Fragestellung: Welchen Nutzen und welche Risiken hat ein Closed-Loop-System (Glukosesensor, Insulinpumpe, Software mit adaptivem Algorithmus zur Steuerung der Insulinabgabe) bei Typ-2-Diabetespatienten mit Notwendigkeit eines Nierenersatzverfahrens bei terminaler diabetischer Nephropathie im ambulanten Setting?
Hintergrund: Trotz breiterer Therapiemöglichkeiten und verbesserter Blutzuckereinstellung ist die diabetische Nephropathie nach wie vor Hauptursache der terminalen Niereninsuffizienz bei Dialysepatienten. Die Mortalität nach Dialyseeinleitung wird vorwiegend durch kardiovaskuläre und infektiologische Komplikationen bedingt. Dennoch bedeutet eine gute Blutzuckerkontrolle auch bei terminaler Niereninsuffizienz eine verbesserte Prognose.
Bei zunehmender Niereninsuffizienz manifestiert sich eine Vielfalt zusätzlicher Einflussfaktoren auf den Blutglukosespiegel. Hierzu zählen endogene Variablen wie die Urämie (erhöhte Insulinresistenz, erhöhte hepatische Glukoneogenese, verringerte Insulinsekretion bei Azidose), die verringerte bis zum Teil komplett fehlende renale Glukoneogenese, Effekte auf die renale Glukose-Reutilisation/-Reabsorption und die deutlich verlängerte Insulinhalbwertszeit aufgrund einer reduzierten hepatischen und insbesondere renalen Insulin-Clearance. Letztere gilt als variabel und betrifft ca. 30-80 % des zu metabolisierenden Insulins, sodass sich klinisch notwendige Insulindosen bei einer eGFR <50 ml/min/1,73 m² um 25 % bzw. weitere 50 % bei <10 ml/min/1,73 m² reduzieren [1, 2]. Empirisch lässt sich zudem berichten, dass 30-40 % aller insulinierten Diabetespatienten nach Einleitung einer Dialyse gar kein Insulin mehr benötigen. Exogen bedingt die Hämodialyse an sich über die Reduktion der Urämie eine rasch verbesserte Insulinsensitivität. Zusammen mit der Dialysatglukose (100 mg/dl) resultiert letztendlich eine ca. 35%ige Absenkung der Blutglukose 120 min nach Hämodialysebeginn und ein um 25 % reduzierter Insulinverbrauch an Dialysetagen [1, 3].
Aufgrund der interindividuell nur schwer berechenbaren Ausprägung der erwähnten Einflüsse erfolgt die Insulintherapie nach Einleitung einer Dialyse klinisch mehr oder weniger nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip. Etablierte Algorithmen existieren nicht. Umso interessanter erscheint der Einsatz einer automatisierten antihyperglykämischen Therapie.
Patienten und Methoden: 26 Patienten mit Typ-2-Diabetes (m/w: 17/9, Alter: 68 ± 11 Jahre, Diabetesdauer: 20 ± 10 Jahre. HbA1c: 7,2 ± 1,3%, Insulinpflichtigkeit: 12,2 ± 6,4 Jahre, Dialysepflichtigkeit: durchschnittlich 1,5 Jahre ) wurden entweder mittels der etablierten Standardinsulintherapie (Kontrollgruppe) oder einem kontinuierlichen Closed-Loop-System (Android-Smartphone mit CamDiab-App, adaptive Cambridge Software + Diabecare Insulinpumpe mit Insulin Fiasp®) über jeweils 20 Tage in einer Cross-Over-Studie auf den primären Endpunkt TIR ("time in target glucose range": 5,6-10,0 mmol/l) und sekundäre Endpunkte wie Glukosewerte ober-/unterhalb der TIR, schwere Hypo-/Hyperglykämien, Insulindosis sowie die Streuung der Glukosewerte analysiert. Jeweils 13 Patienten wurden der Reihenfolge der beiden Interventionen in der Cross-Over-Studie zugelost.
Ergebnisse: Die Rekrutierung wurde wegen a) durch den Brexit bedingten Sponsorenproblemen und b) der Covid-19-Pandemie vor Erreichen der geplanten Probandenzahl beendet. Die Auswaschperiode zwischen den beiden getesteten Insulintherapien betrug im Mittel 17 ± 5 Tage. Die Probanden wurden mit einer Ausnahme (Peritonealdialyse) allesamt mittels Hämodialyse behandelt. Bei letzterer waren die interdialytischen Gewichtszunahmen bei beiden Gruppen identisch (1,7 bis 1,8 kg). Die TIR und die mittlere Blutglukose konnte in der Interventionsgruppe mit Closed-Loop-System signifikant gesteigert werden (52,8 ± 12,5 % vs. 37,7 ± 20,5 % bzw. 10,1 ± 1,3 vs. 11,6 ± 2,8 mmol/l). Patienten waren während der Closed-Loop-Phase somit im Mittel 3,5 zusätzliche Stunden täglich in der TIR. Schwere Nebenwirkungen traten in beiden Studienphasen auf, allerdings waren diese nicht den beiden Therapieverfahren geschuldet. Die Patientenzufriedenheit war signifikant höher mit automatisierter Insulintherapie.
Schlussfolgerungen: Eine automatisierte Glukosekontrolle mittels Closed-Loop führt zu einer signifikanten Steigerung der TIR und damit verbesserten Blutzuckereinstellung bei Hämodialysepatienten. Hervorzuheben ist dabei die Wichtigkeit eines adaptiven Software-Algorithmus für die Insulindosis. So waren an Tag 1 im Mittel nur 36 % der Blutzuckerwerte in der TIR, an Tag 20 hingegen 60 %. Auch betonen die Autoren die Sicherheit der automatisierten Insulintherapie im ambulanten Setting, da bisherige Studien mit dieser Fragestellung lediglich stationären Patienten vorbehalten waren.
Originalie.
Boughton CK, Tripyla A, Hartnell S et al. Fully automated closed-loop glucose control compared with standard insulin therapy in adults with type 2 diabetes requiring dialysis: an open-label, randomized crossover trial. Nat Med. 2021; 27(8):1471-6
Kommentar von Prof. Dr. med. Peter Weyrich.
Besonders während der Dialyse vielversprechende Zukunftsoption
Obwohl die diabetische Nephropathie weltweit die führende Ursache einer terminalen Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit ist, ist die Zahl der Studien zur Insulinierung dieser Patienten und deren Therapiesteuerung nach Einleitung eines Dialyseverfahrens überraschend begrenzt und umfasst auch nur kleine Kollektive.
Zweifelsohne belegt die Studie eine verbesserte Therapiesicherheit für die sehr komorbiden Diabetespatienten mit terminaler Niereninsuffizienz. Auch wenn die limitierte Zahl der Studienteilnehmer keine definitiven Rückschlüsse auf Indikatoren der Lebensqualität zulässt, so sind die berichteten Effekte auf Zufriedenheit, Sicherheitsgefühl und Schlafqualität der Studienteilnehmer vielversprechend für zukünftige Untersuchungen. Bestätigt wurde übrigens eine signifikant niedrigere kumulative Closed-Loop-Insulindosis an Dialysetagen gegenüber Nicht-Dialysetagen.
Limitationen dieser Studie sind die niedrige Probandenzahl (Ursachen: Brexit, COVID-19) und die eher kurze Dauer der beiden Interventionen. Während die aus der Probandenzahl resultierende Gruppenungleichheit durch das Cross-over-Design relativiert wird, bleibt die Interventionsdauer von 2 x 20 Tagen problematisch. So ist aus anderen Studien bekannt, dass zum Erreichen eines Steady State bei einem Closed-Loop-System mindestens 26 Tage benötigt werden.
Nichtsdestotrotz ist eine automatisierte Insulintherapie bei Dialysepatienten insbesondere während der Therapiesitzungen eine vielversprechende Option für die Zukunft. Eine Hypoglykämie während der Dialyse bedingt neben bekannten Gefährdungen zusätzliche und potenziell schwere Komplikationen wie eine Shuntnadel-Dislokation durch unkoordinierte Bewegungen, resultierende Hämatome am Shunt-Arm, unnötige Blutverluste, Krämpfe, Blutdruckentgleisungen, Bilanzierungsprobleme durch Schwitzen oder Inkontinenz und damit letztendlich kardiovaskuläre Endpunkte. Insofern bleibt zu hoffen, dass Closed-Loop-Systeme mit einem adaptiven Software-Algorithmus zukünftig auch außerhalb von Studien für Patienten in der ambulanten Versorgung zur Verfügung stehen.
Prof. Dr. med. Peter Weyrich.
Ärztlicher Leiter KfH-Nierenzentrum
Nephrologische Gemeinschaftspraxis
Dr. Link | Prof. Dr. Weyrich
Hauptstraße 2
82008 Unterhaching
peter.weyrich@kfh-dialyse.de
Literatur
- 1.Singhsakul A, Supasyndh O, Satirapoj B. Effectiveness of Dose Adjustment of Insulin in Type 2 Diabetes among Hemodialysis Patients with End-Stage Renal Disease: A Randomized Crossover Study. Journal of Diabetes Research 2019; 2019: e6923543. doi:10.1155/2019/6923543 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 2.O'Toole SM, Fan SL, Yaqoob MM, et al. Managing diabetes in dialysis patients. Postgrad Med J 2012; 88: 160-166. doi:10.1136/postgradmedj-2011-130354 [DOI] [PubMed]
- 3.Sudha MJ, Salam HS, Viveka S, et al. Assessment of changes in insulin requirement in patients of type 2 diabetes mellitus on maintenance hemodialysis. J Nat Sci Biol Med 2017; 8: 64-68. doi:10.4103/0976-9668.198348 [DOI] [PMC free article] [PubMed]