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editorial
. 2021 Aug 23;63(9):e3. doi: 10.1111/dmcn.14987

Eltern von Kindern mit Behinderungen und die COVID‐19‐Pandemie

Ihre Majestät Königin Mathilde
PMCID: PMC8653361  PMID: 34651311

Die COVID‐19‐Pandemie zwang Behörden und Institutionen dazu, dringende Maßnahmen allgemeiner Art zu ergreifen, einschließlich der Einschränkung sozialer Kontakte und der Absperrung öffentlicher Plätze, um die Verbreitung des Virus zu verhindern. Wir können jetzt deutlich sehen, was unzureichend vorausgesehen und geplant wurde. Quarantäne‐ und andere Präventivmaßnahmen hatten oft schmerzhafte Folgen für diejenigen, die ohnehin schon ein schwierigeres Leben hatten – die Benachteiligten und Schwachen und die Menschen in ihrem Umfeld.

Im Zusammenhang mit der Pandemie standen Eltern und Betreuer von Kindern mit Behinderungen oder komplexen chronischen Erkrankungen vor noch nie dagewesenen, manchmal unüberwindbaren Dilemmata. Schulen und Pflegeheime schlossen ihre Pforten, die ambulante Versorgung war stark beeinträchtigt. Eltern und Betreuer mussten selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder aus der Betreuung herausnehmen und ins Elternhaus zurückbringen oder ob sie sie in ihrem gewohnten Lebensumfeld lassen, wo Besuche und andere soziale Kontakte drastisch eingeschränkt oder verboten wurden. In einigen Fällen wurde die Unterstützung für die häusliche Pflege eingestellt und viele Aspekte des täglichen Lebens wurden für lange Zeit ausgesetzt, ohne Aussicht auf Normalisierung. Einschränkungen beim Einkaufen, z. B. durch eine unbegleitete Person, verstärkten diese Herausforderungen. Diese Maßnahmen basierten zu Recht auf Expertenwissen und sind in der Tat Maßnahmen des gesunden Menschenverstandes, aber ihre Auswirkung hat sich für die Familien von Kindern mit Behinderungen möglicherweise als unvorhersehbar erwiesen.

Die tägliche Realität für diese Eltern kann zu körperlicher und geistiger Erschöpfung führen. Die Belastungen und Verantwortlichkeiten, denen sie in gewöhnlichen Zeiten ausgesetzt sind, sind noch schwerer und komplexer geworden. Zusätzlich zu den Stunden, die sie mit Telearbeit und der Betreuung von Geschwisterkindern verbringen, müssen sie die Aufgaben von professionellen Betreuern und Erziehern übernehmen, und das in einer häuslichen Umgebung und mit einer Ausstattung, die oft ungeeignet ist. In diesen Situationen benötigt ein Kind oder Jugendlicher, der sozial oder emotional aus dem Rahmen fällt, ständige Aufmerksamkeit. Familiäre Spannungen können verschärft werden, besonders wenn die übliche Unterstützung durch Großeltern und andere Familienmitglieder fehlt.

Eltern berichten von latenten Schuldgefühlen über die Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen und ihre Unfähigkeit, all diese neuen Rollen zu übernehmen. Die soziale Isolation, die sie in gewohnten Zeiten oft erleben, wird dadurch noch verstärkt. Müdigkeit ist häufig. Aber sie erzählen auch von den vielen Formen der Ohnmacht, die sie empfinden, wenn es darum geht, ihre Batterien wieder aufzuladen, den Alltag reibungslos zu bewältigen, verständliche, zielgerichtete und kohärente Informationen über die Maßnahmen zu erhalten, die sie betreffen, und vorhandene Ressourcen für Beratung, Unterstützung und Erholung zu finden. Vor allem sind die meisten von ihnen nicht in der Lage, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie eine flexible Anwendung der Präventionsmaßnahmen fordern, die ihre spezifische Situation und Bedürfnisse sowie die ihrer Kinder und der erweiterten Familie berücksichtigt.

Die Pandemie hat die unterschiedlichen Realitäten und Ungleichheiten, die in der Gesellschaft bestehen, verschärft und hervorgehoben. Kohärente Einschätzungen und Lehren für die Zukunft nehmen nun, wenn auch langsam, Gestalt an. Die Nachwirkungen der Pandemie sollten zu einem tieferen Nachdenken führen: einerseits über das psychische und physische Wohlbefinden von Eltern behinderter Kinder, nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch während ihres gesamten Lebens; und andererseits über die Möglichkeiten für Dialog, Unterstützung und Erholung, zu denen sie Zugang haben sollten.

Gesundheit in all ihren Aspekten ist eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Die psychische Gesundheit gehört natürlich dazu, aber sie erhält bei weitem nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Als Verfechter dieser Ziele möchte ich insbesondere dazu beitragen, das Bewusstsein für die Bedeutung der psychischen Gesundheit auf nationaler und internationaler Ebene zu schärfen. Die COVID‐19‐Pandemie und die internationale Reaktion darauf haben uns die Augen für die Notwendigkeit geöffnet, Gleichgültigkeit und Stigmatisierung zu beenden, Empathie zu fördern und vor allem den Zugang zu psychosozialer Versorgung und Unterstützung für alle zu gewährleisten, die sie benötigen.


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