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. 2022 Oct 24;69(11):48–51. [Article in German] doi: 10.1007/s35128-022-1751-6

An der Börse genau hinschauen

Carmen Mausbach 1,
PMCID: PMC9589615

Die Lage an den Aktienmärkten ist derzeit schwierig. Viele bekannte Unternehmen haben ihren Börsengang abgesagt oder zeitlich nach hinten verschoben. Ob die Rechnung aufgeht, durch den Kauf neuer Aktien Geld zu verdienen, ist aber auch in guten Marktphasen schwer vorherzusagen.

Die Volatilität an den globalen Aktienmärkten hat angesichts des Krieges in der Ukraine, der hohen Inflation und den damit verbundenen Sorgen vor einer weltweiten Rezession seit Jahresanfang drastisch zugenommen. Mit Stand vom 26. September 2022 büßte der DAX im Jahresverlauf bereits mehr als 22 Prozent ein. In solchen schwierigen Zeiten halten sich Unternehmen mit ihrem Initial Public Offering (IPO) zurück, weil sie fürchten, dass die neuen Papiere im Zuge der Börsenturbulenzen drastisch an Wert verlieren. Laut dem aktuellen IPO-Barometer des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY wagten im zweiten Quartal 2022 weltweit nur 305 Unternehmen den Sprung auf das Börsenparkett. Gegenüber dem zweiten Quartal 2021 waren das 354 Unternehmen weniger oder 54 Prozent. Das Emissionsvolumen sank ebenso von 115,7 Milliarden US-Dollar auf 40,6 Milliarden US-Dollar oder um 65 Prozent. Besonders vorsichtig agieren momentan amerikanische Unternehmen, die an die Börse wollen. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2021 sank in den Vereinigten Staaten die Zahl der Börsengänge von 154 auf 41, das Emissionsvolumen schrumpfte sogar um 95 Prozent von 48,8 auf 2,5 Milliarden US-Dollar. In Europa ging die Zahl der Börsengänge im gleichen Zeitraum von 217 auf 83 zurück und das Emissionsvolumen schrumpfte von 26,6 Milliarden auf 14,8 Milliarden US-Dollar.

Mutiger agieren hingegen Unternehmen aus dem asiatischen-pazifischen Raum: Dort wagten im zweiten Quartal 2022 insgesamt 181 Unternehmen den Schritt an die Börse, das waren lediglich 37 Prozent weniger als im Vorjahr. Das Emissionsvolumen sank um 42 Prozent von 40,3 Milliarden auf 23,3 Milliarden US-Dollar. Der weltweit größte Börsengang im zweiten Quartal 2022 war der von LG Energy Solution, eine in Korea ansässige Firma, die sich mit der Entwicklung von Lithium-Ionen-Batteriematerialien und Batterien der nächsten Generation beschäftigt. Der Emissionserlös lag bei 10,7 Milliarden US-Dollar. An zweiter Stelle rangierte der chinesische Mobilfunkanbieter China Mobile, der einen Emissionserlös von 8,2 Milliarden US-Dollar erzielte. Auf den dritten Platz lag der Versorger Dubai Electricity & Water Authority, der 6,1 Milliarden US-Dollar bei den Anlegern einsammelte. Von den größten zehn Börsengängen kam kein einziges Unternehmen aus Europa. Vier kamen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, drei entfielen auf China, jeweils einer auf Korea, Indien und die USA.

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Börsengang häufig verschoben

Das Interesse der Unternehmen an einem Börsengang ist trotz der momentanen Unwägbarkeiten hoch. Denn die Historie zeigt, dass sich die Märkte nach starken Abwärtsbewegungen in der Regel immer wieder erholen. Vermittler sowie deren Kunden, die in Aktien investieren wollen, sollten diesbezügliche Absichten der Unternehmen im Auge behalten, denn viele gut aufgestellte Betriebe haben ihren Börsengang nur verschoben. Manche Unternehmen zogen den Börsengang aber auch wie geplant durch und scheinen damit wohl Erfolg zu haben. Ein Beispiel dafür ist der Börsengang des Sportwagenkonzerns Porsche, dessen Aktien schon vor dem Verkaufsstart sehr gefragt waren. Nur eineinhalb Stunden nach dem offiziellen Beginn der Zeichnungsfrist meldeten die begleiteten Banken, dass die Orderbücher über die gesamte Preisspanne hinweg vielfach überzeichnet waren. Das ist nicht immer so, denn bei manchen Börsengängen dauert es oft Tage, bis die Zeichnungsaufträge das Angebot übersteigen. Die Porsche Aktiengesellschaft ist am 29. September an die Börse gegangen. Der Eigentümer des Stuttgarter Sportwagenbauers, die Volkswagen AG, bot bis zum 28. September 113,9 Millionen Porsche-Vorzugsaktien in einer Spanne von 76,50 Euro bis 82,50 Euro an. Der Ausgabepreis wurde letztlich auf 82,50 Euro festgesetzt, so dass unter dem Strich knapp 9,4 Milliarden Euro erlöst werden konnten. Der Börsengang von Porsche zählt damit zu einem der größten IPOs der vergangenen Jahre.

Seit einiger Zeit wird auch über ein IPO von Cheplapharm spekuliert, einem in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen Familienunternehmen, das sich auf den Erwerb von Medikamenten spezialisiert hat, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Ursprünglich war der Börsengang für das erste Quartal 2022 geplant. Angesichts der derzeit ungünstigen Marktbedingungen gab das Unternehmen bekannt, erst später an die Börse gehen zu wollen. Ob der Sprung aufs Parkett ein Erfolg werden wird, bleibt abzuwarten. Die Geschäftszahlen können sich jedenfalls sehen lassen. Nach eigenen Angaben erzielte Cheplapharm im Geschäftsjahr 2021 mit 1,1 Milliarden Euro den höchsten Umsatz der Firmengeschichte. Auch 2022 scheint der Erfolgskurs gesetzt: Der Umsatz des pharmazeutischen Unternehmens stieg in den ersten sechs Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 20 Prozent von 495 auf 594 Millionen Euro an. Der Gewinn vor Steuern (EBITDA) erreichte im ersten Halbjahr 2022 einen Wert von 343 Millionen Euro und lag damit vier Prozent über der entsprechenden Vorjahresperiode mit einem EBITDA von 331 Millionen Euro.

Neue Produkte im Wert von 565 Millionen Euro hat Cheplapharm im ersten Halbjahr 2022 in das eigene Portfolio übernommen. Auch im zweiten Halbjahr plant das Haus weitere Akquisitionen. Gegenwärtig beschäftigt Cheplapharm knapp 500 Mitarbeitende und bietet rund 140 Markenmedikamente aus verschiedenen Therapiegebieten an.

Die Dating-Plattform Parship hat ihren Börsengang ebenfalls verschoben. Denn laut der Muttergesellschaft Prosieben Sat.1 macht das momentane wirtschaftliche Umfeld eine wertschaffende Transaktion schwierig. Im Unterschied zu Cheplapharm ist der Umsatz der Parship Meet Group von Prosieben Sat.1 im zweiten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund neun Millionen Euro gesunken.

Mittlerweile haben es auch einige deutsche Fintechs geschafft, zum Unicorn beziehungsweise Einhorn aufzusteigen und streben nun den Börsengang an. Unternehmen mit Einhorn-Status sind Unternehmen, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet sind. Zu diesen Neuaufsteigern zählt beispielsweise Solaris, ein in Berlin ansässiges Technologieunternehmen mit Banklizenz, das erst vor Kurzem angekündigt hat, an die Börse gehen zu wollen, um das rasante Wachstum zu finanzieren. Im Januar 2022 haben Solaris und die Contis Group bekannt gegeben, ihre im vergangenen Jahr angekündigte Partnerschaft erfolgreich zum Abschluss gebracht zu haben. Damit stehen die Chancen gut, sich in ganz Europa als führender Banking-as-a-Service-Dienstleister zu etablieren. Im März 2022 wurde auch die Partnerschaft mit dem Berliner Neobroker Fina für das Wertpapiergeschäft bekannt gegeben. Über Standardisierte Schnittstellen, kurz API, soll das neue Produkt Partnern einfachen Zugang zum Wertpapierhandel bieten. Es heißt, das Produkt sei eine All-in-One-Lösung, welche Partnern ermögliche, als gebundene Vermittler der Solaris den Handel mit Wertpapieren zu betreiben. Die Profitabilität des Unternehmens ist jedoch noch nicht besonders gut. Das Jahresergebnis vor Steuern von Solaris lag in 2021 bei einem Minus von rund 32,5 Millionen Euro, auf Konzernebene sogar bei negativen 41 Millionen Euro. Die Erhöhung des Jahresfehlbetrags gegenüber dem Vorjahr führt das Unternehmen auf weitere Investitionen in die Produkte und Prozesse der Solaris sowie die Akquisition der Contis Group zurück.

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Ein weiterer Fintech-Kandidat, der an die Börse will, ist N26. Spätestens im 2025 soll es so weit sein. Von der Profitabilität ist aber auch diese deutsche Neobank noch weit entfernt. Der Jahresfehlbetrag der N26-Gruppe fiel gegenüber dem Vorjahr zwar um 30,5 Prozent, lag aber immer noch bei negativen 150,7 Millionen Euro. Im Vorjahr waren es noch Minus 216,9 Millionen Euro. Die Auswertung "Finnoscore Deutschland 2022", die deutsche Banken mit Mitbewerbern aus Europa und Nordamerika im Hinblick auf ihre digitale Kompetenz vergleicht, gab zudem bekannt, dass die vormals bestplatzierte Neobank N26 in der Rangliste deutlich abgerutscht ist und in der Kategorie "Top-Banken" nur noch den 17. Platz belegt. Die Studienautoren führen den Abstieg des ehemaligen Branchenprimus N 26 auf eine komplexer gewordene Menüstruktur der App zurück, die einem breit gefächerten Produktangebot geschuldet sei. Damit sei nicht nur die Einfachheit des Angebotes verloren gegangen, sondern auch die Preistransparenz habe sich verschlechtert. Und einen Vergleich mit Konkurrenzprodukten, den es früher einmal gab, gibt es auch nicht mehr.

Zudem sei die Chat-Funktion eingestellt worden. Aus Kundensicht komme das überhaupt nicht gut an, denn die ohnehin limitierten Möglichkeiten, mit der Bank Kontakt aufzunehmen, würden weiter beschnitten. Kürzlich stand N 26 auch wegen Geldwäsche in der Kritik, weil es mehrere Fälle gab, in denen Betrüger N26-Konten als Zwischenstation dafür nutzten. Zudem monierte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Mängel bei der Personalausstattung, woraufhin N26 die Zahl der Mitarbeitenden im Kundenservice deutlich erhöhte.

Diffuse Kursentwicklung

Anleger, die Synlab-Aktien im Rahmen des IPO erworben haben, blicken mit Stand vom 26. September 2022 auf eine sehr unterschiedliche Kursentwicklung zurück. Der Ausgabepreis der Synlab-Aktien (ISIN: DE000A2TSL71), einem der größten europäischen Anbieter von klinischen Labor- und medizinischen Diagnostikdienstleistungen, lag bei 18 Euro und damit am unteren Ende der einst angepeilten Spanne von bis 23 Euro. Seitdem ist die Aktie auf unter 13 Euro gefallen, was insbesondere den deutlich geringeren Erlösen aus Covid-19-Tests geschuldet war. Der Kochboxenlieferant Hello Fresh (ISIN: DE000A161408) bescherte den Anlegern hingegen einen ordentlichen Gewinn. Der Ausgabekurs lag bei 10,60 Euro und die Aktie kletterte zwischenzeitlich bis auf 97,50 Euro, was einem Plus von über 800 Prozent entsprach. Mittlerweile ist Hello Fresh aus dem DAX ausgeschieden und im Index der mittelgroßen Werte zu finden. Seit Jahresbeginn gingen zudem zwei Drittel an Wert verloren. Die Aktie notierte mit Stand vom 26. September bei 20,30 Euro. Ähnlich gut lief es bei Delivery Hero (ISIN: DE000A2E4K43), obwohl der weltweit tätige Anbieter von Online-Bestelldiensten und einem eigenem Lieferservice den DAX auch wieder verlassen musste.

Bei seinem Börsengang am 30. Juni 2017 wurden bei einem Ausgabepreis von 25,50 Euro enorme 789 Millionen Euro erzielt. Seither hat die Aktie um 51 Prozent auf 38,51 Euro zugelegt. Deutlich schlechter lief es beim Online-Optiker Mister Spex (ISIN: DE000A3CSAE2), der Anfang Juli 2021 an die Börse gegangen ist. Bei einem Ausgabekurs von 25 Euro je Aktie sammelte die Firma insgesamt 75 Millionen Euro ein. Am 26. September 2022 notierten die Aktien bei nur noch 3,02 Euro, was einem Minus von fast 88 Prozent entspricht.

Ein ähnliches Schicksal ereilte das biopharmazeutische Unternehmen Curevac (ISIN: NL0015436031), mit seiner einst erfolgreichen mRNA-Technologie. Dem Impfstoff, der sich in der Pandemie noch als Glücksgriff entpuppte, wird mittlerweile eine nicht mehr so gute Schutzwirkung nachgesagt. Der Aktienkurs von Curevac entwickelte sich demnach ebenfalls nicht so gut. Nachdem der Ausgabekurs bei 36 Euro lag, ist er auf 7,78 Euro und somit um fast 80 Prozent gesunken. Nicht ganz so stark ging es für die Team-Viewer-Aktie (ISIN: DE000A2YN900) nach unten. Bei einem Ausgabepreis von 26 Euro ist der Kurs mittlerweile um knapp 68 Prozent auf rund acht Euro abgestürzt.

Wenig Glück hatten die Anleger auch mit der Firma Fashionette (ISIN: DE000A2QEFA1). Die 2008 gegründete Online-Plattform für Premium- und Luxus-Modeaccessoires ging am 29. Oktober 2020 an die Börse. Der Ausgabepreis von Fashionette lag bei 31 Euro. Mittlerweile sind die Aktien nur 3,63 Euro wert. Einen hohen Verlust müssen Anleger gegenwärtig auch bei Trivago (ISIN: US89686D1054) verkraften. Die Aktie des Hotelsuchportals ist um 94 Prozent abgestürzt. Verluste sind allerdings nur dann realisiert, wenn die Aktien auch mit Verlusten verkauft wurden.

Ob die jeweiligen Aktien nach den verlustträchtigen Wochen und Tagen wieder an Wert gewinnen und an ihren Ausgabekurs anknüpfen können, bleibt fraglich. Vermittler sollten das bei ihrer Beratung berücksichtigen.

Kompakt.

  • Mit rund 2.000 Börsengängen weltweit war 2021 ein sehr starkes Börsenjahr.

  • Angesichts der weltweit stark gestiegenen Volatilität der Aktienmärkte, die hauptsächlich auf makroökonomische und politische Unsicherheiten zurückzuführen ist, haben viele Unternehmen den für 2022 geplanten Börsengang verschoben.

  • Wie ein Rückblick der vergangenen Jahre zeigt, fallt die Börsenperformance nach einem Initial Public Offering oftmals dürftig aus.


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