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. 2022 Dec 16;76(1-2):36–37. [Article in German] doi: 10.1007/s41906-022-1985-2

Keine Gesundheit ohne Hygiene

Uwe Ernsberger 1,
PMCID: PMC9754773  PMID: 36540363

Abstract

Zwischen 1860 und 1885 wurden durch Florence Nightingale, Ignatz Semmelweis, Joseph Lister, Ernst von Bergmann und Robert Koch Grundlagen zur Infektionsprävention in der ärztlichen und pflegerischen Praxis gelegt. Die Charakterisierung von Bakterien als Verursacher schwerer Epidemien begründete die klinische Mikrobiologie und Hygiene. Die wissensbasierte, patientenorientierte Pflege zeigt sich als ein gesamtheitliches Konzept, das im Gesundungsprozess die Krankenfürsorge mit der Prävention Pflege-assoziierter Infektionen verbindet.

Supplementary Information

Zusatzmaterial online: Zu diesem Beitrag sind unter 10.1007/s41906-022-1985-2 für autorisierte Leser zusätzliche Dateien abrufbar.

Keywords: Schlüsselwörter: Hygiene, Infektionsprävention, Pflegepädagogik


Prägende Persönlichkeiten und ihre Entdeckungen in der Hygiene (Teil 1) Der Hygiene wurde in der COVID 19-Pandemie eine Aufmerksamkeit zuteil, die in alle gesellschaftlichen Aktivitäten ausstrahlte. Doch die Grundlage für unsere heutige Vorstellung von der Hygiene in der Gesundheitsversorgung wurde zwischen 1850 und 1885 gelegt. Wir stellen hier die maßgeblichen Persönlichkeiten vor.

I m 19. Jahrhundert forderten immer wiederkehrende Epidemien und Kriege enorme Verluste an Menschenleben. Die verursachenden Prinzipien der Epidemien waren unklar, die Sterbeziffern in Feldlazaretten häufig eher durch Infektionen als durch direkte Waffeneinwirkung verursacht. In dieser Zeit war auch der Besuch in einer Entbindungsstation mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit des Todes der Mutter durch Kindbettfieber verknüpft.

Zwischen 1850 und 1885 kam es zur Veröffentlichung wegweisender Arbeiten, welche entscheidende Veränderungen in den Entbindungsstationen und Lazaretten begründeten. Sie stellten Konzepte für eine ganzheitliche pflegerische Versorgung Erkrankter und Verletzter (Nightingale 1860), Strategien zum Schutz der Mütter in der Entbindungsstation (Semmelweis 1861) und Verfahren zur antiseptischen Operation (Lister 1867) bereit. Und durch die Entdeckung der Bakterien beschrieb Robert Koch die Verursachung von Infektionen durch Mikroorganismen (RKI 2018). Auf diesen Erkenntnissen basieren die biomedizinischen Fortschritte im 20. Jahrhundert: die Pflege als evidenzbasierte Zuwendung und die Entwicklung von Krankenhäusern zu Orten der Gesundung.

Zwei Flaggschiffe der deutschen Krankenversorgung, die 1709 vom preußischen König Friedrich gegründete Charité in Berlin und die 1836 vom evangelischen Pfarrer Theodor Fliedner begründete Diakonissenanstalt in Kaiserswerth, haben zur Verankerung der Hygiene in der Pflege bereits im 19. Jahrhundert beigetragen.

Begegnungen in Kaiserswerth

Die 1836 von Theodor Fliedner und seiner Ehefrau Friederike gegründete Diakonissenanstalt Kaiserswerth war eine christlich geprägte Antwort auf die Not vieler im beginnenden Industriezeitalter an den Rand gedrängter Menschen. Sie schloss Bildung, Fürsorge und Pflege bedürftiger Menschen und auch eine Krankenpflegeschule ein (Kaiserswerther Diakonie 2022). Aufgrund des ganzheitlichen Hilfe-Ansatzes und der Schulung zur Krankenpflege wurde der Ort attraktiv für Interessierte - auch aus England. Im August 1850 und im Jahr 1851 besuchte die 30-jährige Florence Nightingale die Diakonissenanstalt (Büttner 2020). Die Begegnung einer Aristokratentochter aus London mit den Menschen in der diakonischen Einrichtung war für die Entwicklung der modernen westlichen Krankenpflege von enormer Bedeutung. Zehn Jahre nach dem Besuch in Kaiserswerth publizierte Nightingale in den "Notes on Nursing" (Nightingale 1860) eine Grundlage für die moderne westliche Pflege und gründet die Nightingale School of Nursing in London - das Vorbild für viele Schulen zur Ausbildung von Pflegefachkräften.

Entwurf einer ganzheitlichen Evidenz-basierten Pflege

Mit Florence Nightingale begegnet uns eine außergewöhnliche Persönlichkeit, welche, christlich berufen, eine Begeisterung für die pflegerische Zuwendung mit einer mathematisch-statistischen Begabung und außergewöhnlichen organisatorischen Kompetenzen in der Fürsorge für Bedürftige, Erkrankte und Kriegsopfer zusammenführt. Sie sollte die Krankenpflege durch einen ganzheitlichen Zugang revolutionieren (Bohn 2020). Eine prägende Erfahrung kann man einer schweren Grippewelle 1937 im Süden Englands zuschreiben. Als eine der wenigen Nicht-Erkrankten übernimmt die 17-Jährige die Versorgung von Familienangehörigen und Haushaltsbediensteten (Bostridge 2009). Nach der Entscheidung für die Pflege-Berufung folgen ab 1853 die Leitung eines Pflegeheimes für ältere Damen, das Ausbildungskrankenhaus des King's College und die Versorgung Cholera-Erkrankter in London. Es reift die Überzeugung, dass der Erfolg pflegerischer Zuwendung nicht allein aus guter Absicht, sondern aus Lernen und Wissen resultiert.

Die Erfahrung und ihr Organisationsgeschick in der Versorgung verletzter Soldaten im Krimkrieg in Skutari im osmanischen Reich - zwischen 1854 und 1856 - begründen ihren Ruf als Lichtgestalt der Krankenpflege. Die hygienischen Bedingungen der verletzten Soldaten, zuerst ungewaschen auf dem blanken Boden, umgeben von Ratten, Läusen und Flöhen, prägten ein Gespür für Hygiene in der Krankenumgebung (Rappaport 2007). Durch die Einführung einer basalen Sauberkeit der Räumlichkeiten und Krankenlager konnte eine Situation nachhaltig korrigiert werden, in der zunächst mehr Soldaten an Infektionen unter den desolaten Bedingungen der Versorgung als an feindlichen Kugeln starben.

Kindbettfieber und Wundinfektionen - Wege zur Infektionsprävention

1847 wurde Ignatz Semmelweis Assistenzarzt in der geburtshilflichen Abteilung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Die Sterblichkeit der Mütter nach der Entbindung lag bei 5-15%, in ungünstigen Monaten bei 30% (La Rochelle & Julien 2013; Mielke 2018). Dabei war die Müttersterblichkeit in der Abteilung der geburtshilflichen Klinik, in der Ärzte und Studenten auch Leichensektionen durchführten, wesentlich höher als in der Abteilung, in welcher die Ausbildung der Hebammenschülerinnen erfolgte.

Nach der Einführung der Händedesinfektion durch Chlorkalk-Lösung durch Semmelweis, wurde die Sterblichkeit auf ungefähr ein Zehntel reduziert. Der Erfolg der Händedesinfektion, publiziert unter dem Titel "Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers" (Semmelweis 1861), ist ein Meilenstein in der Geschichte der klinischen Hygiene. Dieser Quantensprung in der Krankenversorgung hat dem Autor allerdings zu Lebzeiten keine Anerkennung durch Kollegen gebracht. Enttäuscht engagierte er sich in persönlich übergriffigen Auseinandersetzungen mit Größen der Medizin, isolierte sich zunehmend und verstarb in der niederösterreichischen Landesirrenanstalt in Wien unter unwürdigsten Umständen (Schreiner 2020).

In den 1860er Jahren verfolgte der britische Chirurg Joseph Lister Verfahren zur erfolgreichen Durchführung antiseptischer Operationen (Lister 1867). Dazu entwickelte er ein Karbolsäure- (Phenol)-Spray zur Vorbereitung des OP-Besteckes, der Wundkompressen und zur Hände-Desinfektion. Anders als Semmelweis konnte Lister seine Arbeit in einer renommierten Fachzeitschrift publizieren, womit er eine Revolution in der Chirurgie auslöste (Toledo-Pereyra 2010). Der in Würzburg und Berlin tätige Chirurg Ernst von Bergmann, Vater der Asepsis (Gerst 2007), führte in den 1880er Jahren die Dampfsterilisation von Wundverbänden ein.

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Heute wird die Händedesinfektion als effizienteste Methode und wirksamste Einzelmaßnahme in der Infektionsprävention und Unterbrechung von Infektionsketten betrachtet (Nassauer et al. 2009; KRINKO 2016). Zusammen mit den Sterilisationsverfahren der Chirurgie reduzierte sie maßgeblich die Anzahl nosokomialer Infektionen. Nur wenig später sollten die ersten Mikroorganismen als Auslöser von Infektionen erkannt werden.

Begründung der Bakteriologie und der klinischen Hygiene

Nach der Erfahrung als Lazarettarzt im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 trat Robert Koch 1872 eine Stelle als Kreis-Physikus in Wolsztyn (Polen) an (Hofmann 2010; RKI 2018). Mit Begeisterung für die Laborforschung suchte er, in einem zuhause eingerichteten Experimentierzimmer, nach dem Erreger des für Tiere und Menschen tödlichen Milzbrandes. In dieser Zeit entwickelte er entscheidende Methoden, um die Infektionsauslöser zu handhaben, sichtbar zu machen und untersuchen zu können. 1880 wechselte er an das kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin, wo mit der Identifizierung der Erreger der Tuberkulose (1882) und der Cholera (1884) zwei der damals bedeutendsten bakteriellen Epidemie-Träger aufgedeckt wurden (RKI 2018). Dabei war die Charakterisierung des Keimreservoirs und der Übertragungswege essenziell. Das Aushusten der infizierenden Agentien bei der Tuberkulose und die Infektion über verschmutztes Wasser bei der Cholera waren entscheidende Befunde. So wird die Hygiene sowohl in der Wohn-, Arbeits- und Kranken-Umgebung als auch der Wasserversorgung als kritisch erkannt. 1885 erhält Robert Koch die erste Professur für das Fach Hygiene in Berlin.

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