzeitig von den anderen Clustern so stark wie möglich unterscheiden. Die Clusteranalyse ermöglicht u. a. auch einen besseren Überblick über sehr große Datensätze.

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Literatur

  • 1.Ahlkvist E, et al. Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol. 2018;6(5):361–369. doi: 10.1016/S2213-8587(18)30051-2. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
  • 2.Zaharia O, et al. Risk of diabetes-associated diseases in subgroups of patients with recent-onset diabetes: a 5-year follow-up study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2019;7(9):684–694. doi: 10.1016/s2213-8587(19)30187-1.. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
  • 3.Wagner R, et al. Pathophysiology-based subphenotyping of individuals at elevated risk for type 2 diabetes. Nat Med. 2021;27:49–57. doi: 10.1038/s41591-020-1116-9. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
  • 4.Eulenberg P, et al. Reconstructing cell cycle and disease progression using deep learning. Nat Commun. 2017;8:463. doi: 10.1038/s41467-017-00623-3. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
  • 5.Winkler C, et al. Feature ranking of type 1 diabetes susceptibility genes improves prediction of type 1 diabetes. Diabetologia. 2014;57:2521–2529. doi: 10.1007/s00125-014-3362-1. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
  • 6.Bonifacio E, et al. Genetic scores to stratify risk of developing multiple islet autoantibodies and type 1 diabetes: a prospective study in children. PLoS Med. 2018 doi: 10.1371/journal.pmed.1002548. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
  • 7.Müller-Wieland D, Ickrath M. Die elektronische Diabetesakte eDA der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) Diabetologe. 2021;17:260–264. doi: 10.1007/s11428-021-00746-8. [DOI] [Google Scholar]
  • 8.Kulzer B, Heinemann L, editors. Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes. Mainz: Kirchheim; 2021. [Google Scholar]
  • 9.Strategiepapier „Nutzbarmachung digitaler Daten für KI- und datengetriebene Gesundheitsforschung“. https://www.dlr.de/pt/Portaldata/45/Resources/Dokumente/GF/Strategiepapier_Nutzbarmachung_digitaler_Daten.pdf. Zugegriffen: 12. Nov. 2021

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