Abstract
Hintergrund
Diese Studie beschreibt die Entwicklung und Validierung von Strukturindikatoren für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot in deutschen Krankenhäusern. Ein solches ist notwendig, um den künftigen Herausforderungen in der Infektionsmedizin adäquat begegnen zu können.
Methode
Ein Expert*innenteam entwickelte die Strukturindikatoren im Rahmen eines dreistufigen Entscheidungsverfahrens: (1) Identifizierung potenzieller Strukturindikatoren basierend auf einer Literaturrecherche, (2) schriftliches Bewertungsverfahren sowie eine (3) persönliche Diskussion zur Konsensfindung und finalen Auswahl geeigneter Strukturindikatoren. Zur Pilotierung der entwickelten Strukturindikatoren wurde eine Feldstudie durchgeführt. Ein auf den Strukturindikatoren basierender Score wurde für jedes Krankenhaus ermittelt und über eine Receiver-Operator-Charakteristik-Kurve (ROC) anhand extern validierter infektiologischer Expertise (Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie [DGI]) validiert.
Ergebnisse
Auf der Basis einer Liste von 45 potenziellen Strukturindikatoren wurden 18 geeignete Strukturindikatoren für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot entwickelt. Von diesen wurden zehn Schlüsselindikatoren für das allgemeine bzw. Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)-spezifische klinisch-infektiologische Versorgungsangebot definiert. Bei der Felderhebung des Versorgungsangebots für COVID-19-Patient*innen in 40 deutschen Krankenhäusern erreichten die teilnehmenden Einrichtungen 0 bis 9 Punkte (Median 4) im ermittelten Score. Die Fläche unter der ROC-Kurve betrug 0,893 (95%-Konfidenzintervall (KI): 0,797, 0,988; p < 0,001).
Diskussion/Schlussfolgerung
Die im Rahmen eines transparenten und etablierten Entwicklungsprozesses entwickelten Strukturindikatoren können perspektivisch genutzt werden, um den aktuellen Zustand und zukünftige Entwicklungen der infektiologischen Versorgungsqualität in Deutschland zu erfassen und Vergleiche zu ermöglichen.
Schlüsselwörter: Qualitätsindikatoren, Versorgungsforschung, Klinische Infektiologie, COVID-19
Abstract
Introduction
This study describes the development and validation of structure indicators for clinical infectious disease (ID) care in German hospitals, which is important to adequately face the future challenges in ID medicine.
Methods
A team of experts developed the structure indicators in a three-stage, multicriteria decision-making process: (1) identification of potential structure indicators based on a literature review, (2) written assessment process, and (3) face-to-face discussion to reach consensus and final selection of appropriate structure indicators. A field study was conducted to assess the developed structure indicators. A score based on the structure indicators was determined for each hospital and validated via receiver operator characteristic (ROC) curves using externally validated ID expertise (German Society of ID (DGI) Centre).
Results
Based on a list of 45 potential structure indicators, 18 suitable indicators were developed for clinical ID care structures in German hospitals. Out of these, ten key indicators were defined for the general and coronavirus disease 2019- (COVID-19-) specific clinical ID care structures. In the field survey of clinical ID care provision for COVID-19 patients in 40 German hospitals, the participating facilities achieved 0 to 9 points (median 4) in the determined score. The area under the ROC curve was 0.893 (95% CI: 0.797, 0.988; p < 0.001).
Discussion/Conclusion
The structure indicators developed within the framework of a transparent and established development process can be used in the future to both capture the current state and future developments of ID care quality in Germany and enable comparisons.
Keywords: Health care quality, Quality indicators, Healthcare research, Infectious diseases, COVID-19
Einleitung
Die Infektiologie hat sich in Deutschland als klinische Fachdisziplin in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Seit 2016 gab es seitens der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und dem Bundesverband Deutscher Internisten (BDI) intensivierte Bestrebungen, die Position der Infektiolog*innen im deutschen Gesundheitssystem zu stärken und deren Ausbildung zu verbessern [1]. Mit der im Mai 2021 auf dem Deutschen Ärztetag beschlossenen Einführung eines Facharztes „Innere Medizin und Infektiologie“ soll perspektivisch sichergestellt werden, dass die Ausbildung der Komplexität des Faches gerecht und damit die Versorgungssituation für Patient*innen mit einem infektiologischen Krankheitsbild langfristig verbessert wird [2]. Es gilt nun, die rasche Umsetzung des Facharztes und darüber hinaus die parallele Etablierung infektiologischer Fachabteilungen zu ermöglichen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass klare wissenschaftliche Evidenz für eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse z.B. bei Patient*innen mit schweren systemischen Infektionen durch die spezifische Behandlung durch Infektiolog*innen besteht, relevant [3]. Auch weitere positive Auswirkungen infektiologischer Fachexpertise auf den rationalen Einsatz von Antibiotika (sog. Antibiotic Stewardship, kurz: ABS) und die Verbesserung der Behandlungsqualität sind belegt und in der deutsch-österreichischen S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ berücksichtigt [4], [5].
Die aktuelle Pandemie durch das Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) hat die Bedeutung von Infektionskrankheiten stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt und gleichzeitig den Mangel an klinischen Infektiolog*innen in Deutschland verdeutlicht [6], [7]. Ein Blick über die Grenzen, zum Beispiel in die Schweiz, nach Schweden oder in die USA zeigt, dass die Verfügbarkeit eines Facharztes für Infektiologie einerseits Voraussetzung für ABS-Programme (USA) und eigenständige Fachabteilungen (Schweden, USA) ist, andererseits diese Fachärzte zusätzlich für eine patientennahe, klinische Krankenhaushygiene verantwortlich sind (Schweiz) [8]. Neben einem Programm zur vermehrten Weiterbildung von Infektiolog*innen ist es in diesem Zusammenhang wichtig, klinisch-infektiologische Versorgungsstrukturen in Deutschland zu etablieren und bestehende auszubauen, um auch zukünftigen Herausforderungen in der Infektionsmedizin adäquat zu begegnen. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels ist zu vermuten, dass es zu einer Zunahme vektorübertragener Infektionskrankheiten kommt oder sich neuartige etablieren [9].
Für die Verbesserung infektiologischer Versorgungsstrukturen ist es essenziell, die Ausgangssituation zu kennen. Um die Differenz zwischen vorhandener und notwendiger Versorgungsqualität abzubilden, sollten geeignete Qualitätsindikatoren zur Erhebung verwendet werden. Qualitätsindikatoren gelten international als Goldstandard in der Qualitätssicherung und werden nach Donabedian in Struktur-, Prozess- und Ergebnisindikatoren eingeteilt [10], [11]. Die strukturierte Bewertung von Qualitätsindikatoren erfolgt nach Wissenschaftlichkeit, Relevanz und Praktikabilität. Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) diskutiert für unterschiedliche Qualitätsmerkmale erstmals die unmittelbare und mittelbare Patient*innenrelevanz und trennt bei der Beurteilung zwischen Patient*innenrelevanz und Verbesserungspotenzial. Das IQTIG begründet dies damit, dass für die Feststellung eines Verbesserungspotenzials nicht die gesamte betrachtete Population gleichmäßig betroffen sein muss, sondern dass ein Verbesserungspotenzial auch dann vorliegen kann, wenn einzelne Subgruppen besonders betroffen sind [12]. Aus diesem Grund haben wir die Relevanz klinisch-infektiologischer Expertise für die Versorgung von Patient*innen, die an der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erkrankt sind, als eine Subgruppe infektiologisch erkrankter Patient*innen in dieser Arbeit gesondert untersucht.
Methoden
Entwicklung der Strukturindikatoren
In unserer Studie wurde unter Einbindung der DGI ein Expert*innenteam aus acht Ärzt*innen mit der Qualifikation „Infektiologe*in DGI“ [13] und/oder Zusatzweiterbildung Infektiologie nach Landesärztekammer (LÄK) [14] zusammengestellt. Die Entwicklung von Strukturindikatoren erfolgte im Rahmen eines mehrstufigen Entscheidungs- und Bewertungsverfahrens analog zu Buyle et al. [15] in drei Schritten.
(1) Strukturindikatoren wurden auf Basis einer Literaturrecherche und Expert*innenmeinungen identifiziert und die als geeignet eingeschätzten Strukturindikatoren in einer Liste thematisch zusammengestellt. (2) Anschließend erfolgte ein schriftliches Bewertungsverfahren, in dem die aufgelisteten Strukturindikatoren hinsichtlich ihrer Relevanz und angenommenen Praktikabilität durch das Expert*innenteam bewertet wurden. (3) Zur Konsensfindung und finalen Auswahl geeigneter Qualitätsindikatoren fand eine persönliche Diskussion innerhalb aller Expert*innen statt.
Schritt 1: Die Identifizierung potenziell geeigneter Strukturindikatoren basierte auf etablierten Zertifizierungskriterien zum „Zentrum für Infektiologie (DGI)“ [16], aktuellen Leitlinien [5], [17], einer Literaturrecherche (Datenbanken: Medline (PubMed, LitCovid), online Archiv des Deutschen Ärzteblattes; Zeitraum 2010-2020; Suchbegriffe: Klinische Infektiologie, Infectious diseases consultation, Infectious diseases specialty, antibiotic stewardship, bacteraemia, quality indicator, healthcare quality, COVID-19, Coronavirus, Pandemic) [8], [18], [19], [20], [21], [22], [23] und bei fehlender externer Evidenz auf der internen Fachexpertise. Eine strukturierte Liste der potentiell geeigneten Strukturindikatoren wurde unter Berücksichtigung thematischer Domänen erstellt. Anschließend wurden die Formulierungen konkretisiert und die inhaltliche Validität durch Expert*innen geprüft.
Schritt 2: Dieser Schritt bestand in der Durchführung eines schriftlichen Bewertungsverfahrens. Es wurden Anleitungen zum Prozess des Verfahrens und die aufgelisteten Strukturindikatoren per E-Mail an das Expert*innenteam versendet. Die anschließende Bewertung erfolgte elektronisch über die etablierte Plattform ClinicalSurveys.net, betrieben mit der Software der Firma Questback (Oslo, Norwegen). Die Expert*innen bewerteten unabhängig voneinander die Strukturindikatoren auf Grundlage ihrer Relevanz und angenommenen Praktikabilität unter Berücksichtigung ihrer lokalen Arbeitsumgebung. Die Methodik zur Bewertung und Einordnung der potenziell geeigneten Strukturindikatoren, einschließlich der Kriterien der Relevanz und angenommenen Praktikabilität, wurde an das Instrument QUALIFY [11], [24] angelehnt. Die Kategorie Wissenschaftlichkeit war hinsichtlich der meisten Gütekriterien basierend auf der Literaturrecherche und der daraus resultierenden fehlenden qualitativ hochwertigen Studienevidenz nur eingeschränkt anwendbar. In dem Bewertungsverfahren wurden aus diesem Grund und in Anlehnung an Buyle et al. [15] sowie Thern et al. [25] bevorzugt die Kategorien Relevanz und Praktikabilität bewertet. Die Relevanz wurde anhand von vier Kriterien beurteilt: (1) Klinische, (2) COVID-19-, (3) Ökologische und (4) Ökonomische Relevanz; die angenommene Praktikabilität anhand eines einzelnen Kriteriums, der Datenverfügbarkeit. Eine Übersicht ist in Tabelle 1 abgebildet. Die Bewertung erfolgte für jedes dieser Bewertungskriterien anhand einer vierstufigen Likert-Skala (1 = trifft nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = trifft eher zu, 4 = trifft zu), Enthaltungen waren möglich. Anschließend wurde bezogen auf die Relevanz der Median der einzelnen Bewertungen für jedes Kriterium gebildet und der vorläufige Konsens zur Annahme (>=75% aller Bewertungen 3 oder 4) oder endgültigen Ablehnung (<=50% der Bewertungen 3 oder 4) der jeweiligen Strukturindikatoren ermittelt. Eine Bewertung von > 50% und < 75% galt als vorläufig nicht abgelehnt.
Tabelle 1.
Bewertungskriterien der Relevanz | |
---|---|
Klinische Relevanz (1) | Ist der Qualitätsindikator geeignet, einen gesundheitlichen Nutzen (z.B. verringerte Mortalität, kürzere stationäre Aufenthaltsdauer, Zugang zu neuen Medikamenten und Behandlungsverfahren) für Patient*innen vorherzusagen? |
COVID-19-Relevanz (2) | Ist der Qualitätsindikator geeignet, einen gesundheitlichen Nutzen für COVID-19 Patient*innen (z.B. verringerte Mortalität, kürzere stationäre Aufenthaltsdauer, Zugang zu neuen Medikamenten und Behandlungsverfahren) für Patient*innen vorherzusagen? |
Ökologische Relevanz (3) | Ist es wahrscheinlich, dass der Qualitätsindikator zu einem rationalen Einsatz von Antiinfektiva beiträgt und dadurch die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen, Nebenwirkungen und den unnötigen Einsatz von Antiinfektiva reduzieren kann? |
Ökonomische Relevanz (4) | Ist der Qualitätsindikator geeignet, eine effizientere Nutzung der Ressourcen der Krankenhausversorgung (z.B. Liegedauer, Einsparung von Antiinfektiva, Kostenreduktion durch optimierte infektiologische Behandlungsstrategien) vorherzusagen? |
Bewertungskriterium der Praktikabilität | |
Datenverfügbarkeit | Werden die Daten routinemäßig dokumentiert (verfügbare administrative und klinische Aufzeichnungen), d.h. wie objektiv/eindeutig sind die Daten verfügbar? |
Schritt 3: Die potenziell geeigneten Strukturindikatoren wurden hinsichtlich ihrer Relevanz priorisiert, indem die medianen Bewertungen der einzelnen Kriterien addiert wurden. Die Summe der drei Kriterien (1) Klinische Relevanz, (3) Ökologische Relevanz und (4) Ökonomische Relevanz ergab dabei den allgemeinen Relevanz-Score A, die Summe der drei Kriterien (2) COVID-19-Relevanz, (3) Ökologische Relevanz und (4) Ökonomische Relevanz den COVID-19-spezifischen Relevanz-Score B. Für jeden Score ergab sich ein maximal erreichbarer Wert von 12 Punkten für jeden Strukturindikator. Auf der Grundlage der höchsten Gesamtpunktzahlen der Relevanz-Scores A und B wurden jeweils die besten Strukturindikatoren als Schlüsselindikatoren definiert. Schlüsselindikatoren sind damit Strukturindikatoren, die als besonders relevante Elemente des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots angesehen werden. Zur Qualitätssicherung war es notwendig, dass mindestens ein Kriterium der Relevanz den Punktwert 4 und ein Kriterium den Punktwert 3,5 erreichte. Abschließend wurde eine Diskussion des Expert*innenteams über die Videokommunikations-Plattform Bluejeans organisiert, um die Ergebnisse des schriftlichen Bewertungsverfahrens zu diskutieren. Strukturindikatoren mit nicht eindeutiger Bewertung in Schritt zwei wurden erneut beurteilt und eine Liste geeigneter Strukturindikatoren für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot auf Grundlage der Relevanz festgelegt. Das Kriterium der Praktikabilität wurde in der Diskussion deskriptiv hinzugezogen, aber im Rahmen dieser Studie nicht zur Priorisierung der Strukturindikatoren genutzt, da es sich nach dem IQTIG um keine Messeigenschaft im eigentlichen Sinn handelt.
Feldstudie zur strukturierten Erhebung des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots
Um die Durchführbarkeit der Erhebung des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots im Feld zu testen, wurde ein strukturierter Fragebogen entwickelt, der Krankenhausinformationen (z.B. Anzahl der Betten, universitäres Zentrum) und Fragen zur Erfassung der entwickelten Schlüsselindikatoren enthält (Ist-Situation März/April 2020). Der elektronische Fragebogen wurde im August 2020 an jeweils eine*n Chef- oder Oberärzt*in von insgesamt 70 Krankenhäusern in Deutschland verschickt, die Bereitstellung des Fragebogens erfolgte über ClinicalSurvey.net. Für die Auswahl der befragten Ärzt*innen war entscheidend, dass diese eine führende Rolle innerhalb der aktuellen SARS-CoV-2 Pandemie hatten und als Projektleiter*innen Ihres Krankenhauses in der multizentrischen Lean European Open Survey on SARS-CoV-2 Infected Patients (LEOSS) [26] benannt waren. Zur weiteren Analyse wurden die Krankenhausinformationen anonymisiert, deskriptiv dargestellt und die binären (Ja/Nein)-Antworten für die Schlüsselindikatoren des Relevanz-Scores B in Zahlen umgewandelt. Bei einer “Ja”-Antwort wurde ein Punkt und bei einer “Nein”-Antwort kein Punkt vergeben. Anschließend wurden die Gesamtpunktzahlen für jeden Schlüsselindikator und individuell für jedes Krankenhaus berechnet und auf diese Weise der Schlüsselindikator-Score gebildet. Die Punktevergabe erfolgte nach der von Buyle et al. [15] etablierten Methodik.
Statistische Validierung der entwickelten Schlüsselindikatoren
Abschließend wurde validiert, ob in den untersuchten Krankenhäusern der entwickelte Schlüsselindikator-Score mit bereits existierender extern validierter infektiologischer Expertise vereinbar war. Als Kriterium für extern validierte infektiologische Expertise wurde die Zertifizierung als DGI-Zentrum verwendet [16]. Dazu wurden zunächst die erreichten Punktzahlen in zertifizierten und nicht zertifizierten Krankenhäusern mittels Spannweite, Median und Mittelwert verglichen. Anschließend wurde ein optimaler Relevanzscore-Cutoff mit Hilfe der Receiver-Operator-Charakteristik-Kurve (ROC) bestimmt.
Ergebnisse
Identifizierung und Definierung der Strukturindikatoren
Basierend auf der Literaturrecherche und Expert*innenmeinungen wurde eine finalisierte Liste mit 45 potenziell geeigneten Strukturindikatoren (pSI) erstellt. Die Strukturindikatoren wurden dabei in acht thematische Domänen gruppiert: 1. Extern validierte infektiologische Expertise (3 Items), 2. Personal/Team/Infrastruktur (8 Items), 3. Fort-/Weiterbildung (3 Items), 4. Ambulante Verfügbarkeit (8 Items), 5. Konsiliarische Verfügbarkeit (3 Items), 6. Informationstechnologie (5 Items), 7. Einbindung in die Versorgung im stationären Bereich (10 Items), 8. COVID-19 Krisenstab (5 Items). Im Rahmen des mehrschrittigen Bewertungsverfahrens sind 18 geeignete Strukturindikatoren (gSI) für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot identifiziert worden, aus denen die Schlüsselindikatoren (sSI) abgeleitet wurden (Abbildung 1 ). Die Strukturindikatoren mit einer erreichten Gesamtpunktzahl >10 wurden im Relevanz-Score A als Schlüsselindikatoren für das allgemeine klinisch-infektiologische Versorgungsangebot und im Relevanz-Score B für das COVID-19 spezifische klinisch-infektiologische Versorgungsangebot angesehen (Tabelle 2 ). Für beide Relevanz-Scores wurden auf diese Weise jeweils zehn Strukturindikatoren ausgewählt, die identisch waren und als Schlüsselindikatoren definiert wurden. Sechs dieser Schlüsselindikatoren wiesen eine als hoch eingeschätzte Praktikabilität auf, vier wurden von den Expert*innen als aufwändiger in der Anwendung, insbesondere der erstmaligen Einrichtung der Messung, beurteilt.
Tabelle 2.
Domäne | Potenzielle Strukturindikatoren (pSI) |
Relevanz |
Praktikabilität | Geeignete Struktur-indikatoren (gSI) | Schlüssel-indikatoren (sSI) | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Klinische Relevanz 1-4 | COVID-19-Relevanz 1-4 | Ökologische Relevanz 1-4 | Ökonomische Relevanz 1-4 | Relevanz-Score A /12 | Relevanz-Score B /12 | Datenverfüg-barkeit 1-4 | ||||
Extern validierte infektiologische Expertise | Zentrum für Infektiologie (DGI). | 4 | 3,5 | 4 | 3 | 11 | 10,5 | 4 | gSI 1 | sSI 1 |
DZIF-Mitglied. | 2 | 3 | 2,5 | 2 | 6,5 | 7,5 | - | |||
STAKOB-Zentrum. | 4 | 4 | 2 | 2 | 8 | 8 | - | |||
Personal/Team/Infrastruktur | In der Einrichtung existiert eine Abteilung oder Stabsstelle für Infektiologie, in der mindestens zwei Infektiolog*innen arbeiten, die als Infektiolog*in (DGI) oder mit der Zusatzbezeichnung Infektiolog*in nach LÄK qualifiziert sind. | 4 | 4 | 4 | 3,5 | 11,5 | 11,5 | 4 | gSI 2 | sSI 2 |
Geschätzter Bedarf an Infektiolog*innen pro Bettenanzahl nach Kern et al. ist erreicht. | 4 | 4 | 4 | 3,5 | 11,5 | 11,5 | 4 | gSI 3 | sSI 3 | |
ABS-Team nach S3-Leitlinie. | 3,5 | 3 | 4 | 4 | 11,5 | 11 | 4 | gSI 4 | sSI 4 | |
ABS-Team in alternativer Organisationsform. | 2,5 | 2 | 3 | 3 | 8,5 | 8 | - | |||
Infektiologische Betten auf einer eigenen Station. | 4 | 4 | 3 | 3 | 10 | 10 | 4 | gSI 5 | ||
Infektiologische Betten als Belegbetten. | 3 | 3 | 3 | 3 | 9 | 9 | 2 | gSI 6 | ||
Explizite Isolierzimmer (Raumklasse II, Unterdruck, Schleuse) nach DGKH-Leitlinie. | 3 | 3 | 2 | 2 | 7 | 7 | - | |||
Diagnostisches Labor mit Verfügbarkeit aller modernen Nachweisverfahren zur Diagnostik von Infektionserregern und Infektionen im Krankenhaus (DIN-zertifiziert) | 4 | 4 | 3,5 | 2 | 9,5 | 9,5 | - | |||
Fort-/ Weiterbildung | Weiterbildungsermächtigung Infektiologie nach LÄK ist vorhanden. | 4 | 2,5 | 3 | 3 | 10 | 8,5 | - | ||
Infektiologische Fortbildungen finden wöchentlich statt. | 4 | 3 | 3,5 | 2 | 9,5 | 8,5 | - | |||
Infektiologische Fortbildungen finden monatlich statt. | 3,5 | 3 | 3 | 2 | 8,5 | 8 | - | |||
Ambulante Verfügbarkeit | Vorhandensein einer interdisziplinäre Infektionsambulanz. | 4 | 2,5 | 2 | 3 | 9 | 7,5 | - | ||
Vorhandensein einer HIV-Ambulanz. | 3,5 | 1,5 | 2 | 3 | 8,5 | 6,5 | - | |||
Vorhandensein einer TBC-Ambulanz. | 4 | 2 | 2 | 2 | 8 | 6 | - | |||
Vorhandensein einer reisemedizinischen Ambulanz. | 2 | 2 | 2 | 2,5 | 6,5 | 6,5 | - | |||
Vorhandensein einer Ambulanz für Tropen-erkrankungen. | 3 | 2 | 2 | 2 | 7 | 6 | - | |||
Vorhandensein einer Ambulanz für Parasitosen/Echinokokkosen. | 3 | 1,5 | 2 | 3 | 8 | 6,5 | - | |||
Vorhandensein sonstiger infektiologischer Ambulanzen. | 3 | 2 | 2 | 2,5 | 7,5 | 6,5 | - | |||
Vorhandensein einer COVID-19-Ambulanz. | 3 | 4 | 2 | 2 | 7 | 8 | - | |||
Konsiliarische Verfügbarkeit | Es gibt einen infektiologischen Konsiliardienst. | 4 | 4 | 4 | 3 | 11 | 11 | 2 | gSI 7 | sSI 5 |
Infektiologische Konsile finden größtenteils telefonisch statt. | 2 | 2 | 2 | 2 | 6 | 6 | - | |||
Infektiologische Konsile finden größtenteils am Krankenbett statt. | 4 | 4 | 4 | 4 | 12 | 12 | 2 | gSI 8 | sSI 6 | |
Informations-technologie | Anforderung des infektiologischen Konsiliar-dienstes manuell per Telefon, Fax, E-Mail oder anderen internen Nachrichtenstrukturen. | 4 | 4 | 2 | 2 | 8 | 8 | - | ||
Anforderung des infektiologischen Konsiliar-dienstes automatisch bei Erregernachweis in der Blutkultur. | 3,5 | 2 | 2,5 | 2 | 8 | 6,5 | - | |||
Anforderung des infektiologischen Konsiliar-dienstes automatisch bei Verordnung von Reserveantiinfektiva. | 3 | 2 | 4 | 3 | 10 | 9 | - | |||
Anforderung des infektiologischen Konsiliar-dienstes automatisch bei positivem SARS-CoV-2-Abstrich. | 3,5 | 4 | 2 | 2 | 7,5 | 8 | - | |||
Anforderung des infektiologischen Konsiliar-dienstes automatisch bei einem COVID-typischen radiologischen Befund. | 3 | 3,5 | 2 | 1,5 | 6,5 | 7 | - | |||
Einbindung in die Versorgung im stationären Bereich | Infektiolog*innen an Patientenversorgung und Therapie im normalstationären Bereich beteiligt. | 4 | 4 | 3 | 3 | 10 | 10 | 2 | gSI 9 | |
Normalstationärer Bereich wird durch Infektiolog*innen geleitet. | 4 | 4 | 3,5 | 3 | 10,5 | 10,5 | 3 | gSI 10 | sSI 7 | |
Regelmäßige infektiologische Visiten im normalstationären Bereich. | 4 | 3 | 3 | 3 | 10 | 9 | 2 | gSI 11 | ||
Infektiolog*innen an Patientenversorgung und Therapie im IMC-Bereich beteiligt. | 3,5 | 3 | 3 | 3 | 9,5 | 9 | 2 | gSI 12 | ||
IMC-Bereich wird durch Infektiolog*innen geleitet. | 4 | 3,5 | 3,5 | 2,5 | 10 | 9,5 | - | |||
Regelmäßige infektiologische Visiten im IMC-Bereich. | 4 | 4 | 3,5 | 3 | 10,5 | 10,5 | 2 | gSI 13 | sSI 8 | |
Infektiolog*innen an Patientenversorgung und Therapie im ITS-Bereich beteiligt. | 4 | 4 | 3 | 3 | 10 | 10 | 2 | gSI 14 | ||
ITS-Bereich wird durch Infektiolog*innen geleitet. | 3 | 2 | 2 | 2 | 7 | 6 | - | |||
Regelmäßige infektiologische Visiten im ITS- Bereich. | 4 | 4 | 3,5 | 3 | 10,5 | 10,5 | 2 | gSI 15 | sSI 9 | |
Infektiologische Konsile im stationären Bereich b. B.. | 3 | 3 | 3 | 3 | 9 | 9 | 2 | gSI 16 | ||
COVID-19 Krisenstab | Infektiolog*innen sind beteiligt am Krisenstab. | 4 | 4 | 2 | 3 | 9 | 9 | - | ||
Infektiolog*innen im Rahmen des Krisenstabs beteiligt an Organisation ambulanter und prästationärer Bereiche. | 3 | 4 | 2 | 3 | 8 | 9 | - | |||
Infektiolog*innen im Rahmen des Krisenstabs beteiligt an Organisation stationärer COVID-19- Bereiche. | 4 | 4 | 3 | 3 | 10 | 10 | 4 | gSI 17 | ||
Infektiolog*innen im Rahmen des Krisenstabs beteiligt an Behandlungs- und Therapieempfehlungen. | 4 | 4 | 4 | 3 | 11 | 11 | 4 | gSI 18 | sSI 10 | |
Infektiolog*innen im Rahmen des Krisenstabs beteiligt an Planung von Studien. | 4 | 4 | 2 | 2 | 8 | 8 | - |
Feldstudie zur strukturierten Erhebung des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots
Insgesamt nahmen 57,1% (40/70) der angeschriebenen Krankenhäuser in Deutschland mit einer Größenordnung von 90-2100 Betten an der Feldstudie teil. Der Anteil universitärer Standorte lag bei 40,0% (16/40). Eine Zertifizierung als DGI-Zentrum (sSI 1) wiesen 35,0% (14/40) der Krankenhäuser auf. In 52,5% (21/40) der Krankenhäuser existierte eine Abteilung oder Stabsstelle für Infektiologie, in der mindestens zwei Infektiolog*innen arbeiteten, die als Infektiolog*in (DGI) oder mit der Zusatzbezeichnung Infektiolog*in nach LÄK qualifiziert waren (sSI 2). Ein ABS-Team nach S3-Leitlinie (sSI 4) war in 60,0% (24/40) der Krankenhäuser und ein infektiologischer Konsiliardienst (sSI 5) in 57,5% (23/40) etabliert. In 62,5% (25/40) waren Infektiolog*innen im Rahmen des Krisenstabs an Behandlungs- und Therapieempfehlungen beteiligt (sSI 10) (Abbildung 3 ). Die Gesamtpunktzahl der einzelnen Krankenhäuser im Schlüsselindikator-Score reichte von 0 bis 9 Punkten (Spannweite 9, Median 4, Mittelwert 4,10) (Anhang A, Tabelle A3). Die maximal mögliche Punktzahl von 10 Punkten wurde von keinem Krankenhaus erreicht.
Statistische Validierung der entwickelten Schlüsselindikatoren
Die 14 Krankenhäuser mit Zertifizierung (DGI-Zentrum) erreichten zwischen 4 und 9 Punkten im Schlüsselindikator-Score (Spannweite 5, Median 6,50, Mittelwert 6,57), verglichen mit 26 Krankenhäusern ohne Zertifizierung, die zwischen 0 und 7 Punkten erreichten (Spannweite 7, Median 3, Mittelwert 2,77). Die Fläche unter der ROC-Kurve betrug 0,893 (95%-Konfidenzintervall (KI): 0,797, 0,988; p < 0,001) (Abbildung 2). Der optimale Cutoff-Wert für die Punktzahl im Schlüsselindikator-Score wurde bei 5,5 Punkten festgelegt. Die Vorhersagegenauigkeit der extern validierten infektiologischen Expertise in Krankenhäusern mit einem Schlüsselindikator-Score ≤ 5,5 Punkte hatte eine Sensitivität von 64,3% und eine Spezifität von 88,5 %. Der positive prädiktive Wert (PPV) betrug 75,0% und die Akkuratheit bei 80,0% (Anhang A, Tabelle A4).
Diskussion
In der Studie wurden Strukturindikatoren für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot im Rahmen eines transparenten Entwicklungsprozesses identifiziert und zusätzlich in ihrer Anwendung validiert. Es gibt keinen allgemein anerkannten Goldstandard zur Entwicklung von Qualitätsindikatoren, jedoch sind in den letzten Jahren Instrumente publiziert worden, die eine wissenschaftlich fundierte Grundlage zur vertiefenden Bewertung und Einordnung zulassen und an denen sich diese Studie orientiert [12], [27]. Neben der Entwicklung wird dabei der Validierung im Feld, wie beispielsweise von Buyle et al. und kürzlich von Smits et al. aufgezeigt, zunehmend Bedeutung beigemessen [15], [28]. Diese Studie bezieht sich daher im Ablauf insbesondere auf die von Buyle et al. dargelegte Methodik, unter Berücksichtigung der etablierten Rahmenbedingungen und Bewertungskriterien (Relevanz, Praktikabilität) des Instruments QUALIFY [11].
Die Auswirkungen klinisch-infektiologischer Fachexpertise auf die Versorgung von Patient*innen und explizit COVID-19-Patient*innen als Subgruppe nach IQTIG sind innerhalb dieser Studie differenziert evaluiert und am spezifischen Beispiel von COVID-19-Patient*innen validiert worden. Obwohl COVID-19 als neue Infektionskrankheit mit hoher Infektiosität und teilweise komplexen Krankheitsverläufen aus der Bandbreite infektiologischer Erkrankungen heraussticht, konnte gezeigt werden, dass die notwendige klinisch-infektiologische Strukturqualität sich für diese Subgruppe von Patient*innen nicht unterscheidet. Die identifizierten Schlüsselindikatoren im Relevanz-Score A und B waren identisch. In der zur Validierung der Strukturindikatoren und Analyse der aktuellen Versorgungssituation durchgeführten Feldstudie zeigte sich, dass das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot für COVID-19 Patient*innen in den untersuchten Krankenhäusern sehr heterogen aufgestellt ist (Gesamtpunktzahlen der Krankenhäuser im Schlüsselindikator-Score 0-9 Punkte (Spannweite 9, Median 4)). Daraus ergeben sich die in der Einleitung aufgezeigten Hinweise für Qualitätsunterschiede und -defizite und damit einhergehendes Verbesserungspotential hinsichtlich der klinisch-infektiologischen Versorgung in Deutschland, das demnach nicht nur für COVID-19-Patient*innen, sondern für alle infektiologisch erkrankten Patient*innen besteht.
Die Validierung der entwickelten Strukturindikatoren gegenüber der bestehenden Zertifizierung als DGI-Zentrum mittels ROC-Kurve (Fläche unter der ROC-Kurve = 0,893) zeigt, dass in Krankenhäusern mit extern validierter infektiologischer Expertise Schlüsselindikatoren der klinisch-infektiologischen Strukturqualität häufiger etabliert waren. Bei dem gewählten Cutoff-Wert von 5,5 Punkten im Schlüsselindikator-Score war die Akkuratheit mit 80,0% am höchsten. Die von Krankenhäusern mit Zertifizierung erreichte Punktzahl im Schlüsselindikator-Score betrug im Median 6,5 Punkte. Zwei Krankenhäuser erreichten 9 Punkte, jedoch lagen fünf der Krankenhäuser mit Zertifizierung zum DGI-Zentrum unter diesem gewählten Cutoff-Wert. Als Ursache für die niedrigen Punktzahlen der fünf Krankenhäuser konnten drei Hauptgründe identifiziert werden. Erstens wurde in diesen Krankenhäusern der geschätzte Bedarf an Infektiolog*innen pro Bettenanzahl nach Kern et al. [8] nicht erreicht, was die in der Einleitung aufgezeigte Notwendigkeit eines Programms zur vermehrten Weiterbildung bzw. die Einführung eines Facharztes „Innere Medizin und Infektiologie“ widerspiegelt. Zweitens war ein ABS-Team nach S3-Leitlinie und die Konsiliarische Verfügbarkeit teilweise nicht etabliert. Das Zertifizierungsprogramm zum „Zentrum für Infektiologie (DGI)“ (Stand 7/2017) sieht das Vorhandensein eines ABS-Programms und eines infektiologischen Konsiliardienstes zur Anerkennung vor bzw. spricht eine starke Empfehlung zur Etablierung dieser Strukturen (Empfehlungsgrad A, soll) aus [16]. Das Personalkonzept, die Behandlungsleistungen und die Erreichbarkeit werden jedoch nicht weiter konkretisiert. Im Gegensatz zu anderen strukturellen Anforderungen im Zertifizierungsprogramm, deren Empfehlungsstärke durch den Begriff „muss“ als maximal verbindlich interpretiert werden kann, bestehen somit weniger klare Vorgaben zur Auslegung. Um möglichen Qualitätsunterschieden entgegenzuwirken, sollte perspektivisch überlegt werden, die strukturellen Anforderungen des Zertifizierungsprogramms genauer zu definieren. Drittens waren Infektiolog*innen in diesen fünf Krankenhäusern teilweise nicht in die Versorgung der spezifischen Subgruppe von COVID-19-Patient*innen im stationären Bereich eingebunden, wie in der Feldstudie gezeigt werden konnte. Weiterführend sollte evaluiert werden, inwiefern in den Krankenhäusern eine Einbindung in die Versorgung von anderen Patient*innen mit Infektionskrankheiten erfolgt. Die Falsch-Positiv-Rate betrug 11,5% und entspricht dem Anteil der Krankenhäuser ohne Zertifizierung, die durch den Schlüsselindikator-Score falsch als positiv identifiziert wurden. Sie verdeutlicht, dass auch in einigen Krankenhäusern ohne Zertifizierung ein ausgeprägtes klinisch-infektiologisches Versorgungsangebot vorhanden war. Eine Bereitstellung des Versorgungsangebots und eine möglicherweise damit einhergehende optimierte Behandlungsqualität infektiologischer Patient*innen scheint in einigen Krankenhäusern, die nur durch den entwickelten Schlüsselindikator-Score erfasst werden, sichergestellt zu sein. Das Ergebnis dieser Erhebung wirft die Frage auf, ob in der Zukunft ein flächendeckendes infektiologisches Versorgungsnetz ausgebaut werden oder stattdessen spezialisierte, gut ausgestattete Zentren gefördert werden sollten.
Die in dieser Studie angewandte Methodik weist Limitationen auf. Zum einen hätte die Zusammensetzung des Expert*innenteams nach den kürzlich vom IQTIG veröffentlichten Kriterien, die den Einbezug verschiedener Perspektiven bei Beratungen zu Fragen der Gesundheitsversorgung und Qualitätssicherung sicherstellen sollen, heterogener gestaltet werden können. Neben der eingebrachten gesundheitsprofessionsspezifischen Fachexpertise hätte, insbesondere vor dem Hintergrund der Bewertung der ökonomischen Relevanz, zusätzlich kontextbezogene Fachexpertise (beispielsweise durch Vertreter*innen der Geschäftsführung, Gesundheitsökonomie oder der Versorgungsforschung) integriert werden können. Diese Studie spiegelt die subjektive Meinung und das Wissen einer zentral benannten Gruppe von Expert*innen wider, die allerdings aufgrund Ihrer langjährigen Expertise und Ihrer überwiegend leitenden Funktion als repräsentative Gruppe von wichtigen Meinungsbildner*innen der Infektiologie in Deutschland angesehen werden können. Zum anderen wurden bei der Identifizierung geeigneter Schlüsselindikatoren zwei Strukturindikatoren aus der Domäne konsiliarische Verfügbarkeit eingeschlossen, bei denen eine hohe Diskrepanz zwischen Relevanz und Praktikabilität bestand. Dieses Vorgehen ist jedoch mit den Empfehlungen des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) vereinbar, da eine hohe Relevanz bzw. ein hoher erwarteter Nutzen die aufwendigere Datenerhebung rechtfertige [10]. Die beiden Strukturindikatoren wurden von den Expert*innen sowohl als klinisch, ökologisch und ökonomisch hochrelevant bewertet und erreichten im Relevanz-Score A und B höchste Punktzahlen. Neben den Expert*innenmeinungen untermauern zahlreiche Publikationen den Nutzen eines infektiologischen Konsiliardienstes, insbesondere am Krankenbett [19], [20], [21]. Hinsichtlich der Datenverfügbarkeit hingegen bestand während der Expert*innendiskussion der Konsens, dass sich eine objektive, routinemäßige Erhebung bzw. die Einrichtung der Messung schwierig gestalte, da für den Konsiliardienst aktuell keine klaren Vorgaben zur Ausgestaltung vorliegen. Um den Unterschieden in Bezug auf die personelle Ausstattung sowie auf das Leistungsspektrum der einzelnen Angebote entgegenzuwirken, sollten zukünftig standardisierte Empfehlungen spezifisch für einen infektiologischen Konsiliardienst entwickelt werden. Eine Orientierung hierfür könnte beispielsweise der durch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) definierte Palliativdienst bieten, im Rahmen dessen u.a. Mindestmerkmale hinsichtlich Personalkonzept, Behandlungsleistungen und Erreichbarkeit beschrieben werden, deren Einhaltung gewährleistet werden muss [29]. Des Weiteren wurden die in dieser Studie identifizierten Strukturindikatoren für das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot individuell für das deutsche Gesundheitssystem entwickelt. Jedoch stellen Infektionskrankheiten, aktuell insbesondere Infektionen mit SARS-CoV-2, ein führendes Gesundheitsproblem für Patient*innen auf der ganzen Welt dar. Wie bereits während der Choosing Wisely-Kampagne aufgezeigt wurde, sind die Herausforderungen in Bezug auf die Behandlung und Prävention von Infektionskrankheiten zumindest teilweise spezifisch für Regionen, Ressourcenlagen und/oder individuelle Gesundheitssysteme [30]. Im Untersuchungsverlauf wurde eine Arbeit von Deckert et al. [31] publiziert, die einen methodischen Standard zur Entwicklung von Qualitätsindikatoren im Rahmen von S3-Leitlinien beschreibt. Aus der Arbeit würde sich die Hinzunahme weiterer Gütekriterien aus der Kategorie Praktikabilität (z.B. Beeinflussbarkeit der Indikatorausprägung, Implementierungsbarrieren) und der Wissenschaftlichkeit (Klarheit der Definition, Reflexion kultureller Werte) ergeben. Im Hinblick auf eine Integration in nationale Versorgungsleitlinien sollten diese Kriterien angemessen ergänzt werden. Dennoch sind wir der Überzeugung, durch die hohe Fachexpertise des Panels und methodische Fokussierung ein Ergebnis hoher Relevanz für die Bewertung infektiologischer Versorgungsangebote erreicht zu haben.
Die entwickelten Strukturindikatoren stellen bei einheitlicher Anwendung die Vergleichbarkeit einzelner Krankenhäuser bezüglich ihrer Versorgungsstrukturen sicher. Perspektivisch werden somit die Voraussetzungen für ein wirksames Benchmarking geschaffen, das einen wichtigen Anreiz zur Qualitätsverbesserung aufzeigen kann [10]. Abweichungen von den durch die Strukturindikatoren definierten Qualitätsstandards können dabei reale und wichtige Unterschiede in der tatsächlichen Qualität der Gesundheitsversorgung und damit einhergehendes Verbesserungspotenzial widerspiegeln. Zur regelmäßigen Erhebung und Reevaluierung der klinisch-infektiologischen Versorgungsqualität an Krankenhäusern in Deutschland könnten zukünftig die in dieser Studie identifizierten Schlüsselindikatoren sowie der im Rahmen der Feldstudie entwickelte Fragebogen genutzt werden. Außerdem sollte in weiterführenden Studien evaluiert werden, wie sich das klinisch-infektiologische Versorgungsangebot auf die Qualität der Patient*innenversorgung und die Behandlungsergebnisse in Deutschland auswirkt.
Schlussfolgerungen
Die in dieser Studie entwickelten Strukturindikatoren, insbesondere die definierten Schlüsselindikatoren für infektiologische Strukturqualität, können zukünftig zur regelmäßigen Erhebung und Reevaluierung des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots an Krankenhäusern in Deutschland verwendet werden. Mittels ROC-Kurve konnten die entwickelten Strukturindikatoren gegenüber bereits bestehender extern validierter infektiologischer Expertise validiert werden (Fläche unter der ROC-Kurve = 0,893). Eine erste Feldevaluierung zeigte eine derzeit bestehende Heterogenität des klinisch-infektiologischen Versorgungsangebots. Perspektivisch sollte dieses Versorgungsangebot zielgerichtet weiter ausgebaut werden, um Patient*innen den bestmöglichen Zugang zu infektiologischer Expertise zu ermöglichen und zukünftigen Herausforderungen der Infektionsmedizin adäquat zu begegnen.
Danksagung
Wir bedanken uns herzlich bei allen Vertreter*innen der Standorte, die an der Feldstudie teilgenommen haben: Siegbert Rieg, Frank Hanses, Stefan Borgmann, Kai Wille, Maria Rüthrich, Martin Hower, Michael von Bergwelt-Baildon, Uta Merle, Silvio Nadalin, Julia Fürst, Kerstin Hellwig, Elena Ribel, Claudia Raichle, Dominic Rauschning, Beate Schultheis, Milena Milovanovic, Katja Rothfuss, Christian Riedel, Jörg Schubert, Maximilian Worm, Thomas Glück, Gernot Beutel, Marc Bota, Michael Schmid, Michael Doll, Martin Sprinzl, Stephan Steiner, Stefani Röseler, Helga Peetz, Caroline Kann, Harald Schäfer, Ingo Greiffendorf, Mark Neufang. Das Projekt wurde durch die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI), das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und die Willy Robert Pitzer Foundation unterstützt.
Interessenkonflikt
Die Autor*innen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Autor*innenschaft
Lene Tscharntke: Konzeptualisierung des Projektes; Methodik (Koordination der Diskussion, Datenerhebung); formale Analyse; Visualisierung; Ausarbeitung des Manuskripts; Überprüfung und Bearbeitung des Textes.
Melanie Stecher: Supervision/Betreuung; Konzeptualisierung des Projektes; Ausarbeitung des Manuskripts; Überprüfung und Bearbeitung des Textes.
Annika Y. Classen: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Norma Jung: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Lukas Eberwein: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Anette Friedrichs: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Hartwig Klinker: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Maximilian J. Schons: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Christoph D. Spinner: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Maria J.G.T. Vehreschild: Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Katja de With: Supervision/Betreuung; Teilnahme am Bewertungsprozess; Ausarbeitung des ursprünglichen Entwurfs; Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Jörg J. Vehreschild: Supervision/Betreuung; Konzeptualisierung des Projektes; Ausarbeitung des ursprünglichen Entwurfs; Überprüfung und Bearbeitung des Textes; Teilnahme am Bewertungsprozess.
Footnotes
Zusätzliche Daten verbunden mit diesem Artikel finden sich in der Online-Version unter: https://doi.org/10.1016/j.zefq.2022.09.011.
Appendix A. Supplementary data
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