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. 2022 Jun 23;16(3):10–11. [Article in German] doi: 10.1007/s15034-022-3842-1

COVID-19 kann auch noch im Nachgang Typ-2-Diabetes begünstigen

Thomas Skurk 1,
PMCID: PMC9217173

Fragestellung: COVID-19-Patienten haben mit einer Reihe von (Spät-)Komplikationen zu kämpfen. Gehört ein Typ-2-Diabetes ebenfalls dazu?

Hintergrund: Spätfolgen der COVID-19, definiert als Gesundheitsbeeinträchtigungen nach > 30 Tagen (Long-COVID), betreffen neben pulmonalen auch extrapulmonale Gewebe. Nachdem dysglykämische Komplikationen in der Akutphase der Infektion mehrfach dokumentiert wurden, sind spätere Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel weniger gut beschrieben als nötig wäre, um eine Nachsorgestrategie erarbeiten zu können. Eine Datenbank von US-Veteranen, welche die ersten 30 Tage einer SARS-CoV-2-Infektion überlebt hatten, wurden hierfür retrospektiv ausgewertet und mit Nichtinfizierten aus dem gleichen Zeitraum verglichen. Zudem wurde aus der Zeit "vor Corona" eine historische Kontrollgruppe generiert. Als longitudinales Outcome nach Infektion galten eine Diabeteserstdiagnose, Gebrauch antiglykämischer Medikation oder eine Kombination beider Endpunkte.

Patienten und Methoden: 181.280 Personen einer US-amerikanischen Datenbank mit positiven COVID-19-Tests (D=diseased) wurden mit 4.118.441 negativen Kontrollen (CC=contemporary control) und einer historischen Kohorte mit 4.286.911 Teilnehmern aus Zeiten vor der Pandemie verglichen (HC=historical control). Eine Unterteilung wurde vorgenommen in eine Gruppe, die (1) nicht hospitalisiert wurde, (2) die hospitalisiert und (3) die hospitalisiert und intensivmedizinische behandelt wurde. Das Follow-up wurde im Dezember 2021 beendet. Endpunkte waren ein HbA1c von >6,4 % (46 mmol/mol) oder die Verschreibung einer Diabetesmedikation für mehr als 30 Tage.

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Man beobachtete die vor der Studie diabetesfreien Personen über einen mittleren Zeitraum von 352 (245-406) Tagen. Es erfolgte eine inverse wahrscheinlichkeitsgewichtete Überlebensanalyse, inkl. vordefinierter, algorithmischer ausgewählter hochdimensionaler Variablen, um postakute COVID-19-Risiken für einen neu auftretenden Diabetes, eine antihyperglykämische Therapie und die Kombination von beidem abzuschätzen. Berichtet werden die Hazard Ratio (HR) und die Exzesshäufigkeit pro 1.000 Personen in 12 Monaten. Nachdem die Gruppen mittels hochdimensionaler Wahrscheinlichkeits-Scores adjustiert wurden, wurde die COVID-19-Gruppe unabhängig mit der aktuellen und der historischen Kohorte verglichen. Es wurden Untergruppe gebildet bezüglich Alter (≤ und >65 Jahre) Geschlecht (m, w), BMI (>18,5 - ≤25 kg/m²; >25 - ≤30 kg/m²; >30 kg/m² und Rasse.

Ergebnisse: Die Teilnehmer (zwischen 1.3.2020 und 30.9.2021) waren im Schnitt 61 Jahre alt, 88 % Männer. Aus der mittleren Beobachtungsdauer von 352 Tage resultiert eine insgesamte Beobachtung über 163.881 Personenjahre in der COVID-19-Gruppe und 3.763.155 Personenjahre bei CC (3.916.979 bei HC). Der Großteil an Diabetesfällen fiel auf den Typ 2, während ein Typ 1 in weniger als 1 % der Fälle auftrat. Im Verhältnis zur CC war das Risiko für einen neu aufgetretenen Diabetes um 40 % erhöht, die Exzessereignisse pro 1.000 Personen in 12 Monaten lagen bei 13,46 und für den Gebrauch einer antihypertensiven Medikation berechneten die Autoren ein Risiko von 85 % und eine Exzesshäufigkeit von 18,03 Fällen. Auswertung in Untergruppen ergaben ein höheres Diabetesrisiko bei Personen >65 Jahren, farbige Menschen, Männern, und mit steigendem BMI. Einen weiteren relevanten negativen Einfluss auf die Post-COVID-Diabeteshäufigkeit hatte auch die Erkrankungsschwere während der ersten 30 Tage der SARS-CoV-2-Infektion. Ein Vergleich mit den historischen Kontrollen ergaben konsistente Daten zum Diabetesrisiko und der Exzessmorbidität. Um schließlich herauszufinden welche Patientengruppe das höchste Risiko bezüglich der untersuchten Outcomes hatte, ergab sich ein stetiger Anstieg in den Quartilen des Diabetes-Risikoscores, der aus Alter, Rasse, Geschlecht, BMI, HbA1c, kardiovaskulärer Erkrankung, Hypertonie und einer Hyperlipidämie errechnet wurde.

Schlussfolgerung: COVID-19 zieht nicht nur in der Akutphase der Infektion Komplikationen nach sich, sondern kann auch in den nachfolgenden Monaten die Inzidenz von Diabeteserkrankungen negativ beeinflussen. Auch ein höherer Schweregrad der Erkrankungen bringt ein steigendes Diabetesrisiko mit sich.

Originalie.

Xie Y, Al-Aly Z. Risks and burdens of incident diabetes in long COVID: a cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol 2022. doi: 10.1016/ S2213-8587(22)00044-4

Kommentar von Prof. Dr. med. Thomas Skurk .

Besonders bei Älteren ein weiterer möglicher Manifestationsfaktor

Es verwundert nicht, dass eine Erkrankung wie COVID-19, die mit einer hohen Mortalität und Morbidität um die Welt zog, zu einer Reihe von bleibenden Komorbiditäten führt. Der negative Einfluss einer Entzündung auf die Glykämie ist weithin etabliert und so ist eine COVID-19 Erkrankung, die mit deutlichen Verschiebungen des immunologischen Gleichgewichts aufwartet, ein weiterer möglicher Manifestationsfaktor, der dem Pankreas die Insulin-Sekretionsreserve raubt und teilweise extreme Insulindosen in der Akutphase notwendig macht. Ob es sich um ein intrinsisches Geschehen in den Inselzellen handelt, die auch Rezeptoren für SARS-CoV-2 haben, klärt diese Kohortenstudie nicht. Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes im Untersuchungszeitraum dieser Studie scheint bei Erwachsenen eher dem zu erwartenden natürlichen Verlauf zu entsprechen und dafür ein potenzieller Manifestationsfaktor zu sein. Daher ist derzeit nicht von einer gesteigerten Autoimmunität gegen Betazellen durch SARS-CoV-2 auszugehen, zumindest nicht in dieser Altersgruppe [1, 2]. Möglich ist jedoch eine direkte Betazellschädigung durch das Virus [3, 4].

Der besprochene Artikel wie auch weitere Studien mit ähnlichen Daten [2] lehren uns aber nun im Nachgang der Pandemie, genauer auf die Rekonvaleszenten von COVID-19 zu schauen. Insbesondere, da das Risikoprofil für einen Typ-2-Diabetes möglicherweise extrem dynamisch sein kann. Zwischenzeitlich sind wir aufgrund des ständig mutierenden Virus in eine neue Phase der Pandemie eingetreten und es bedarf einer kontinuierlichen Neubewertung im Hinblick auf die Langzeitfolgen von COVID-19. Ist denn das Risiko für eine Diabeteserkrankung auch bei der Omikron-Variante und seinen Unterformen erhöht? Diese sind bekanntlich Varianten, die sich eher auf die oberen Atemwege beschränken. Im Studienzeitraum dürften hingegen die Wildtyp-, Alpha- und Delta-Variante das Geschehen bestimmt haben. Eine Entwarnung kann mit den vermeintlich milderen Omikron-Varianten aber nicht gegeben werden. Die Studie belegt nämlich auch, dass nicht hospitalisierte Patienten mit leichteren Symptomen eine mit 8,28/1.000 höhere Exzessmorbidität in 12 Monaten hatten als die beiden Kontrollkohorten. Auch ein niedriger Diabetes-Risikoscore führte zu einer deutlichen Erhöhung des Diabetesrisikos und somit könnten z. B. Jüngere durch das Raster fallen. Zwar können diese Daten auf der Grundlage meistens älterer weißer Männer und unerkannte SARS-CoV-2-Infektionen die Ergebnisse verzerrt haben, dennoch sollten wir achtsam sein. Mit den nun "milder" verlaufenden Infektionen und der zunehmenden Durchimpfung der Bevölkerung bleibt zu hoffen, dass der Coronapandemie nicht eine neue Pandemie von unentdecktem Typ-2-Diabetes oder ähnlichem folgt.

Prof. Dr. med. Thomas Skurk.

Technische Universität München ZIEL - Institute for Food & Health

Core Facility Humanstudien

Gregor-Mendel-Str. 2

85354 Freising, Germany

skurk@tum.de

Literatur


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