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. 2022 May 16;33(5):18–21. [Article in German] doi: 10.1007/s15016-022-9465-x

Formular S0051 zielsicher und effektiv ausfüllen

Markus Weih 1,
PMCID: PMC9107945

Ärzte können Betroffene mit Funktionsstörungen unterstützen, indem sie einen Befundbericht für den Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung erstellen. Seit Januar 2021 wird das bundeseinheitliche Formular S0051 als Grundlage dafür verwendet.

Zu den ungeliebten "Schreibtischaufgaben" des Facharztes gehört es, im wohlverdienten Feierabend einen Befundbericht für die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auszustellen. Diese benötigt die Berichte, wenn beispielsweise Leistungen zur Teilhabe (medizinische oder berufliche Rehabilitation) beansprucht werden oder ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt wird. Die Arbeit am Befundbericht wird lediglich versüßt durch 35 € Honorar. Dafür muss aber auch eine zweiseitige Abrechnung (Formular S0050) erstellt werden.

ICF-basierte Dokumentation nicht praxistauglich

Nicht selten wird der Befundbericht an medizinische Fachangestellte delegiert, die oft lediglich rasch die letzten Diagnosen ungefiltert aus der Praxis-EDV übertragen und das Formular nur unvollständig bearbeiten. Diese Vorgehensweise mag auf den ersten Blick effizient erscheinen, kann jedoch zu Rückfragen und damit zu erneuter Befassung mit dem Thema führen. Denn die Diagnose, die den Rehabilitationsbedarf begründet, sollte unbedingt als erste und die weiteren Diagnosen sollten in der Reihenfolge ihrer Bedeutungen genannt werden. Es ist auch nicht sinnvoll "Z. n." zu notieren oder Verdachtsdiagnosen zu nennen.

Während die Anamnese selbsterklärend ist, wurden die Angaben zu den Funktionseinschränkungen (Punkt 6 im alten Formular G1204) in der Vergangenheit oft gar nicht ausgefüllt, da die niedergelassene Ärzteschaft vielfach nicht mit der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) vertraut ist. Die ICF hält mit fast 1.500 Kategorien eine standardisierte Sprache bereit, um Informationen zu Funktionsfähigkeit und Kontextfaktoren zu kodieren, die jedoch alles andere als ein praxistaugliches Instrument darstellt.

Besonders wichtig ist auch, dass vor allem die funktionellen Beeinträchtigungen aufgeführt werden sollen, denn im Gebiet des Rehabilitations- und Rentenrechts sind die Funktionsstörungen für die Erwerbsfähigkeit ausschlaggebend und dementsprechend bedeutsamer als die Diagnose. Beispielsweise finden sich in der Inneren Medizin unter dem gerne kodierten "nicht entgleisten Diabetes mellitus Typ 2 mit nicht näher bezeichneten Komplikationen" (E11.80) sowohl geringe Funktionsstörungen (Frühstadien der Komplikationen) mit erhaltener Erwerbsfähigkeit als auch schwere Funktionsstörungen (ausgeprägte Spätstadien von Komplikationen) mit aufgehobener Erwerbsfähigkeit. Hier liegt das wesentliche Problem der Sozialmedizin, wenn nur ICD-Codes vorliegen, deren Systematik nie dazu gedacht war, Schweregrade oder Funktionszustände wiederzugeben.

Bundeseinheitlicher Befundbericht S0051

Die DRV hat daher bereits 2018 trägerübergreifend ihr Formular für den Befundbericht bundesweit vereinheitlicht. Seit 2021 gibt es nur noch einen trägerübergreifenden, bundeseinheitlichen Bericht (Formular S0051). Wichtigster Punkt bei dem neuen Bericht ist, dass die ICF-Einschränkungen (Seite 2, nicht nur vorübergehende Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Teilhabe) als Ankreuzfelder standardisiert und mit kurzen Erläuterungen versehen wurden. Durch den Platzbedarf dieser Operationalisierung ist zwar der Umfang des Formulars von drei auf vier Seiten angewachsen, aber die Angabe von Funktionsstörungen wurde faktisch klarer und einfacher gestaltet. Leider muss dieses Formular für alle passen, ist also zwangsweise ein Kompromiss.

Sehr bedauerlich ist auch, dass viele PVS-Anbieter das neue Formular immer noch nicht in die Praxis-EDV eingepflegt haben (dort scheint es dringlichere Probleme zu geben), obwohl die Vereinheitlichung des Formulars über alle Träger der DRV auch mit Blick auf einen überschaubaren Programmieraufwand für die Hersteller von Praxis-EDV-Systemen erfolgte.

Im Folgenden möchten wir beispielhaft einen Befundbericht für einen neurologischen und für einen psychiatrischen Fall wiedergeben.

Neurologische Kasuistik: Multiple Sklerose

Eine 38-jährige Erzieherin leidet unter einer schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (MS). Seit dem letzten Schub hat sie eine leichte Gangstörung beziehungsweise eine leichte spastische Parese des rechten Beins. Sie hat keine kardiovaskulären Risikofaktoren.

Nachdem es Probleme mit den Leberwerten unter Interferon gab, ist sie seit Jahren stabil auf Dimethylfumarat (Tecfidera®) eingestellt. Sie geht regelmäßig zur Physiotherapie, ist alleinerziehend und halbtags tätig. Sie klagt über eine ausgeprägte Fatigue. Die FSMC Motorik beträgt 22 (leicht), kognitiv 34 (schwer), was eine Summe von 56 (mittelgradig) ergibt. Die COVID-19-Pandemie sorgte für enorme Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz und in der Krippenversorgung des Sohnes, was zu einer extremen Erschöpfung führte. Daraufhin vereinbarte sie mit ihrem behandelnden Neurologen, einen Antrag auf medizinische Rehabilitation zu stellen. Die Versorgung des Sohns soll während ihres vierwöchigen Aufenthalts durch den Ex-Partner erfolgen.

Der EDSS-Wert wird mit 3,0 eingeschätzt. Rehabilitationsdiagnosen sind:

  • schubförmig-remittierende MS, stabil, - G35.10G,

  • leichte spastische Monoparese rechtes Bein - G83.1RG,

  • leichte Gangstörung - R26.1G,

  • ausgeprägtes Fatigue-Syndrom -G93.3G.

Befundbericht für die DRV

Sicher können Sie sich in Ihrer Fantasie nun auch einen sehr leichten oder einen sehr schweren MS-Fall ausdenken. Während die Diagnose gleich bliebe, würden sich rehabilitationsmedizinisch völlig unterschiedliche Konstellationen ergeben.

In der Anamnese kann auf einen aktuellen Arztbrief oder Krankenhausbriefe verwiesen werden. Falls es nicht aus der Diagnose hervorgeht, sollten die resultierenden Funktionseinschränkungen erwähnt werden.

Die langfristige (> sechs Monate) Beeinträchtigung der Aktivität/Teilhabe wird wie in Tab. 1 beurteilt. Dann empfiehlt es sich, bisherige (Interferon) und aktuelle Therapien (Dimethylfumarat, Physiotherapie) kurz zu erwähnen. Bitte auf unübliche Abkürzungen verzichten!

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Ein orientierender neurologischer Befund reicht aus. Körpergröße und Gewicht sollten angegeben werden, da dies bei der Klinikauswahl eine Rolle spielt. Des Weiteren sollte bei Sucht die örtliche Suchtberatungsstelle angegeben werden, da die einen Sozialbericht erstellen muss.

Bitte denken Sie daran, dass der Rehabilitationsbericht von Personen gelesen wird, die die Patientin nicht kennen.

Als Kontextfaktoren geben Sie bitte an, dass die Patientin alleinerziehend ist und sowohl privat als auch beruflich durch die Pandemiemaßnahmen mehrfach belastet ist. Ansonsten ist dies die Stelle, um sonstige psychosoziale Probleme (mangelndes Selbstmanagement, soziale Isolation) anzugeben. Vergessen Sie die Risikofaktoren nicht. In den meisten Praxen werden sie routinemäßig erhoben oder sind bereits bekannt.

Sollten Sie nicht selbst der Patientin Arbeitsunfähigkeit (AU) attestiert haben, versuchen Sie herauszufinden, ob der Hausarzt das getan hat. Der DRV liegen leider nicht immer die aktuellen AU-Zeiten vor. Die DRV versucht das jedoch über den sogenannten AUD-Beleg herauszufinden [2].

Unter Reisefähigkeit und Belastbarkeit versteht die DRV, ob die Patientin die Rehabilitationsklinik gut aufsuchen kann, um dort dann an Bewegungstherapien, Schulungen und Gruppentherapien teilnehmen zu können.

Der oben beschriebene Fall sollte also wenig Probleme bereiten. In unklaren Fällen, wenn Sie etwa eine Ablehnung des Rehabilitationsantrags befürchten, können Sie allerdings um Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Arzt der DRV bitten, wenn Sie Ihre Telefonnummer auf dem Rehabilitationsantrag hinterlassen.

Psychiatrische Kasuistik: Depression

Ein 59-jähriger Mann wird Ihnen vom Hausarzt wegen einer mittelgradigen Depression überwiesen. Er wird nicht therapiert, lässt sich auch nur schwer von der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung überzeugen. Zum Abschluss der Konsultation berichtet er, dass er seit zwei Monaten arbeitsunfähig sei. Der Hausarzt sagt, dass Sie die AU verlängern sollen.

Der Mann hat seinen letzten Arbeitsplatz als Koch verloren und ist aktuell zusätzlich dadurch belastet, dass er seinen Neffen aufnehmen musste, der wegen Drogenproblemen von seiner Mutter "rausgeworfen" wurde. Der Patient war früher alkoholabhängig. Er bessert sich unter Pharmakotherapie mit Venlafaxin bis 225 mg in den folgenden Wochen nicht, sodass Sie ein Rehabilitationsverfahren einleiten. Er möchte keine Psychotherapie und Sie halten ihn auch nicht dafür geeignet. Im Fähigkeitsbefund nach Mini-ICF-APP (Selbst- und Fremdbeurteilung) zeigen sich deutliche krankheitsbedingte Beeinträchtigungen in der Widerstands- und Durchhaltefähigkeit ("mehr als einen halben Tag könnte ich gar nicht mehr in der Küche stehen") und in der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit. Auch gibt es Anzeichen für arbeitsbezogene Insuffizienzängste ("ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt eine Bewerbung hinbekomme", "mich will doch eh keiner mehr haben").

Nach einiger Wartezeit, langer AU, sozialmedizinischer Prüfung durch den MD stellen Sie den Rehabilitationsantrag selbst.

Befundbericht für die DRV

Auch bei diesem Fall ist beim Rehabilitationsantrag einiges zu beachten. Dass der Patient alkoholabstinent ist, sollte durch einen Fragebogen (Audit) oder besser durch Laborwerte belegt sein. Der Patient sollte in keinem Fall suizidal sein, da das für Rehabilitation ein Ausschlusskriterium ist.

Fazit für die Praxis

So wie eine gute Fragestellung auf einer Überweisung den Facharzt freut und oft einen guten Brief nach sich zieht, so ist auch ein gut überlegter Befundbericht für die DRV oder die Rehabilitationsklinik sinnvoll, damit die in der DRV Beschäftigten sich ein Bild von dem Fall machen können.

Haben Sie keine Angst vor den Berichten, sondern sehen Sie sie als eine Chance, den Fall "auf den Punkt zu bringen" und für den Patienten etwas Gutes zu tun. Wesentlich ist, eine mögliche Gefährdung der Erwerbs- oder beruflichen Leistungsfähigkeit darzulegen, wenn sie besteht beziehungsweise die aktuellen und potenziell chronifizierungsgefährdeten krankheitsbedingten Beeinträchtigungen anzugeben [3, 4, 5]. Es empfiehlt sich auch, proaktiv und vorausschauend den Rehabilitationsprozess mit den Betroffenen zu planen. Dazu können Sie zum Beispiel auch den Selbsteinschätzungsbogen G0115 in der Praxis verwenden [6]. Hier kann der Patient selbst seine Wünsche und Erwartungen an eine Rehabilitation formulieren. Sie erhalten ein Update über die Risikofaktoren, die Kontextfaktoren, und ob der Erkrankte überhaupt Rehabilitation will beziehungsweise seinen Zustand verbessern möchte.

Danksagung

an Dr. Harald Berger, Deutsche Rentenversicherung Nordbayern und Prof. Dr. Beate Muschalla, Technische Universität Braunschweig, Institut für Psychologie.

Geschichte der DRV.

Die DRV wurde 1889, nach der Unfall- und Krankenversicherung von Bismarck als "kaiserliche Botschaft" gegründet [1], um den sozialen Frieden mit der verelendeten Industriearbeiterschaft zu sichern.

Die DRV galt zunächst nur für Arbeiter und "kleine Angestellte". Die Rehabilitation gehörte von Anfang an mit zu den Leistungen. Altersrenten ab 70 mussten in den ersten Jahrzehnten kaum bezahlt werden, da die Lebenserwartung weit unter dem Eintrittsalter lag. Ab 1890 wurden die Beiträge durch 31 Landesversicherungsanstalten (LVAen) erhoben. Ähnlich wie die KVen ist die Rentenversicherung nicht staatlich, sondern als Selbstverwaltung mit passender Organisationsstruktur organisiert. Über die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (die spätere Bundesversicherungsanstalt, BfA) waren ab 1911 dann alle Angestellten rentenversichert. Es entstand also die paradoxe Situation, dass die Arbeiter in den Ländern versichert waren, die Angestellten jedoch in einer bundesweiten Versicherung.

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Ab 1923 war die Knappschaft dabei, also die Versicherung für den Bergbau, seit 1969 als Bundesknappschaft.

Dadurch, dass in den ersten Jahrzehnten mehr ein- als ausbezahlt wurde, hatte die Rentenversicherung große Überschüsse, die in Gesundheitsvorsorge und sogar den sozialen Wohnungsbau investiert wurden. Spätestens nach dem ersten Weltkrieg und der Inflation waren Ende der 1920er-Jahre die Kassen leer.

Im dritten Reich wurden die Selbstverwaltung abgeschafft, die Rentenversicherung gleichgeschaltet und die Versicherungsgelder in die Rüstung geleitet. So erklärt sich, dass es nach dem Krieg eine Altersarmut unter den Menschen in Rente gab.

1951 wurde die Selbstverwaltung wieder eingesetzt. Eine erste Rentenreform war 1957 nötig. Seither erwirbt man seine Rentenanwartschaft nach den im Lauf der Jahre eingezahlten Beiträgen. Die tatsächlich ausgezahlten Renten stammen aber im Umlageverfahren von den aktuellen Beitragszahlern (Generationenvertrag).

Im Verlauf stiegen - nicht zuletzt durch das Wirtschaftswunder - die Renten bis auf Lohnersatzfunktion an. Seit der gleichen Zeit gilt der Grundsatz "Reha vor Rente".

In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die Rentenversicherung noch mehrfach reformiert, nun aber mehr wegen der steigenden Lebenserwartung und damit einer steigenden Zahl von Rentnern.

Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) war der freiwillige Zusammenschluss der 22 LVAen, der Bundesknappschaft, der Bahnversicherung und der Seekasse. Sein Sitz war 1919 bis 2005 Frankfurt am Main, dann erfolgte die Fusion mit der BfA und der Umzug nach Berlin im Rahmen der Organisationsreform.

Seither gibt es nur noch die DRV Bund, sozusagen als "Spitzenverband". Es wurde aber die Regelung getroffen, dass etwa 55 % des Versichertenbestandes weiter durch Regionalträger verwaltet werden. Das ist der Grund, weshalb die Ärzteschaft ihre Post teils nach Berlin, teils an den Regionalträger in Ihrem Bundesland schicken müssen.

Insgesamt arbeiten über 24.000 Menschen bei der DRV.

Prof. Dr. med. Markus Weih.

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Medic-Center, Nürnberg

Mitglied des Vorstands BVDN Bayern

markus.weih@gmx.de

Literatur


Articles from NeuroTransmitter are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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