Zum dritten Mal in Folge geht ein Jahr zu Ende, in dem „Corona“ (nicht nur) den medizinischen Alltag bestimmt hat. Es waren einerseits direkte Auswirkungen durch COVID-19-Erkrankungsfälle, aber auch indirekte Auswirkungen im Sinn sogenannter Kollateralschäden. Eine Zunahme von Übergewicht und psychischen Problemen, eine Infektionswelle mit humanem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) zu untypischer Zeit und Verzögerungen von Diagnosestellung und Therapiebeginn sind nur einige Beispiele. Die weitgehende Normalität im Sommer 2022 hat zwar die Situation für Kinder und Jugendliche verbessert, gleichzeitig aber sind mit Ukrainekrieg, (behaupteter) Energiekrise und den Sorgen um den Klimawandel neue Belastungen für unsere Jugend hinzugekommen.
Als Kinder- und Jugendärzt*innen müssen wir uns mit diesen Belastungsfaktoren auseinandersetzen und Wege aufzeigen, wie die Folgen dieser Bedrohungen möglichst geringgehalten werden können. Es gilt also, Prävention zu stärken und zu fördern, sowohl im somatischen als auch im psychosozialen Bereich.
Leider gab es – wohl auch durch häufige Wechsel der Zuständigen – von politischer Seite wenig Verständnis und Unterstützung; als Beispiel sei der langjährige Stillstand beim „Mutterkindpass neu“ genannt. Es gibt aber auch zahlreiche andere Baustellen.
Wo sind die alle?
Bettensperren, nicht besetzbare Nachtdienste, Terminverschiebungen, überlange Wartezeiten und dergleichen gehören heute zum Alltag unseres Gesundheitssystems, von dem wir so lange behauptet haben, es sei das beste der Welt. Auch vor der Pädiatrie hat diese Entwicklung (leider) nicht Halt gemacht. Mängelverwaltung bzw. „management by chaos“ ist nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Warnungen vor dem zu erwartenden Mangel an Pflegefachkräften wurden (viel zu) lange in den Wind geschlagen; jetzt fehlen Lösungsstrategien.
Dabei ist der Mangel an Fachkräften neuerdings nicht einmal auf das Gesundheitswesen beschränkt – Gastronomie, Pädagogik, Facharbeit und viele andere Bereiche sind ähnlich betroffen. Im Gesundheitssystem sind die Defizite allerdings deshalb kritischer, weil sie zu einer Gefährdung der Gesundheit und manchmal auch des Lebens führen können.
Die bedauerliche Entwicklung ist neben der (politisch zu verantwortenden) Fehlplanung auch auf verschiedene weniger oder nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen. Dazu zählen die Pandemie und deren Maßnahmen, Pensionierungen der Babyboomer-Generation, der immer stärker werdende Wunsch nach „life balance“, die fehlende Attraktivität von Mehrleistung(en), zuletzt vielleicht auch Ukrainekrieg und (behauptete) Energiekrise.
COVID-19 in der Pädiatrie
Auch wenn COVID-19 Kinder und Jugendliche in der Regel deutlich leichter erkranken lässt als ältere Personen, gab es doch im vergangenen Jahr auch zahlreiche Spitalsaufenthalte: einerseits im Rahmen der Akuterkrankung vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, wesentlich seltener im Rahmen des hyperinflammatorischen Verlaufs durch Pädiatrisches Multiorgan-Immun-Syndrom (PIMS) bzw. Multisystem-Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C). Soweit erhebbar, gibt es in Österreich bisher 10 COVID-Todesfälle im Kindes- und Jugendalter, wobei mit großer Mehrheit Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen betroffen waren. Leider ist aber insgesamt die österreichische Datenlage zu COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen sehr unbefriedigend. Zwar wird die Zahl der Neuinfektionen in der Datenbank der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) erfasst, bezüglich Hospitalisierungsrate, Kausalität (mit oder wegen COVID) und Verlauf liegen aber – auch wegen großer Zeitverzögerung bei der Datenerfassung – kaum belastbare Ergebnisse vor. Dies betrifft insbesondere auch die Prävalenz von Long COVID, die im Kindes- und Jugendalter deutlich niedriger ist als im Erwachsenenalter. Aktuell ist in der Zeitschrift Children [1] eine Spezialausgabe zu diesem Thema geplant, um etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Pro futuro ist davon auszugehen, dass uns in der Pädiatrie COVID-19 immer wieder betreffen wird
Pro futuro ist davon auszugehen, dass uns auch in der Pädiatrie COVID-19 immer wieder (wahrscheinlich wellenförmig) betreffen bzw. belasten wird. Aus aktueller Sicht wird sich allerdings die SARS-CoV-2-Infektion letztlich in die Reihe der anderen respiratorischen Viren einordnen.
Primärversorgung – kleine Schritte
Der Mangel an § 2-Kassenfachärzt*innen ist seit mehreren Jahren manifest, österreichweit sind 11–15 % der Kassenfacharztstellen unbesetzt. Dabei bestehen deutliche regionale Unterschiede, das größte Defizit wird im Bundesland Niederösterreich registriert. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder und Jugendheilkunde (ÖGKJ) hat im Rahmen der Versorgungsforschung die Gründe für diese Mangelversorgung analysiert [2] und Lösungsstrategien vorgelegt. Seitens der gesundheitspolitisch Verantwortlichen (Gesundheitsministerium, Länder, ÖGK) zeigen sich zuletzt auch deutlich wahrnehmbare Bemühungen, die Situation zu verbessern. Durch die Zulassung von Gruppenpraxen, Job Sharing, Anstellung von Ärzten bei Ärzten, Übernahme einer Praxis im Angestelltenverhältnis etc. wurde den Wünschen der jungen Kolleginnen und Kollegen teilweise entsprochen. Noch nicht möglich ist derzeit allerdings die pädiatrische Primärversorgungseinheit (PVE), gegenwärtig ist noch immer die Leitung einer PVE durch einen Allgemeinmediziner vorgesehen. Es besteht allerdings Aussicht, dass auch in diesem Punkt noch Beweglichkeit besteht und das PVE-Gesetz entsprechend adaptiert wird.
Mutterkindpass – keine Schritte
Weiterhin (Stand Ende Oktober 2022) keine Bewegung gibt es beim „Mutterkindpass neu“. Nach Abschaffung der Mutterkindpass-Kommission im Jahr 2011 und der Erarbeitung neuer Inhalte durch eine Facharbeitsgruppe (FAG) in den Jahren 2015–2018 herrscht seit nunmehr 4 Jahren Stillstand, einerseits bezüglich neuer Inhalte, andererseits aber auch bezüglich elektronischer Umsetzung (e-Mutterkindpass) und Valorisierung der Tarife. Letztere sind seit 1994 und somit seit nunmehr 28 Jahren nicht angepasst – mit Sicherheit mit ein Grund für die geringe Attraktivität der § 2-Kassenpraxis. Die unbefriedigende Situation hat die Ärztekammer zuletzt auch dazu veranlasst, Vertragskündigungen anzudrohen. Ob dies der richtige Weg ist, wird sich zeigen, die Notwendigkeit der Valorisierung steht jedoch außer Zweifel – insbesondere auch in Anbetracht der allgemeinen Teuerung und Inflation.
Ausbildung: 2023 wird vieles anders
Im Oktober 2022 haben 70 Kolleginnen und Kollegen ihre Facharztausbildung mit der Facharztprüfung positiv abgeschlossen – wir begrüßen diese sehr herzlich als „frisch gebackene“ Fachärztinnen und Fachärzte. Die Ausbildung in Kinder- und Jugendheilkunde mit einer Ausbildungsdauer von 63 Monaten ist in Österreich insgesamt auf hohem Niveau, auch wenn in Teilbereichen manches noch verbesserungswürdig erscheint (Sonographie, Intensivmedizin, Psychosomatik u. a.). Seitens der ÖGKJ gibt es seit mehreren Jahren Bestrebungen, die Ausbildung auch in der Niederlassung zu forcieren und öffentlich zu finanzieren. Diesbezüglich erfolgten wiederholt Vorsprachen im Gesundheitsministerium. Der Kostenaufwand dafür würde etwa € 800.000 pro Jahr betragen – ein vergleichsweise geringer Betrag. Es ist leider derzeit nicht absehbar, ob bzw. wann diesem Ansinnen nachgekommen wird und damit eine Gleichstellung der Kinderärzte mit den Allgemeinmedizinern als „Primärversorger“ erfolgt.
Bezüglich Ausbildungsstellen wurde von verschiedenen Seiten wiederholt der Wunsch vorgebracht, die Pädiatrie als Mangelfach zu deklarieren. Dies wurde bisher seitens Österreichischer Ärztekammer (ÖÄK) und Bundesministerium abgelehnt. Einerseits, weil Österreich über etwa 2000 Pädiaterinnen und Pädiater verfügt, andererseits aber auch weil derzeit ohnehin fast jedes medizinische Sonderfach als Mangelfach bezeichnet werden muss.
Eine Änderung ergibt sich ab Januar 2023 dadurch, dass die Verantwortung für Ausbildung und Ausbildungsstätten bzw. -stellen ab 01.01.2023 bei den jeweiligen Ländern bzw. explizit bei den Landeshauptleuten verankert ist. Die Zahl von Ausbildungsstellen wird dann voraussichtlich nicht mehr zentral festgelegt, sondern auf Länderebene. Es bleibt abzuwarten, ob dies für einzelne Bundesländer einen Vorteil darstellt oder – wie von der Ärztekammer vermutet – zu einem Qualitätsverlust führen wird.
Fortbildungen und Tagungen
Nach 2‑jähriger Pause wurden im Jahr 2022 endlich wieder vorübergehend ausgesetzte Fortbildungstagungen als Präsenzveranstaltungen angeboten. Die pädiatrischen Fortbildungen in Obergurgl, in Seggau, die Pädiatrietage in Venedig und der pädiatrische Samstag in Linz waren gut besucht und dokumentierten den Wunsch der Kollegenschaft nach hochwertiger Präsenzfortbildung.
Die von Peter Voitl und Susanne Diesner-Treiber in Wien organisierte Jahrestagung war ein besonderes Highlight im pädiatrischen Fortbildungsjahr. Die historischen Veranstaltungsorte (Josephinum, van Swietensaal und Billrothhaus) gaben der Jahrestagung eine besondere Note. Das Hauptthema „Auf den Schultern von Riesen“ sollte auch die historische Bedeutung der österreichischen Medizin/Pädiatrie zum Ausdruck bringen, in zahlreichen hochwertigen Beiträgen ist dies auch sehr gut gelungen.
Die nächste Jahrestagung wird Ende September 2023 an der Montanuniversität in Leoben stattfinden, voraussichtlich unter dem Leitthema „Vernetzte Pädiatrie“. Wir freuen uns schon jetzt auf Deine/Ihre Teilnahme!
Die „Richtigen“ finden …
In einer insgesamt schwierigen Zeit ist es unsere Aufgabe, die „Richtigen“ für die Pädiatrie zu gewinnen und zu begeistern. Die Breite unseres Sonderfachs macht dieses hochinteressant und anspruchsvoll, gleichzeitig müssen wir aber auch die berechtigten Ansprüche von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern im Auge behalten. Der pädiatrische Nachwuchs soll daher nicht nur fachlich gut qualifiziert sein, sondern sich insbesondere auch durch einen humanitären und empathischen Zugang auszeichnen.
Verpflichtet sind wir den Kindern und Jugendlichen
Die Tätigkeit als Kinderärztin/als Kinderarzt ist ein besonderes Privileg. Auch in einer Zeit von Life Balance und Selbstverwirklichung sollte unsere fachliche, aber auch moralische Verpflichtung gegenüber den Kindern und Jugendlichen im Vordergrund bleiben. Berufliche Zufriedenheit ergibt sich letztlich wahrscheinlich aus der Summe von fachlicher Qualifikation, anspruchsvoller Tätigkeit, kontinuierlichem Lernen, Teamarbeit, vor allem aber auch aus der Hilfestellung, die wir Kindern, Jugendlichen und deren Eltern geben können.
Danksagung
Abschließend bedanke ich mich wieder bei der Chefredakteurin der Pädiatrie und Pädologie, Frau Dr. Lessky-Höhl. Sie bemüht sich mit großem Einsatz um qualitativ hochwertige Beiträge zu aktuellen und wichtigen pädiatrischen Themen. Und es gelingt ihr auch im Zeitalter der Life Balance, hochqualifizierte Autor*innen trotz knapper Ressourcen für Beiträge zu gewinnen. Auch diesen möchte ich ganz besonders danken – sie gewährleisten die anhaltend hohe Qualität von Pädiatrie und Pädologie.
Schließlich gilt mein Dank unseren Leserinnen und Lesern. Ihr Interesse und Feedback sind für uns als Verantwortliche die Motivation für die Fortsetzung unserer Arbeit.
Mit den besten Wünschen für 2023,
Ihr Reinhold Kerbl
Herausgeber Pädiatrie & Pädologie
Interessenkonflikt
R. Kerbl gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Footnotes
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
- 1.https://www.mdpi.com/journal/children/special_issues/1JJ41U998K. Zugegriffen: 22. Nov. 2022
- 2.Kohlfürst DS, Zöggeler T, Karall D, Kerbl R. Workload and job satisfaction among Austrian pediatricians: gender and generational aspects. Wien Klin Wochenschr. 2022;134(13–14):516–521. doi: 10.1007/s00508-022-02050-x. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
