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. 2022 Jul 22;76(8):547–551. [Article in German] doi: 10.1055/a-1877-4332

Behandlung in zertifizierten Lungenzentren (DKG) – Entscheidungsfaktoren von Patienten mit Lungenkrebs

Treatment in Certified Centres (DKG): Decision Factors of Lung Cancer Patients

Raja Schirrmacher 1, Benjamin Rieger 2, Christina Justenhoven 3,
PMCID: PMC9365526  PMID: 35868330

Abstract

Background Lung cancer is the most common cause of cancer death worldwide. Implementation of certification programs aimed to reduce cancer-specific mortality.

Objektive It is of interest to understand which factors provoke patients to choose a facility according to its certification status.

Methods The real-world dataset of the Cancer Registry of Rhineland-Palatinate in Germany was used to compare characteristics of patients treated in a DKG-certified center versus treatment in a non-certified facility. Patients diagnosed between 2016 and 2020 (n=8,687) were included.

Results s This Study showed that almost 24% of lung cancer patients were treated in a DKG-certified center. Region of residence and T status seemed to impact decision for treatment in a DKG-certified center.

Conclusion The certification process is complex, therefore, it is of certain interest to understand which factors provoke treatment in a certain medical facility.

Keywords: lung cancer, treatment, DKG-certified center, decision factors

Einleitung

Lungenkrebs ist insbesondere in den Industrieländern eine der häufigsten Krebsdiagnosen. Trotz Weiterentwicklung und Optimierung von Diagnose- und Therapieoptionen gehört diese Erkrankung weiterhin weltweit zu den häufigsten Todesursachen 1 . Folglich wurden zahlreich Kampagnen initiiert und verschiedene Zertifizierungsprogramme entwickelt, um die krebsspezifische Mortalität durch eine verbesserte Patientenversorgung zu verringern. Eine dieser Initiativen ist das Zertifizierungsprogramm der Deutschen Krebsgesellschaft ( Deutsche Krebsgesellschaft , DKG), welches im Jahr 2003 eingeführt wurde. Ein Ziel dieses Programmes ist es sicherzustellen, dass die Versorgungsstandards in die Praxis umgesetzt werden. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind die Einhaltung von klinischen Leitlinien, Interdisziplinarität und Transparenz 2 .

Derzeit verfügt Deutschland über mehr als 1.700 DKG-zertifizierte Zentren, etwa 80 davon sind Lungenzentren 3 . Bei der Betrachtung dieser Zahlen ist zu bedenken, dass die Teilnahme am Zertifizierungsprogramm freiwillig ist 2 4 , das Zertifizierungsverfahren jedoch komplex und zeitaufwändig ist 5 . Neben der Einhaltung des Anforderungskataloges zur Erneuerung ihres Zertifizierungsstatus mit der DKG finden zum einen jährliche Vor-Ort-Audits statt und zum anderen alle drei Jahre vollständige Re-Evaluierungs-Audits 6 . Hierbei werden u.a. Informationen zur interdisziplinären Kooperation der Einrichtung, zur Weiterbildung der Mitarbeiter, zur Einhaltung der Leitlinien sowie zu Patientendaten im Hinblick auf Diagnose, Behandlung und Nachsorgeuntersuchungen geprüft. Eine wesentliche Kennzahl stellt dabei die Anzahl an Krebsfällen dar, die jährlich in der jeweiligen Einrichtung diagnostiziert und behandelt werden 4 . Folglich ist es von großem Interesse für den Antragsteller zu verstehen, welche Faktoren für Patienten bei der Entscheidung für ein DKG-zertifiziertes Zentrum relevant sind. Unseres Wissens wurden bisher keine Daten zu den Charakteristika von Patienten mit Lungenkrebs, die die Behandlung in bestimmten Einrichtungen bevorzugen, veröffentlicht. In der hier vorliegenden Arbeit gingen wir der Frage nach, ob das Alter bei Diagnose, die Wohnregion oder die Größe und Ausdehnung des Tumors die Wahl eines DKG-zertifizierten Zentrums beeinflussen.

Wir gehen davon aus, dass die Ergebnisse unserer Untersuchung das Potenzial haben, neue Strategien zu fördern, um die Behandlung in zertifizierten Zentren für alle Patienten gleich attraktiv zu machen.

Methoden

Forschungsgrundlage

Die Datenbank der Krebsregister Rheinland-Pfalz gGmbH ist Grundlage dieser Studie. Rheinland-Pfalz hat etwa 4 Millionen Einwohner, deren ursprüngliche Krebsregistrierung auf der Basis epidemiologischer Daten startete. Zu diesem Zweck wurde 1997 das epidemiologische Krebsregister gegründet 7 . Im Jahr 2016 wurde die epidemiologische Krebsregistrierung in das neu gegründete klinische Krebsregister überführt. Schwerpunkt der neuen Einrichtung war die Erfassung umfassender Daten zu Diagnose, histo-pathologischer Merkmale von Tumoren sowie die Behandlung und Nachsorge von Krebspatienten, die in Rheinland-Pfalz wohnhaft sind und/oder behandelt werden. Die Datenerhebung erfolgt entsprechend des bundesweit einheitlichen onkologischen Datensatzes 8 . In der Datenbank des Krebsregisters Rheinland-Pfalz sind inzwischen klinische Informationen sowie Nachsorgedaten von mehr als 100.000 Patienten verfügbar.

Die hier vorliegende Untersuchung umfasste Lungenkrebsfälle, die in den Jahren 2016–2020 diagnostiziert wurden. Sie beschränkte sich auf Informationen aus Meldungen, die alle Qualitätskriterien des Krebsregisters erfüllen.

Untersuchte Einflussfaktoren

Untersucht wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Alter bei Diagnose, Wohnregion und dem T-Status und der Entscheidung für eine Behandlung in einer bestimmten medizinischen Einrichtung. Diese Analysen erfolgten nach Geschlechtern getrennt.

Die Klassifizierung der Behandlung in einem DKG-zertifizierten Zentrum oder in einer nicht zertifizierten Einrichtung basierte auf der Herkunft der Diagnosemeldung. Falls keine Diagnosemeldungen vorlagen, erfolgte die Zuordnung der Patienten anhand der Operationsmeldung. Informationen über den Zertifizierungsstatus der einzelnen Einrichtungen wurden der Website OncoMap entnommen (Stand: August 2021) 3 .

Das Alter bei der Diagnose wurde anhand der Angaben zum Geburtsdatum und zum Diagnosedatum bestimmt. Es wurden drei Altersklassen definiert: Alter bei Diagnose <60, 60–70 und älter als 70 Jahre. Die zweite Gruppe umfasste den Mittelwert des Alters bei der Diagnose 9 , daher wurde diese Gruppe in den statistischen Analysen als Referenz verwendet.

In die aktuelle Studie wurden ausschließlich Patienten einbezogen, die zum Zeitpunkt der Diagnose in Rheinland-Pfalz lebten. Die Zuordnung zu einer bestimmten Wohnregion erfolgte anhand der Postleitzahl der Wohnadresse zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Informationen über die Einwohnerzahl des jeweiligen Gebietes wurden vom Statistischen Bundesamt 10 eingeholt. Für die nachfolgenden statistischen Analysen wurden die Wohnregionen in drei Gruppen zusammengefasst: Patienten, die in ländlichen Regionen mit ≤5.000 Einwohnern, in kleinen und mittelgroßen Städten mit >5.000–50.000 Einwohnern sowie in mittelgroßen Städten und Großstädten mit >50.000 Einwohnern lebten. Die zweite Gruppe wurde als Referenzgruppe für die nachfolgenden Analysen herangezogen.

Die Analysen hinsichtlich des T-Status basierten auf Informationen zur Tumorgröße und -ausbreitung 11 . Die Klassifizierung für Lungentumore war: T1=≤3 cm, T2=>3 cm ≤5 cm, T3=>5 cm ≤7 cm, T4=>7 cm und/oder hat sich in eine oder mehrere andere Strukturen ausgebreitet. Bei beiden Geschlechtern war die Anzahl der Fälle, die in DKG-zertifizierten Zentren und nicht zertifizierten Einrichtungen behandelt wurden, in der Gruppe der T4-Tumoren ähnlich ( Tab. 1 und Tab. 2 ), daher wurde diese Gruppe in den statistischen Analysen als Referenz festgelegt.

Tab. 1 Charakteristika von Patientinnen mit Lungenkrebs, welche in den Jahren 2016–2020 in Rheinland-Pfalz diagnostiziert wurden (n=3.395).

DKG-zertifiziertes Zentrum n (%) nicht zertifizierte Einrichtung n (%) OR (95% CI) p-Wert
Alter bei Diagnose
<60 167 (20,4) 552 (21,4) 1,24 (0,92–1,67) 0,157
60–70 309 (37,7) 839 (32,6) 1,00
70+ 343 (41,9) 1.185 (46,0) 1,04 (0,81–1,34) 0,749
Wohnregion
≤5.000 Einwohner 358 (43,7) 1.066 (41,4) 0,82 (0,63–1,07) 0,151
>5.000–50.000 Einwohner 230 (28,1) 832 (32,3) 1,00
>50,000 Einwohner 231 (28,2) 678 (26,3) 0,87 (0,65–1,71) 0,359
T-Status
T1 194 (24,3) 293 (20,6) 0,74 (0,54–1,03) 0,072
T2 171 (21,4) 347 (24,4) 0,96 (0,72–1,30) 0,810
T3 141 (17,7) 266 (18,7) 1,01 (0,73–1,40) 0,966
T4 292 (36,6) 515 (36,3) 1,00

Tab. 2 Charakteristika von Patienten mit Lungenkrebs, welche in den Jahren 2016–2020 in Rheinland-Pfalz diagnostiziert wurden (n=3.395).

DKG-zertifiziertes Zentrum n (%) nicht zertifizierte Einrichtung n (%) OR (95% CI) p-Wert
Alter bei Diagnose
<60 214 (17,3) 633 (15,6) 0,96 (0,74–1,24) 0,756
60–70 413 (33,4) 1.363 (33,6) 1,00
70+ 610 (49,3) 2.059 (50,8) 0,92 (0,76–1,12) 0,413
Wohnregion
≤5.000 Einwohner 617 (49,9) 1.791 (44,2) 0,76 (0,62–0,93) 0,009
>5.000–50.000 Einwohner 325 (26,3) 1.315 (32,4) 1,00
>50,000 Einwohner 295 (23,8) 949 (23,4) 1,07 (0,84–1,38) 0,578
T-Status
T1 243 (20,1) 408 (18,1) 0,76 (0,58–0,99) 0,039
T2 274 (22,6) 517 (22,9) 0,91 (0,71–1,16) 0,440
T3 252 (20,8) 469 (20,8) 0,84 (0,66–1,07) 0,160
T4 442 (36,5) 861 (38,2) 1,00

Statistische Analyse

Für jede der Studienvariablen wurde der potenzielle Einfluss auf die Wahl einer DKG-zertifizierten oder nicht zertifizierten Einrichtung analysiert. Die statistische Analyse erfolgte mittels adjustierter logistischer Regression, um mögliche Interaktionseffekte zwischen den analysierten Parametern zu berücksichtigen. Es wurden Odds Ratios (ORs), 95%-Konfidenzintervalle (CIs) und p-Werte berechnet. ORs <1 weisen auf einen höheren Anteil von Patienten hin, die in DKG-zertifizierten Zentren behandelt wurden. ORs >1 hingegen weisen auf einen höheren Anteil von Patienten hin, die von Einrichtungen ohne DGK-Zertifikat gemeldet wurden. Für die Aufbereitung der Datensätze und die statistischen Analysen wurden die Programme R 12 und SPSS 13 verwendet.

Ergebnisse

Grundlage für unsere Untersuchung waren insgesamt 8.687 Lungenkrebspatienten, die in den Jahren 2016–2020 in Rheinland-Pfalz diagnostiziert wurden. Darunter waren 3.395 weibliche ( Tab. 1 ) und 5.292 männliche ( Tab. 2 ) Krebspatienten, für die qualitätsgesicherte Daten in der Datenbank des Krebsregisters vorlagen. Unsere Analysen zeigten, dass 24% der weiblichen und 23% der männlichen Patienten in einem DKG-zertifizierten Zentrum behandelt wurden.

Für Lungenkrebspatientinnen zeigte die Analyse mittels adjustierter logistischer Regression für keine der analysierten Untergruppen einen statistisch signifikanten Unterschied ( Tab. 1 ).

Im Gegensatz dazu konnte für männliche Lungenkrebspatienten gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit in einem DKG-zertifizierten Zentrum behandelt zu werden höher war, wenn sie in ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz lebten OR 0,76 (95% CI 0,62–0,93, p=0,009).

Darüber hinaus wurden männliche Patienten mit kleineren Lungentumoren (T1) häufiger in DKG-zertifizierten Zentren behandelt OR 0,76 (95% CI 0,58–0,99, p=0,039). Für keine weitere Variable wurden statistisch signifikante Effekte beobachtet.

Diskussion

Lungenkrebs spielt insbesondere bei älteren Menschen eine bedeutende Rolle. Weiterhin ist Rauchen der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs und spiegelt sich in einer höheren Inzidenzraten bei Männern im Vergleich zu Frauen wider. Diese steht in direktem Zusammenhang mit dem Tabakkonsum der letzten Jahrzehnte 14 . Dieser Effekt erklärt auch den höheren Anteil an betroffenen Männern im Vergleich zu Frauen in unserer Studie. Neben Programmen zur Tabakentwöhnung haben auch qualitativ hochwertige Krebsbehandlungsstrategien in den letzten Jahren zu einem Rückgang der Todesfälle durch Lungenkrebs geführt 14 15 . In diesem Zusammenhang wurden u.a. mehrere Zertifizierungsprogramme implementiert, um die Krebsversorgung durch Interdisziplinarität, Transparenz sowie die Berücksichtigung modernster diagnostischer Verfahren und Behandlungsstrategien zu verbessern. Dabei stellt das bundesweite Zertifizierungsprogramm in der Krebsversorgung, welches von der DKG umgesetzt wurde, den Goldstandard für die Zertifizierung in Deutschland dar 2 .

Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass nur ein Viertel aller Lungenkrebspatienten in von der DKG-zertifizierten Zentren behandelt wurde. Dies könnte an der eingeschränkten Verfügbarkeit solcher Einrichtungen liegen, denn bisher gibt es in Rheinland-Pfalz nur drei DKG-zertifizierte Lungenkrebszentren (Stand: August 2021) 3 . Obwohl sich alle diese Zentren in Städten befinden, konnten wir einen signifikanten Zusammenhang zwischen männlichen Patienten, die in ländlichen Regionen leben, und der Behandlung in einer DKG-zertifizierten Einrichtung beobachten. Außerdem werden Patienten mit geringerem T-Status mit größerer Wahrscheinlichkeit in einem zertifizierten Zentrum behandelt. Diese Beobachtung entspricht den Ergebnissen einer dänischen Studie aus dem Jahr 2020. Dort wurde beobachtet, dass eine lange Wegstrecke zur ersten diagnostischen Einrichtung eher von Patienten zurückgelegt wurde, die keine Krebserkrankung oder andere schwere Krankheit vermuteten 16 .

Im Gegensatz dazu deutete ein 2015 veröffentlichtes Review darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen fortgeschrittenen Krebserkrankungen und langen Wegstrecken bis zum Behandlungsort besteht 17 . Allerdings schloss keine dieser Untersuchungen Lungenkrebspatienten ein. Eine vergleichbare Studie zu dieser Erkrankung wurde unseres Wissens bisher nicht durchgeführt.

In Anbetracht unserer Ergebnisse gehen wir davon aus, dass Lungenkrebspatienten aus ländlichen Wohnregionen ohnehin weitere Strecken zum Behandlungsort zurücklegen müssen und daher die Wahl der behandelnden Einrichtung generell mit mehr Vorüberlegungen einhergeht.

Im Hinblick auf den Zusammenhang mit T1-Tumoren vermuten wir, dass einige dieser Patienten unter unspezifischen Symptomen leiden und daher eine umfassende Abklärung in einer spezialisierten Einrichtung anstreben.

Bei weiblichen Lungenkrebspatienten wurde in unserer Studie kein signifikanter Zusammenhang in Bezug auf die untersuchten Parameter beobachtet. Dies könnte auf die geringere Anzahl an Patientinnen zurückzuführen sein, die im Vergleich zu den Analysen der männlichen Patienten eine geringere statistische Power zur Folge hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dies unseres Wissens nach die erste Studie ist, die einen Einfluss einer ländlichen Wohnregion und T1-Tumoren auf die Wahrscheinlichkeit einer Behandlung in einem DKG-zertifizierten Lungenkrebszentrum für männliche Patienten aufzeigt. In einem nächsten Schritt sollten unsere Ergebnisse Gegenstand unabhängiger nationaler Validierungsstudien sein, zusätzlich zu internationalen Untersuchungen in Ländern mit vergleichbaren Zertifizierungsprogrammen.

Footnotes

Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur


Articles from Pneumologie (Stuttgart, Germany) are provided here courtesy of Thieme Medical Publishers

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