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. 2022 Jul 1;84(10):911–918. [Article in German] doi: 10.1055/a-1842-5458

Psychische Belastung und ihre Folgen für die Krankheitskosten – eine Längsschnittstudie in Deutschland

Psychological Stress and its Consequences for the Cost of Illness: a Longitudinal Study in Germany

Manuela Bombana 1,2,, Monika Heinzel-Gutenbrunner 3, Gerhard Müller 2
PMCID: PMC9525140  PMID: 35777422

Zusammenfassung

Ziel der Studie Die Studie verfolgt das Ziel, die Effekte der psychischen Belastung auf die Höhe und die Zusammensetzung der Krankheitskosten (ambulante Kosten, Krankenhauskosten, Rehabilitationskosten, Arzneimittelkosten) im Zeitverlauf zu überprüfen.

Methodik Im Längsschnittdesign untersuchten wir die psychische Belastung von 3.287 Studienteilnehmern der erwachsenen Allgemeinbevölkerung anhand der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) und ihren Effekt auf die Höhe und die Zusammensetzung der Krankheitskosten aufgrund von psychischen Erkrankungen im Jahr der Befragung t0 und den beiden Folgejahren [t1] {t2}.

Ergebnisse Im Vergleich zur Referenzgruppe, die keine psychischen Belastungen aufweist, waren die Krankheitskosten in der Gruppe mit geringen psychischen Belastungen um den Faktor 2,0 [2,2] {1,5}, bei jenen mit moderater psychischer Belastung um den Faktor 3,7 [4,2] {3,1} und bei jenen mit schweren psychischen Belastungen um den Faktor 7,5 [9,0] {5,2} signifikant erhöht. Im Zeitverlauf zeigten sich signifikante Effekte auf die Krankheitskosten nur an den beiden äußeren Rändern der psychischen Belastungsgrade (keine und schwere psychische Belastungen) mit einer Tendenz zur Mitte. Mit zunehmendem Grad psychischer Belastung dominierten Krankenhauskosten die Gesamtkosten aufgrund psychischer Belastung und der Anteil der ambulanten Krankheitskosten an den Gesamtkosten nahm ab.

Schlussfolgerung Mit dem Grad psychischer Belastung steigen die Krankheitskosten steil an. Die Progredienz psychischer Erkrankungen zu verhindern, ist deshalb nicht nur aus individueller, sondern auch aus gesundheitsökonomischer Perspektive bedeutsam.

Schlüsselwörter: Psychische Belastungen, Krankheitskosten aufgrund psychischer Erkrankungen, Längsschnittstudie, Allgemeinbevölkerung

Einleitung

Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet, verursachen hohe direkte Krankheitskosten und erzeugen bei den Betroffenen und ihren Angehörigen einen hohen Leidensdruck. Im Lancet publizierte Daten von 2015–2018 zeigen, dass Depressionen in Deutschland an sechster Stelle rangieren (weltweit an dritter Stelle) und Angststörungen an achter Stelle (weltweit an siebter Stelle) der durch Krankheit verursachten Lebensjahre mit Behinderung oder Krankheit 1 2 3 .

Nach aktuellen Angaben der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, verursachen psychische Erkrankungen in Deutschland mit jährlich 44,4 Milliarden Euro (13,1% aller direkten Krankheitskosten) die zweithöchsten direkten Krankheitskosten nach den Herz-Kreislauferkrankungen mit 46,1 Milliarden EUR 4 5 6 . Zusammen mit den indirekten Krankheitskosten werden in Deutschland laut OECD 2018 durch psychische Erkrankungen damit Gesamtkosten in Höhe von 4,8% des Bruttoinlandproduktes verursacht (Durchschnitt Europäische Union (EU) 28 4,1%) 7 . Prognosen zufolge werden sich die direkten und indirekten medizinischen Kosten aufgrund psychischer Erkrankungen zwischen 2010 und 2030 mehr als verdoppeln (Faktor 2,4) und der weltweite Verlust an Wirtschaftsleistung wird sich in diesem Zeitraum (2011–2030) auf 16,3 Billionen US-Dollar belaufen – mehr als für Krebs, Diabetes und respiratorische Erkrankungen zusammen 8 9 . Psychische Erkrankungen gehören damit zu den bedeutendsten gesundheitsökonomischen Problemen weltweit – Tendenz steigend 2 10 11 .

In einer jüngst publizierten Studie haben wir den Effekt psychischer Belastung auf Krankheitskosten und Arbeitsunfähigkeitstage für die arbeitende Bevölkerung in Deutschland untersucht 12 . Unsere bisherigen Ergebnisse sowie die Ergebnisse von Birnbaum et al. 13 zeigen, dass mit steigendem Grad psychischer Belastung sowohl die Krankheitskosten als auch die Arbeitsunfähigkeitstage der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland dramatisch zunehmen 12 .

Die vorliegende Untersuchung überträgt diese Fragestellung auf die erwachsene Allgemeinbevölkerung (inkl. Rentner und Personen ohne Beschäftigungsverhältnis). In dieser Studie werden zusätzlich die Effekte der psychischen Belastung auf die Höhe und die Zusammensetzung der Krankheitskosten (ambulante Kosten, Krankenhauskosten, Rehabilitationskosten, Arzneimittelkosten) im Zeitverlauf geprüft.

Methodik

Stichprobe

Wir verwendeten Daten der Interventionsstudie „Lebe Balance“ – ein Programm zur Stärkung der Menschen mit psychischen Erkrankungen, das an 43 Standorten in den Jahren 2013 und 2014 in Baden-Württemberg, Deutschland durchgeführt wurde (Studienregister ID: DRKS00006216, Ethikvotum Universität Heidelberg 2013s620NMA).

Insgesamt wurden 34.207 AOK-Versicherte angeschrieben, von denen 5.549 an der kontrollierten Studie teilnahmen (Response Rate: 16%). Von 881 Teilnehmern konnten die Daten nicht ausgewertet werden, da die Fragebogen- oder Kostendaten nur unvollständig vorlagen. Abschließend wurden noch die Daten der Experimentalgruppe mit einem N=1.440 ausgeschlossen, um den Interventionseffekt zu eliminieren, so dass Daten von 3.228 Teilnehmern ausgewertet wurden. Für Details zum Studiendesign siehe Lyssenko et al. 14 .

Psychische Belastung

Die psychische Belastung der Studienteilnehmer wurden anhand der „Hospital Anxiety and Depression Scale“ (HADS) erfasst 15 . Der HADS ist ein Screeninginstrument für Depressionen und Angststörungen und wird international zum Screening der psychischen Belastung eingesetzt 16 .

Der Grad der psychischen Belastung lässt sich auf Basis der Werte in keine (0–7), geringe (8–10), moderate (11–15) und schwere psychische Belastung (≥16) differenzieren 17 .

Die Sensitivität und Spezifität des HADS für die klinische Diagnose einer depressiven Störung liegen bei 0,82 und 0,74 18 . 82% der Erkrankten werden also korrekt als erkrankt identifiziert und 74% der Gesunden korrekt als gesund. Der HADS wurde nur im Befragungsjahr (t0) erhoben. Eine detaillierte Beschreibung der HADS ist an anderer Stelle zu finden 16 . Neben den Daten zur psychischen Belastung wurden auch die Angaben zum Beziehungsstatus aus der Befragung für die Untersuchung verwendet.

Krankheitskosten

Die Untersuchungsteilnehmer wurden von April bis Juli 2014 angeschrieben. Die Kostenerfassung für die drei Messzeiträume (t0=Befragungsjahr, t1=1. Jahr danach, t2=2. Jahr danach) startete mit der Versendung der Anschreiben. Daten wurden im Zeitraum von April 2014 bis Juni 2017 erhoben.

Bei Messzeitraumüberschreitungen einzelner Krankheitskosten wurden die Kosten ihrem prozentualen Anteil am jeweiligen Messzeitraum entsprechend berechnet.

Die direkten Krankheitskosten der Diagnosehauptgruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ (ICD 10, F00-F99) und „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung (Z73 inkl. Akzentuierung von Persönlichkeitszügen, ausgebrannt sein, Burn out)“ wurden für die Kostenfelder ambulante Behandlung, Krankenhaus (Hauptdiagnose) und Rehabilitation (Aufnahmediagnose) ermittelt. Bei den ambulanten Kosten existiert keine Hauptdiagnose. Deshalb wurden alle Behandlungskosten, bei denen wenigstens eine F-Diagnose abgerechnet wurde, den ambulanten Kosten zugeordnet, unabhängig davon, ob auch weitere andere Diagnosen abgerechnet wurden.

Die Arzneimittelkosten setzten sich zusammen aus den Kosten für Antidepressiva (N06A), Psycholeptika und Psychoanaleptika in Kombination (N06C), Anxiolytika (N05B) und Hypnotika und Sedativa (N05C). Bei den Arzneimittelkosten haben wir einen engen Ansatz gewählt und nur ATC-Gruppen aufgegriffen (N05B, N05C, N06A und N06C), die bei psychischen Belastungen am häufigsten verschrieben werden und damit auch im Zusammenhang mit der Einstufung mit dem HADS stehen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Daten aus einer Interventionsstudie (Lebe Balance) stammen, deren Ziel die Reduzierung von psychischen Belastungen war 14 . Alle Krankheitskosten entstammen den Routinedaten der AOK Baden-Württemberg.

Es werden jeweils die Krankheitskosten eines Jahres in Euro inflationsbereinigt dargestellt. Als Basisjahr wird 2014 verwendet (Monat Juni, angenähert an den Befragungszeitraum) und als Abschlussjahr 2016 (Mai). 2014 (Juni) bis 2015 (Mai) liegt die Inflationsbereinigung bei 0,9% (t1) und von 2014 bis 2016 bei 1,1% (t2) 19 .

Kontrollvariablen

Die Daten zu Alter (in Jahren, kategorial: 18–33, 34–49, 50–65,≥66) und Geschlecht (kategorial: männlich, weiblich) und Beschäftigungsstatus (kategorial: beschäftigt (Pflichtversicherte, Freiwillig Versicherte), nicht beschäftigt (Rentner, Familienversicherte, Arbeitslose u. a.)) wurde aus den Routinedaten der Krankenversicherung selektiert. Die Daten zu Beziehungsstatus (kategorial: verheiratet, nicht verheiratet) und Bildung (kategorial: Abitur/Fachabitur, Mittel-/Realschulabschluss, Volks-/Hauptschulabschluss, kein schulischer Abschluss) stammen aus der Befragung der Untersuchungsteilnehmer zum Zeitpunkt t0. Es fanden keine Anpassungen der Kontrollvariablen zu t1 und t2 statt.

Statistische Analysen

Die Verteilung der Krankheitskosten stellt eine Mischung aus diskreter und stetiger Verteilung dar und sie ist dementsprechend rechtsschief. Diese Form der Mischverteilung wird als Tweedie- oder Poisson-Gamma-Verteilung bezeichnet 20 21 . Als Modell wurde dementsprechend ein generalisiertes lineares Modell mit der Log-Verknüpfungsfunktion für Tweedie-verteilte abhängige Variablen gerechnet mit den direkten Krankheitskosten als abhängige Variable, psychische Belastungen (HADS) als unabhängige Variable und den Kontrollvariablen Geschlecht, Beziehungsstatus, Alter, Bildung und Beschäftigungsstatus.

Die Datenanalyse wurde wie folgt durchgeführt: Zunächst wurde der Zusammenhang zwischen dem Grad der psychischen Belastung und Krankheitskosten für alle drei Messzeiträume analysiert (vertikale Analyse), um die Ergebnisse aus der bisherigen Analyse auf die deutsche Allgemeinbevölkerung zu übertragen 17 . Anschließend wurde die Entwicklung der Kostendaten über die drei Messzeitpunkte hinweg analysiert (horizontale Analyse, Interaktion mit der Zeit). In einem letzten Schritt wurde die Verteilung der Krankheitskosten auf verschiedene Krankheitskostenfelder in Abhängigkeit des Grades der psychischen Belastung analysiert (ambulante Kosten, Krankenhauskosten, Rehabilitationskosten, Arzneimittelkosten).

Das Signifikanzniveau wurde auf α=0,05 festgesetzt. Die Analysen wurden mit dem Statistical Package of Social Sciences (SPSS) Version 26.0 durchgeführt.

Ergebnisse

Stichprobe

Die Stichprobe (N=3228) besteht aus 87% Frauen und 13% Männer, mit einem durchschnittlichen Alter von 49,7 Jahren. Bei 48% der Untersuchungsteilnehmer liegt keine psychische Belastung vor, bei 23% eine geringe, bei 24% eine moderate und bei 5% eine schwere psychische Belastung. Für weitere Details zur Stichprobe siehe Tab. 1 .

Tab. 1 Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe (N=3228).

N Prozent
Geschlecht Frau 2815 87,20%
Mann 413 12,80%
Alter 18–33 Jahre 423 13,10%
34–49 Jahre 1055 32,70%
50–65 Jahre 1486 46,00%
66 Jahre und älter 264 8,20%
Beziehungsstatus verheiratet 2316 71,70%
nicht verheiratet 912 28,30%
Bildung kein schulischer Abschluss 93 2,90%
Volks-/Hauptschulabschluss 1061 32,90%
Mittel-/Realschulabschluss 1331 41,20%
Abitur/Fachabitur 743 23,00%
Beschäftigungsstatus nicht beschäftigt 734 22,70%
beschäftigt 2494 77,30%
Grad der psychischen Belastung keine 1536 47,60%
geringe 752 23,30%
moderate 765 23,70%
schwere 175 5,40%

Verteilung der Krankheitskosten

81% aller direkten Krankheitskosten ließen sich den Diagnosegruppen „Affektive Störungen“ (48%, Depressionen u. a.) und „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ (33%, Angststörungen u. a.) zuordnen. Keine der anderen Diagnosegruppen aus der Diagnosehauptgruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ wies einen Anteil über 6% auf (Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen 6%, Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen 5%, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 4%, Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren 3%, Rest<1%).

Innerhalb des gesamten Messzeitraums (t0-t2) wiesen 67,4% der Untersuchungsteilnehmer direkte Krankheitskosten auf (t0: 54%, t1: 53%, t2: 55%).

Der Anteil der Untersuchungsteilnehmer mit Krankheitskosten stieg dabei mit dem Grad der psychischen Belastung. 56% der Personen ohne psychische Belastung, 68% der Personen mit geringer psychischen Belastung, 84% der Personen mit moderater psychischen Belastung und 95% der Personen mit schwerer psychischen Belastung verursachten Krankheitskosten.

Effekte der psychischen Belastung auf die Krankheitskosten zu den einzelnen Messzeitpunkten (vertikale Analyse)

Die direkten Krankheitskosten stiegen mit dem Grad der psychischen Belastung im Befragungsjahr (t0), im ersten Folgejahr [t1], und im zweiten Folgejahr {t2} signifikant an (χ 2 (3)=156,04 p<,001) [χ 2 (3)=180,99, p<,001] {χ 2 (3)=145,03, p<,001}.

Im Vergleich zur Referenzkategorie „keine psychische Belastung“ mit 190 EUR [195 EUR] {245 EUR} stiegen die Krankheitskosten mit jedem Grad der psychischen Belastung signifikant an: Faktor 2,0 [2,2] {1,5} bei geringer psychischen Belastung, Faktor 3,7 4 2 {3,1} bei moderater psychischer Belastung und wiesen für die Kategorie schwere psychische Belastung mit 1.422 EUR [1.757] {1.265} pro Jahr den 7,5-fachen [9,0] {5,2} Wert auf (s. Tab. 2 ).

Tab. 2 Ergebnisse des generalisierten linearen Modells zum Effekt unterschiedlicher Grade psychischer Belastung auf die Höhe der direkten Krankheitskosten aufgrund psychischer Erkrankungen, für das Befragungsjahr (t0) und die beiden folgenden Jahre.

Krankheitskosten im Jahr der Befragung Krankheitskosten im ersten Jahr Krankheitskosten im zweiten Jahr
M 95% KI Exp(B) 95% KI p M 95% KI Exp(B) 95% KI p M 95% KI Exp(B) 95% KI p
160,814 123,003 210,249 <,001 116,3 88,8 152,2 <,001 193,6 149,3 251,2 <,001
Geschlecht
Mann a 449 368 546 1 547 452 662 1 478 395 578 1
Frau 595 532 666 1,33 1,10 1,60 0,003 641 577 711 1,171 0,98 1,41 0,092 622 559 692 1,30 1,08 1,57 0,005
Alter
18–33 Jahre a 644 526 787 1 670 550 818 1 680 564 820 1
34–49 Jahre 630 541 734 0,98 0,81 1,18 0,824 754 651 873 1,125 0,93 1,36 0,216 508 436 591 0,75 0,62 0,89 0,001
50–65 Jahre 594 520 679 0,92 0,77 1,11 0,396 626 552 710 0,934 0,78 1,13 0,472 537 471 612 0,79 0,66 0,94 0,008
66 Jahre und älter 296 229 381 0,46 0,34 0,63 <,001 388 304 495 0,579 0,43 0,78 <,001 476 379 598 0,7 0,54 0,92 0,009
Beziehungsstatus
verheiratet a 446 389 511 1 478 421 544 1 476 419 540 1
nicht verheiratet 599 515 697 1,34 1,19 1,52 <,001 733 633 848 1,533 1,36 1,73 <,001 625 539 725 1,32 1,16 1,49 <,001
Bildung
Abitur/Fachabitur a 595 508 698 1 565 482 662 1 558 477 653 1
Mittel-/Realschulabschluss 497 432 572 0,84 0,49 0,97 0,021 610 533 698 1,08 0,93 1,26 0,326 552 483 632 0,99 0,85 1,15 0,894
Volks-/Hauptschulabschluss 587 515 669 0,99 0,84 1,16 0,866 506 444 578 0,897 0,76 1,06 0,2 543 477 618 0,94 0,83 1,15 0,742
kein schulischer Abschluss 410 295 570 0,69 0,53 1,06 0,035 704 526 941 1,246 0,92 1,70 0,163 528 387 721 0,95 0,68 1,32 0,743
Beschäftigungsstatus
nicht beschäftigt a 655 558 768 1 801 688 933 1 674 580 785 1
beschäftigt 408 356 467 1,61 1,393 1,85 <,001 438 385 498 1,831 1,60 2,10 <.001 441 387 502 1,53 1,33 1,76 <,001
Psychische Belastung (HADS)
keine a 190 162 222 1 195 167 227 1 245 212 285 1
geringe 380 320 451 2,00 1,72 2,34 <,001 436 371 514 2,24 1,91 2,61 <,001 376 319 444 1,53 1,32 1,79 <,001
moderate 696 595 813 3,67 3,18 4,23 <,001 821 707 953 4,21 3,65 4,86 <,001 756 651 878 3,08 2,68 3,54 <,001
schwere 1.422 1.166 1.735 7,50 6,11 9,21 <,001 1.757 1.451 2.127 9,01 7,36 11,03 <,001 1.265 1035 1.548 5,16 4,18 6,36 <,001

Anmerkungen: N=3.228, M=Mittelwert direkte Krankheitskosten aufgrund psychischer Erkrankungen pro Person und Jahr (12 Monate) in EUR, KI=95% Konfidenzintervall, HADS=Hospital Anxiety and Depression Scale, a=Referenzkategorie, Methode=log-link Funktion, Tweedie-Verteilung.

Bei den Kontrollvariablen wiesen Frauen im Vergleich zu Männer zum Zeitpunkt t0 und t2 (Faktor 1,3) sowie nicht Verheiratete im Vergleich zu Verheirateten (Faktor 1,3–1,5) signifikant höhere Krankheitskosten auf. Beschäftigte im Vergleich zu nicht Beschäftigten (Faktor 1,5–1,8) wiesen signifikant geringere Krankheitskosten auf (s. Tab. 2 ). Alter und Bildung hatten überwiegend keinen signifikanten Effekt auf die Höhe der Krankheitskosten (Ausnahmen: Alter≥66-Jahre, Alter 34–49 Jahre, 50–65 Jahre zu t3, Faktor 0,7, 0,75 und 0,8 im Vergleich zur Referenzgruppe 18–33 Jahre; Mittel-/Realschule, kein schulischer Abschluss zu t0, Faktor 0,84 und 0,69 im Vergleich zur Referenzkategorie Abitur) (s. Tab. 2 ).

Effekte der psychischen Belastung auf die Krankheitskosten im Zeitverlauf (horizontale Analyse)

Die direkten Krankheitskosten für die unterschiedlichen Grade psychischer Belastung zeigten im Zeitverlauf signifikante Veränderungen (χ 2 (6)=21,3 p=0,002) (s. Abb. 1 ). Für den Grad „keine psychische Belastung“ lagen im Vergleich von t1 zu t3 (p=0,020) und t2 zu t3 signifikant höhere Krankheitskosten vor (p=0,038). Bei schwerer psychischer Belastung lagen zum Messzeitpunkt t3 signifikant niedrigere Krankheitskosten vor als zum Messzeitpunkt t2 (p=0,024).

Abb. 1.

Abb. 1

Krankheitskosten aufgrund psychischer Störungen in Abhängigkeit vom Schweregrad der psychischen Belastung (HADS) im Befragungsjahr. Die Ergebnisse sind kontrolliert für Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Bildung und Beschäftigungsstatus. Inflationsbereinigt, Fehlerbalken 95% Konfidenzintervall

Die direkten Krankheitskosten insgesamt (t0=545 EUR 95% KI [481 EUR, 618 EUR], t1=592 EUR [523 EUR, 670 EUR], t2=517 EUR [455 EUR, 587 EUR]) hingegen verzeichneten keine signifikanten Veränderungen (χ 2 (2)=2,234, p=0,327).

Effekte der psychischen Belastung auf die Verteilung der Krankheitskosten auf unterschiedliche Kostenfelder

Mit dem Grad der psychischen Belastung stieg auch der prozentuale Anteil der Krankenhauskosten an den direkten Krankheitskosten insgesamt (s. Tab. 3 ). Wenn keine psychische Belastung vorlag, betrug der Anteil der Krankenhauskosten 23% [12%] {17%}, bei schwerer psychischer Belastung bis zu 48% [43%] {32%} betrug. Der prozentuale Anteil der ambulanten Krankheitskosten an den Krankheitskosten insgesamt nahm mit absteigenden Grad der psychischen Belastung entsprechend ab (s. Tab. 3 ).

Tab. 3 Direkte Krankheitskosten aufgrund von psychischen Erkrankungen nach Kostenfeldern und dem Grad der psychischen Störungen.

Grad psychischer Störungen Messzeitraum Prozentualer Anteil an den Krankheitskosten insgesamt
Ambulante Kosten Rehabilitation Arzneimittel Krankenhaus
keine t0 69% 3% 5% 23%
t1 80% 2% 6% 12%
t2 72% 7% 5% 17%
gering
t0 63% 6% 7% 25%
t1 62% 6% 7% 27%
t2 65% 4% 6% 25%
moderat
t0 49% 3% 6% 41%
t1 52% 5% 5% 37%
t2 56% 5% 6% 33%
schwer
t0 42% 2% 8% 48%
t1 45% 4% 8% 43%
t2 58% 1% 9% 32%

Anmerkungen: N=3228.

Diskussion

Zentrale Ergebnisse

„Psychische Belastung“ ist über alle Messzeitpunkte hinweg der stärkste Kostentreiber und mit jedem Grad Anstieg der psychischen Belastung geht in etwa eine Verdopplung der Krankheitskosten einher.

Im Zeitverlauf zeigten sich signifikante Veränderungen der Krankheitskosten nur an den beiden äußeren Rändern der psychischen Belastungsgrade (keine psychische Belastung, starke psychische Belastung), jeweils mit einer Tendenz zur Mitte hin.

Mit dem Grad der psychischen Belastung stiegen auch die Krankenhauskosten sowohl absolut als auch in Relation zu den anderen Krankheitskostenarten. Die Bedeutung der ambulanten Kosten nahm entsprechend ab.

32% der Untersuchungsteilnehmer mit geringen, 16% der Untersuchungsteilnehmer mit moderaten und 5% der Untersuchungsteilnehmer mit schwerer psychischer Belastung verursachten über den gesamten Messzeitraum von drei Jahren keine Krankheitskosten.

Diskussion der zentralen Ergebnisse

Die Ergebnisse stehen im Einklang mit den Ergebnissen von Birnbaum et al., dass die Krankheitskosten mit dem Grad der psychischen Belastung steigen 13 . Diese Ergebnisse stehen damit auch weitgehend in Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer unserer vorhergehenden Studien, in der wir die gesundheitsökonomischen Effekte der psychischen Belastung in der erwerbstätigen erwachsenen Bevölkerung untersuchten 12 .

An den beiden äußeren Rändern der psychischen Belastungsgrade (keine psychische Belastung, starke psychische Belastung) zeigten sich signifikante Effekte der Zeit auf die Krankheitskosten. Möglicherweise liegt in beiden Fällen ein regression to the mean effect vor: Ein gewisser Prozentsatz an psychisch Belasteten ist der Normalzustand – deshalb stiegen die Krankheitskosten in der Gruppe ohne psychische Belastung und fielen in der Gruppe der Versicherten mit starker psychischer Belastung 22 . Der Rückgang der Krankheitskosten bei schweren psychischen Belastungen spiegelte sich auch in der Verteilung der Krankheitskosten wider. So verloren die kostenintensiven Krankenhauskosten über die Zeit an Bedeutung und der Anteil der ambulanten Kosten nahm zu (s. Tab. 3 ).

Unsere Ergebnisse zeigen, dass 32% der Personen mit geringer psychischer Belastung über den gesamten Untersuchungszeitraum keine Krankheitskosten verursachen. Dies ist insofern bedenkenswert, da auf Grundlage der HADS-Normierungen eine Therapiebedürftigkeit, bereits bei geringer psychischer Belastung über weitere Verfahren abgeklärt werden sollte 16 23 . Die Relevanz von Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, um ihre Progredienz zu verhindern, ist dabei gut belegt 24 .

Für die Fragestellung der Untersuchung war der eingesetzte Fragebogen zielgenau, da der Hospital Anxiety and Depression Scale -Fragebogen mit Angst und Depression genau die Dimensionen der psychischen Erkrankungen erfasste, die auch das Krankheitsgeschehen in der Stichprobe dominierten und in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet sind 6 .

Limitationen der Untersuchung und Empfehlungen für zukünftige Forschung

Die Untersuchungsteilnehmer stellen keine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung dar (z. B. Männer 13%, Frauen 87%), sondern waren Teil einer Interventionsstudie. Wir haben deshalb den Effekt auf die Krankheitskosten für diese Faktoren adjustiert. Bei kleineren Subgruppen führt dies zu einer begrenzten Aussagekraft hinsichtlich des Zusammenhangs mit den Krankheitskosten.

Die relativ kleine Stichprobe könnte zudem zu einer zu geringen Power bei der Untersuchung einzelner Stichprobenmerkmale geführt haben. Die Untersuchungsergebnisse sollten daher an einer möglichst repräsentativen Stichprobe überprüft werden.

In unserer Studie zeigte die Ausprägung der Bildungsvariable „ohne Schulbildung“ keinen Effekt auf die Höhe der Krankheitskosten. Dies ist im Widerspruch zu anderen Untersuchungen 25 26 . Dies könnte sich damit erklären lassen, dass wir nur die Schulbildung ohne die berufliche Ausbildung in die Analyse einbeziehen konnten, da die berufliche Ausbildung nicht abgefragt wurde 25 . Nach Lampert et al. erhöht sich das Risiko für psychische Erkrankungen aber insbesondere für die Gruppierung ohne Schulbildung und ohne Berufsausbildung 26 . Darüber hinaus könnte Bildung ihren Effekt als Prädiktor für die Krankheitskosten verlieren, wenn der Grad der psychischen Belastung als Mediatorvariable in das Modell einbezogen wird. Diese Annahme sollte in zukünftigen Studien überprüft werden.

Routinedaten der Krankenversicherung können direkte Krankheitskosten nur in dem Ausmaß widerspiegeln, in dem diese Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Dies bedeutet, dass Zuzahlungen und direkte Käufe der Versicherten und (zumindest was die stationäre Versorgung betrifft) die Kosten der Nutzung langlebiger Wirtschaftsgüter in diesen Daten nicht erfasst und entsprechend nicht berücksichtigt sind. Weitere nicht erfasste direkte Kosten betreffen die Kosten für die Pflege und Betreuung der erkrankten Personen durch Angehörige. Dies führt vermutlich zu einer Unterschätzung der mit steigender psychischer Belastung einhergehenden gesellschaftlichen Kostendynamik für die Untersuchungsteilnehmer.

Alle ambulanten Kosten, bei denen eine F-Diagnose abgerechnet wurde, wurden den spezifischen ambulanten Kosten zugeordnet, unabhängig davon, ob auch weitere andere Diagnosen abgerechnet wurden. Die ambulanten Kosten sind damit tendenziell überbewertet.

In zukünftigen Studien sollten zudem Komorbiditäten, auch über die Zeit, erfasst werden, damit wir besser die Hintergründe der Entstehung psychischer Belastungen verstehen und auch ihre ökonomische Bedeutung besser bewerten können.

Schlussfolgerung

Einmal festgestellte psychische Erkrankungen erhöhen bereits bei geringer psychischer Belastung über einen Zeitraum von drei Jahren maßgeblich die Krankheitskosten. Die Krankheitskosten verdoppeln sich dabei in etwa mit jedem Grad Zunahme psychischer Belastung. Das Erkennen von Effektivitätspotentialen in der Behandlung und die Progredienz psychischer Erkrankungen zu verhindern, ist deshalb wichtig für das gesundheitliche Wohl der erwachsenen Allgemeinbevölkerung in Deutschland und von hoher gesundheitsökonomischer Relevanz.

Danksagung

Wir danken unserer wissenschaftlichen Hilfskraft, Laura Wohlhüter, für die ausgezeichnete Unterstützung der Überarbeitung des Manuskripts.

Footnotes

Interessenkonflikt G. Müller und M. Bombana sind Mitarbeiter der AOK Baden-Württemberg. Die Autoren erklären, dass die Forschung nicht im Zusammenhang mit kommerziellen oder finanzielle Beziehungen steht, die als potentieller Interessenkonflikt ausgelegt werden könnte.

Literatur

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