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. 2022 Nov 23;5(Suppl 1):147–150. [Article in German] doi: 10.1007/s42451-022-00508-w

49/m mit anhaltender Vigilanzminderung im Zuge einer COVID-19-Infektion

49/m—with sustained reduced consciousness during COVID-19 infection

Preparation course neurological intensive care medicine: case 30

S Knauß 1, B Knier 2,
PMCID: PMC9684973

Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ihnen wird konsiliarisch ein 49-jähriger Patient auf der Intensivstation vorgestellt, der sich dort seit 4 Wochen bei schwerer Pneumonie durch SARS-CoV-2(severe acute respiratory syndrome coronavirus 2)-Infektion befindet. Nach 3‑wöchiger invasiver Beatmung (Beatmung in Bauchlage, keine extrakorporale Membranoxygenierung [ECMO]) konnte die Situation stabilisiert werden. Unter Reduktion der Sedierung zeigt der Patient nun keine adäquate Aufwachreaktion.

Klinischer Untersuchungsbefund.

Patient nicht sediert, soporös („Richmond agitation sedation scale“ [RASS]: −4), spontan atmend über Trachealkanüle. Kein Meningismus. Patient fixiert den Untersucher nicht, befolgt keine Aufforderungen.

Hirnnerven: Anisokorie (rechts > links), Lichtreaktion seitengleich verzögert, faziale Parese links

Motorik: Keine Spontanmotorik, auf Schmerzreiz symmetrische proximale Flexion der Extremitäten (Kraftgrad [KG]: 2–3/5), distal Innervation ohne Bewegungseffekt (KG 1/5), Bizeps‑, Patellar- und Achillessehnenreflex beidseits erloschen. Zeichen nach Babinski beidseits negativ.

Prüfungsfragen

  • Was vermuten Sie als Ursache der Vigilanzminderung und warum?

  • Welche Diagnostik halten Sie hier für vordringlich und wie zeitnah sollte diese erfolgen?

  • Welche Ursachen kommen für das klinische Syndrom einer Enzephalopathie in Frage?

  • Wie gehen Sie beim Leitsymptom der Enzephalopathie diagnostisch vor?

  • Was ist bei enzephalopathischen Symptomen bei Menschen mit SARS-CoV-2-Infektion zu bedenken?

  • Was nehmen Sie als Ursache der Tetraparese an? Beschreiben Sie das vermutete Krankheitsbild.

  • Welche Differenzialdiagnosen kommen in Frage?

  • Wie gehen Sie diesbezüglich diagnostisch und therapeutisch vor?

  • An welche neurologischen Manifestationen müssen Sie darüber hinaus bei Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion denken?

Antworten

Was vermuten Sie als Ursache der Vigilanzminderung und warum?

  • Die Kombination einer Vigilanzminderung mit fokal neurologischen Ausfällen spricht für eine oder mehrere fokale zerebrale Läsionen. Bis zum Beweis des Gegenteils muss zunächst ein zerebrovaskuläres Ereignis im Sinne einer Ischämie oder Blutung angenommen werden.

Merke.

Eine Infektion mit SARS-CoV‑2 geht mit einem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle einher (Inzidenz ~1,1–1,6 %). In der ersten Woche nach Infektion ist das Risiko bis zu 6‑fach erhöht. Gerinnungsaktivierung, Inflammation, Endothelschädigung und kardiale Schädigung werden als mögliche Pathomechanismen angenommen. Intrazerebrale Blutungen wurden v. a. bei (therapeutisch) antikoagulierten Patienten und im Zuge einer ECMO-Therapie beobachtet [3, 2].

  • Kryptogene und subklinische Schlaganfälle finden sich insbesondere bei älteren Patienten mit vaskulären Risikofaktoren und einem schweren Verlauf einer Coronavirus 2019 Erkrankung (COVID-19: „coronavirus disease 2019“).

  • Bei jüngeren Patienten ohne relevante Gefäßrisikofaktoren und ohne schwere Lungensymptome sind ischämische Schlaganfälle mit Verschluss der großen hirnversorgenden Arterien („large vessel occlusion“) möglich. Als Ursache wird ein Gefäßverschluss bei COVID-19-induzierter Gerinnungsstörung oder Endothelschädigung angenommen.

Welche Diagnostik halten Sie hier für vordringlich und wie zeitnah sollte diese erfolgen?

  • In Kombination sprechen Vigilanzminderung, Anisokorie und faziale Parese für ein infratentorielles Problem.

  • Zudem muss differenzialdiagnostisch auch ein erhöhter intrakranialer Druck mit beginnender transtentorieller Herniation erwogen werden. Da Sie keine genaue Information über die Dynamik der Beschwerden haben, ist eine zeitnahe und dringliche bildgebende zerebrale Diagnostik angezeigt.

  • Je nach Verfügbarkeit, Logistik und klinischem Zustand des Patienten sollte eine zerebrale MRT- (Magnetresonanztomographie), alternativ eine CT-Untersuchung (CT: Computertomographie), angestrebt werden. Abhängig vom bildgebenden Befund können im Anschluss auch eine Lumbalpunktion (LP) sowie eine Elektroenzephalographie (EEG) diagnostisch relevante Aspekte liefern.

Der Fall.

Im gegenwärtigen Fall zeigen sich im MRT diffuse zerebrale Mikroblutungen, die als „critical-illness-associated cerebral microbleeds“ eingeordnet werden (Abb. 1).

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Merke.

Die Ursachen diffuser zerebraler Mikroblutungen sind vielfältig und letztlich unspezifisch. Neben Gerinnungsstörungen (z. B. Thrombozytopenie) können ein arterieller Hypertonus und hypoxämische Ereignisse (Sepsis, ARDS [„acute respiratory distress syndrome“]) eine Rolle spielen.

Welche Ursachen kommen für das klinische Syndrom einer Enzephalopathie in Frage?

  • Der Begriff Enzephalopathie beschreibt eine meist reversible Hirnfunktionsstörung ohne Nachweis einer klaren strukturellen oder fokalen zerebralen Ursache.

  • Ein enzephalopathisches Syndrom findet sich bei einer Vielzahl von Intensivpatienten, das Spektrum der Ursachen ist groß.

  • Unterschieden werden die metabolische (Hormon‑/Stoffwechselentgleisung), toxische (Drogen‑/Medikamentenintoxikation), hepatische, urämische, septische, hypoxische (ARDS, Herz‑/Lungenversagen) und Wernicke-Enzephalopathie (Vitamin‑B1-Mangel) [1].

Merke.

Bei COVID-19-Intensivpatienten zählt die Enzephalopathie neben Neuropathien und Schlaganfällen zu den häufigsten neurologischen Manifestationen und tritt bei ca. 10 % der hospitalisierten und bei mehr als 2/3 der auf Intensivstation behandelten Patienten auf [2, 5]. Neben einer schweren systemischen Inflammation spielen bei COVID-19 auch hypoxämische Vorgänge eine wichtige Rolle.

  • Abzugrenzen ist die sehr viel seltener, in nur ca. 0,2–1 %, auftretende Virusenzephalitis im Zuge von COVID-19. Neben einer Vigilanzminderung kann es hier zu Kopfschmerzen, Fieber, epileptischen Anfällen und fokal-neurologischen Defiziten kommen [4].

Wie gehen Sie beim Leitsymptom der Enzephalopathie diagnostisch vor?

  • Bei Verdacht auf Enzephalopathie sind eine erweiterte Anamnese sowie Diagnostik mittels Labor (Nieren‑/Leberparameter, Elektrolyte, Blutbild), MRT (falls nicht verfügbar CT), LP und EEG angezeigt [1].

  • Abhängig vom Befund können weitere Laborparameter (Hormone, antineuronale Antikörper, Destruktionsmarker wie neuronenspezifische Enolase usw.) und somatosensorisch evozierte Potenziale (v. a. Prognoseabschätzung bei hypoxischer Enzephalopathie) sinnvoll sein.

  • Die Anamnese und die Laborwerte sind oft zielführend, MRT, Lumbalpunktion und EEG dienen v. a. der Ausschlussdiagnostik.

  • Befunde im MRT sind vielfältig und meist unspezifisch.
    • Neben einem unauffälligen Befund können eine diffuse Leukenzephalopathie oder – wie im aktuellen Fall – Mikroblutungen vorliegen.
    • Diffuse Kontrastmittelaufnahmen oder nekrotisierend-hämorrhagische Läsionen lassen an die Differenzialdiagnose einer Enzephalitis bzw. eine akute hämorrhagisch-nekrotisierende Enzephalopathie (ANE) denken.
  • In der EEG liegt meist eine Allgemeinveränderung vor, teils mit triphasischen Wellen, auch Anfallsmuster sind möglich.

  • Die Therapie richtet sich in erster Linie nach der zugrunde liegenden Ursache. Bei SARS-CoV-2-getriggerter Enzephalopathie ist die systemische Therapie der Viruserkrankung essenziell.

  • In kleineren retrospektiven Fallserien konnte durch begleitende Immuntherapie (Steroide, Plasmapherese, i.v. Immunglobuline) der Krankheitsverlauf zusätzlich positiv beeinflusst werden.

Was ist bei enzephalopathischen Symptomen bei Menschen mit SARS-CoV-2-Infektion zu bedenken?

  • Bei Verdacht auf eine Virusenzephalitis durch SARS-CoV‑2 sollte immer eine Diagnostik mittels Lumbalpunktion, MRT und EEG erfolgen.

  • Bis zum Ausschluss einer HSV-Infektion (HSV: Herpes-simplex-Virus) ist die Gabe von Aciclovir sinnvoll.

  • Im Liquor findet sich meist eine leichte Pleozytose (10–30 Leukozyten/µl) mit geringer Eiweißvermehrung und einer (fakultativen) intrathekalen Immunglobulinsynthese. Eine SARS-CoV-2-PCR (PCR: Polymerasekettenreaktion) im Liquor bleibt in der Regel negativ. Die cMRT-Befunde (cMRT: kraniale MRT) sind unspezifisch (teils lokales Hirnödem, multifokale Kontrastmittelaufnahme, nekrotisierend-hämorrhagische Läsionen). Die EEG ist nahezu immer verändert [1].

  • Die Therapie erfolgt symptomatisch, ein kausaler Therapieansatz existiert nicht.

Cave.

Bei Virusenzephalitis durch SARS-CoV‑2 sind die cMRT-Befunde unspezifisch, die EEG ist fast immer verändert, und im Liquor findet sich meist eine leichte Pleozytose mit geringer Eiweißvermehrung und evtl. intrathekaler Immunglobulinsynthese. Bis zum Ausschluss einer HSV-Infektion sollte Aciclovir verabreicht werden, die weitere Therapie erfolgt symptomatisch.

Was nehmen Sie als Ursache der Tetraparese an? Beschreiben Sie das vermutete Krankheitsbild

  • Bei Nachweis einer schlaffen symmetrischen Tetraparese und längerem Intensivaufenthalt ist in erster Linie an eine intensive care unit (ICU) acquired weakness“ (ICUAW) zu denken.

  • Bei ihr greifen meist eine „critical illness polyneuropathy“ (CIP) und eine „critical illness myopathy“ (CIM) ineinander.

  • Risikofaktoren für eine ICUAW sind:
    • Schwere und Dauer der intensivpflichtigen Erkrankung,
    • Komplikationen wie z. B. Sepsis, Multiorganversagen, Hyperglykämie, parenterale Ernährung,
    • bestimmte Medikamente (z. B. Sedativa, Antibiotika, Kortikosteroide, Muskelrelaxanzien).
  • Im klinischen Bild führend sind Paresen und Atrophien der gesamten Muskulatur (inklusive Atemmuskulatur) sowie Sensibilitätsstörungen.

Cave.

Bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten können auf eine ICUAW zurückzuführende motorische Defizite zu einer weiteren Verschlechterung der Atmung führen [5].

Welche Differenzialdiagnosen kommen in Frage?

  • Differenzialdiagnostisch muss an ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) gedacht werden, das im Zusammenhang mit COVID-19 wiederholt beschrieben wurde. Typischerweise tritt es früh (etwa 5–10 Tage nach der COVID-19-Diagnose) auf.

  • Es sind klinische Verläufe unterschiedlicher Schwere von milden, sensiblen Defiziten bis hin zu schwerer Tetraparese berichtet. Ein Zusammenhang mit der COVID-19-Schwere lässt sich nicht sicher herstellen.

  • Ein Kausalzusammenhang zwischen der SARS-CoV-2-Infektion und einem GBS ist möglich, aber nicht gesichert.

Cave.

Ein rasch progredienter Verlauf kann zu einer frühen respiratorischen Insuffizienz mit vitaler Bedrohung führen. Bei Verdacht auf ein GBS müssen Diagnostik und Therapie zeitnah erfolgen.

Wie gehen Sie diesbezüglich diagnostisch und therapeutisch vor?

  • Diagnostisch sollten bei Intensivpatienten in jedem Fall eine (bettseitige) Elektrophysiologie und – bei Anhalt für ein GBS – auch eine LP erfolgen.

  • Eine MRT-Diagnostik des Myelons oder der Muskulatur ist aufgrund des Aufwands nur in Einzelfällen indiziert.

  • Elektroneurographisch findet sich bei einer ICUAW oft eine ausgeprägte, distal-symmetrisch betonte axonale sensomotorische Polyneuropathie. Die Nadelelektromyographie ergibt häufig Zeichen der floriden Denervierung (Spontanaktivität) mit frühem Rekruitment, teilweise werden auch myopathische Muster beobachtet.

  • Beim GBS findet sich in der Elektroneurographie oft eine symmetrische, demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie mit Verlust der F‑Wellen. Auch axonale Varianten sind möglich.

  • In der Liquoranalyse zeigt sich typischerweise eine zytoalbuminäre Dissoziation. Die Bestimmung von Gangliosidantikörpern ist sinnvoll, aber bei SARS-CoV-2-assoziiertem GBS meist negativ.

  • Die Therapie der ICUAW ist in erster Linie auf die Vermeidung bzw. Reduktion der Risikofaktoren einer ICUAW (s. Antwort zur Frage Was nehmen Sie als Ursache der Tetraparese an? Beschreiben Sie das vermutete Krankheitsbild) ausgerichtet.

  • Die Therapie des SARS-CoV‑2 assoziierten GBS erfolgt analog der bei herkömmlichem GBS durch Gabe von i.v. Immunglobulinen, Plasmapherese oder Immunadsorption.

An welche neurologischen Manifestationen müssen Sie darüber hinaus bei Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion denken?

  • Neurologische Symptome bei COVID-19 sind insgesamt häufig.

  • In einer Metaanalyse an primär hospitalisierten COVID-19-Patienten wurden hauptsächlich eine Fatigue (32 %), Muskelschmerzen (20 %), Geschmacksstörung (21 %), Geruchsstörung (19 %) und Kopfschmerzen (13 %) beschrieben. Bei über 60-Jährigen trat in 34 % ein Delir auf [2, 4].

  • Die häufigsten neurologischen Komplikationen bei Intensivpatienten sind Enzephalopathien, neuromuskuläre Erkrankungen und Schlaganfälle [1].

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Knauß und B. Knier geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Für diesen Beitrag wurden von den Autoren/Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten/Patientinnen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.

The supplement containing this article is not sponsored by industry.

Literatur

  • 1.Berlit P, Bösel J, Franke C, et al. Neurologische Manifestationen bei COVID-19, S1-Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologieet al., editors. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 2021. [Google Scholar]
  • 2.Misra S, Kolappa K, Prasad M, et al. Frequency of Neurologic manifestations in COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Neurology. 2021 doi: 10.1212/WNL.0000000000012930. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
  • 3.Katsoularis I, Fonseca-Rodríguez O, Farrington P, et al. Risk of acute myocardial infarction and ischaemic stroke following COVID-19 in Sweden: a self-controlled case series and matched cohort study. Lancet. 2021;398(10300):599–607. doi: 10.1016/S0140-6736(21)00896-5. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
  • 4.Siow I, Lee KS, Zhang JJY, et al. Encephalitis as neurological complication of COVID-19: a systematic review and meta analysis of incidence, outcomes and predictors. Eur J Neurol. 2021;28(10):3491. doi: 10.1111/ene.14913. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
  • 5.Jaquet P, Legouy C, Le Fevre L, et al. Neurologic Outcomes of Survivors of COVID-19-associated acute respiratory distress syndrome requiring intubation. Crit Care Med. 2022;50(8):e674–e682. doi: 10.1097/CCM.0000000000005500. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]

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