Hintergrund & Fragestellung: Die Coronavirus-Pandemie beschleunigte die Entwicklung von Impfstoffen, die innerhalb weniger Monate weltweit millionenfach eingesetzt wurden Mit zunehmendem Einsatz wurden in der Presse Fall- und retrospektive Berichte über z. T. bedeutsame Nebenwirkungen dieser Impfstoffe publiziert. Zur objektiven Beurteilung der tatsächlichen Gefahren einer solchen Impfung sind aber klinische Studien oder besser vergleichende Datenbankanalysen, z. B. über das Vaccine-Adverse-Event-Reporting-, das Safety-Platform-for-Emergency-Vaccines- oder das Biologics-Effectiveness-and-Safety(BEST)-System als Teil der Sentinel-Initiative nötig. Gut geeignet für das Erkennen von Medikamenten-Nebeneffekten der Substanzen auf dem Markt sind zudem Post-Marketing-Studien. Studien mit dem BNT162b2-Impfstoff (Pfizer/BioNTech, Comirnaty®) ergaben versus Placebo ein leichtes Überwiegen folgender Erkrankungen: Appendizitis, allergische Reaktion, akuter Myokardinfarkt und zerebrovaskuläre Komplikationen [1, 2]. Während placebokontrollierte Studien und sog. Real-world-Studien die klinische Effektivität von Corona-Impfstoffen bewiesen, wurden bisher kaum Post-Marketing-Studien an großen Kohorten zur Frage möglicher Nebeneffekte der Impfstoffe publiziert [3, 4]. Diese Lücke versuchten Barda et al. durch eine Analyse von Gesundheitsdaten der Clalit Health Services, einer großen israelischen Krankenversicherung, zu schließen.
Patienten + Methoden: Es wurden die Krankenversicherungsdaten von mit BNT162b2 geimpften Personen mit denen verglichen, die keinen Impfstoff erhielten. Da im Clalit Health Services über 4,7 Mio. Einwohner Israels (ca. 52 % der Bevölkerung) versichert sind und alle Gesundheitsdaten digitalisiert vorliegen, können die Impfdaten mit den Krankheitsdaten individuell verglichen werden. Wichtige Einschlusskriterien für die Analyse waren: Alter ≥ 16 Jahre, gesund, keine SARS-CoV-2-Kontakte, Krankenkassenmitglied ≥ 1 Jahr. Analysiert wurden je Gruppe gut 880.000 Persone. Von den 880.000 nicht geimpften Personen in der Kontrollgruppe wurden in der Beobachtungsphase 234.000 doch noch geimpft und in die Impfkohorte übernommen. In einer zweiten großen Analyse wurden SARS-CoV-2-positive Patienten untersucht. Verglichen wurden darin nicht Geimpfte, aber mittels PCR positiv Getestete, mit nicht Infizierten/nicht Geimpften. Jede Gruppe in dieser zweiten Analyse umfasste etwa 173.000 Patienten. Der Analysezeitraum betrug 42 Tage.
Ergebnisse: Myokarditis, Lymphadenopathie, Appendizitis und Herpes zoster waren die Erkrankungen, die im Placebovergleich nach einer BNT162b2-Impfung am häufigsten auftraten (▶Tab. 1).
Erkrankung | Risk Ratio | 95%-KI | Häufigkeit/100.000 |
---|---|---|---|
Myokarditis | 3,24 | 1,55-12,44 | 2,7 |
Lymphadenopathie | 2,43 | 2,05-2,78 | 78,4 |
Appendizitis | 1,40 | 1,02-2,01 | 5,0 |
Herpes zoster | 1,43 | 1,20-1,73 | 15,8 |
Eine medizinische Bewertung dieser Impfnebenwirkung ist aber nur wirklich möglich, wenn man die Häufigkeit dieser Erkrankungen denen bei COVID-19 gegenüberstellt. So erhöhte sich z. B. durch eine manifeste COVID-19 das Risiko (Risk Ratio) für eine Mykoarditis um den Faktor 18,28 (95%-KI 3,95-25,12) was einer Inzidenz von 11,0/100.000 entspricht. Nur die Inzidenzen von Lymphadenopathie (3/100.000) und Zoster (9/100.000) lagen in der COVID-Gruppe unter der der geimpften Gruppe. Weitere COVID-19-Komplikationen waren in dieser Studie: Arrhythmien (166,1/100.000), akutes Nierenversagen (125,4 /100.000), Lungenembolien (61,7/100.000), tiefe Beinvenenthrombosen (43,0/100.000), Myokardinfarkte (25,1/100.000), Perikarditiden (10,9/100.000) und intrazerebrale Blutungen (7,6/100.000). Eine Gegenüberstellung dessen, was gleich oft als Impfnebenwirkung und COVID-19-assoziierte Erkrankung auffiel, zeigt ▶Abb. 1.
Schlussfolgerung: Außer Lymphadenopathie und sehr selten Herpes zoster war COVID-19 mit wesentlich mehr Erkrankungsrisiken behaftet als die BNT162b2-Impfung, deren Nebenwirkungspozential bei den gleichen Erkrankungen deutlich niedriger lag oder nicht detektierbar war. BNT162b2 ist nach dieser Analyse zwar nicht nebenwirkungsfrei, aber substanziell harmloser als COVID-19, die zu 88 % (Delta-Variante) bis 95 % (Alpha-Variante) durch diesen Impfstoff verhindert wird.
Kommentar von Prof. Dr. med. Adrian Gillissen.
Methodische Unschärfen rütteln nicht am Ergebnis
Diese Studie stellt im Real-life-Setting die Häufigkeit wichtiger Erkrankungen, die mit der BNT162b2-Impfung assoziiert zu sein scheinen, in Perspektive mit den bei COVID -19 auftretenden Erkrankungen. Erst durch eine solche an einer großen Kohorte erfolgten vergleichenden Analyse kann man das tatsächliche Impfrisiko gegenüber dem Krankheitsrisiko einer mittels PCR belegten SARS-CoV-2-Infektion abschätzen. Manche statistische Assoziation erscheint fragwürdig, z. B. die eines Herpes zoster oder einer Appendizitis, was durch die fehlende Häufigkeitsdifferenz zwischen den Analysegruppen (▶Abb. 1) erhärtet wird. Hier scheint keine Abhängigkeit zu bestehen. Grundsätzlich ist bei solchen Datenbankanalysen immer Vorsicht geboten, da statistische Korrelation nicht notwendigerweise auch kausale Abhängigkeit bedeutet, sondern zufällig oder durch indirekte Abhängigkeit aufgetreten sein kann. Viel Aufmerksamkeit erhielt die Myokarditis als potenzielle Impfnebenwirkung. Das höchste Risiko hatten mit 90,9 % junge Männer (20-34 Jahre). Die breit diskutierte Häufung von Thrombembolien nach Corona-Impfung konnte diese Studie hingegen nicht bestätigen.
Die wesentlichen Nachteile der Studie ergaben sich aus der Methodik. So handelte es sich um eine Datenbankanalyse, die keine Fallrandomisierung erlaubt. Die Fallzuordnung erfolgte nach statistischen Kriterien und nicht nach dem Zufallsprinzip randomisierter Studien. Von vornherein wurden bestimmte Bevölkerungsgruppen exkludiert. Die Diagnosen wurden von den digitalen Krankenakten übernommen und nicht medizinisch evaluiert. Die berichteten Diagnosen wurden alle neu registriert, was aber nicht ausschloss, dass diese vor der Impfung/der COVID-Erkrankung existierten, sodass deren Inzidenz möglicherweise überschätzt sein könnte.
Diese Studie hilft in der Risikoabschätzung vor allem denjenigen, die einer Corona-Impfung kritisch gegenüberstehen. Sie haben die Wahl zwischen einem impfungsinduzierten Schutz, der nicht völlig risikofrei ist, und einer manifesten COVID-19, die mit einem wesentlich höheren Risiko und einer Fülle von lebensbedrohlichen Folgen verbunden ist. Damit bleibt es auch bei BNT162b2 bei der uralten medizinischen Erkenntnis, dass keine wirksame Substanz 100 % risikolos ist, aber die Alternative einer manifesten Infektion auf jeden Fall die schlechtere Wahl.
Prof. Dr. med. Adrian Gillissen, M.Sc.
Klinikum am Steinenberg / Ermstalklinik Reutlingen-Bad Urach, gillissen_a@klin-rt.de
Originalie.
Barda N, Dagan N, Ben-Shlomo Y et al. Safety of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Setting. N Engl J Med. 2021;385(12): 1078-90
Literatur
- 1.FDA. Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee: Dec 10, 2020 meeting announcement. (https://bit.ly/3voNFde)
- 2.Polack FP, Thomas SJ, Kitchin N et al. N Engl J Med. 2020;383:2603-15 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 3.Dagan N, Barda N, Kepten E et al. N Engl J Med. 2021;384:1412-23 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 4.Hall VJ, Foulkes S, Saei A et al. Lancet. 2021;397:1725-35 [DOI] [PMC free article] [PubMed]