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. 2023 Feb 27:1–10. [Article in German] Online ahead of print. doi: 10.1007/s00398-023-00566-6

Neuausrichtung der NRW-Krankenhausplanung – Bedeutung für die Herz-Kreislauf-Medizin und die Thoraxchirurgie

Reorientation of the hospital planning in NRW—Importance for cardiovascular medicine and thoracic surgery

Norbert Roeder 1,, Wolfgang Fiori 1
PMCID: PMC9969931  PMID: 37361606

Abstract

Mit dem Jahr 2022 begann eine Zeitenwende für die Krankenhäuser in Nordrhein Westfalen. Mit der Umstellung der Krankenhausplanung in NRW auf eine Zuweisung von Versorgungsaufträgen über medizinische Leistungsgruppen mit dafür vorgesehenen personellen und infrastrukturellen Strukturqualitätsanforderungen statt über Fachabteilungen und Betten wird eine neue Art der Krankenhausplanung und -strukturierung eingeleitet. Diese Methodik wird nun auch von der von Gesundheitsminister Lauterbach eingesetzten Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung als Strukturierungsmöglichkeit für Gesamtdeutschland in Kombination mit Krankenhausversorgungsstufen vorgeschlagen. Es ist daher sinnvoll, sich rechtzeitig mit den möglichen Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Medizin auseinanderzusetzen, um evtl. Veränderungen des Versorgungsauftrages des eigenen Krankenhauses, aber auch anderer Krankenhäuser mit Auswirkungen auf die Kooperationen mit der Herzchirurgie zu antizipieren.

Schlüsselwörter: Gesundheitssystem, Krankenhausplanung, Leistungsgruppen, Strukturqualitätsanforderungen


2022 wird der Beginn einer Zeitenwende für die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen (NRW). Mit der Neugestaltung der Krankenhausplanung in NRW wird eine fundamentale Veränderung eingeleitet. Basierend auf einem vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) vergebenen Gutachten [1] reifte die Erkenntnis, dass die vor Jahren durchgeführte Liberalisierung der Krankenhausplanung unter Verzicht der Teilgebietsplanung dazu geführt hatte, dass sich innerhalb der großen Gebiete der Inneren Medizin und Chirurgie viele Spezialisierungen in den NRW-Krankenhäusern entwickelten, die sich dem Einfluss der bisherigen Krankenhausplanung entzogen haben. Nach diesem Gutachten wurden 64 % der Fälle in diesen beiden Gebieten versorgt. Um wieder stärker steuern zu können, wird die Krankenhausplanung auf eine neue Grundlage gestellt [2]. Ziel ist es, spezialisierte Leistungen auf weniger Krankenhausstandorte zu konzentrieren und damit auch die Versorgungsqualität zu verbessern. Planungsinstrument hierzu sind 32 Leistungsbereiche (LB) mit 64 allgemeinen und spezifischen Leistungsgruppen (LG), für deren Erbringung die Erfüllung von Struktur- und Prozessqualitätskriterien am Krankenhausstandort oder in Kooperationen gefordert wird. Die allgemeinen Leistungsgruppen basieren auf Fachgebieten nach der Weiterbildungsordnung (WBO) der Ärztekammern. Die Zuordnung der Fälle zu den allgemeinen Leistungsgruppen erfolgt in der Regel über die Fachabteilungskodes nach § 301 SGB V [3] der entlassenden Fachabteilung, die zur Leistungsabrechnung mit den Krankenkassen verwendet werden. Die Zuordnung zu den spezifischen Leistungsgruppen erfolgt über OPS-Prozedurenkodes, manchmal in Kombination mit ICD-Diagnosekodes und z. T. über eine Altersabgrenzung zur klaren Identifikation von Erwachsenen (Alter > 17 Jahre).

Die Leistungsbereiche (Tab. 1) bilden den übergeordneten medizinischen Rahmen und dienen der Strukturierung der LG, über die einem Krankenhausstandort zukünftig der Versorgungsauftrag zugeteilt wird. Zu den Leistungsgruppen, über die ein Großteil des Leistungsgeschehens beplant wird, kommen Leistungsangebote, die außerhalb der Systematik der Leistungsbereiche und LG beplant werden sollen, wie die Infektiologie, die Nuklearmedizin, die Strahlentherapie, die Schmerztherapie, die Polytraumaversorgung oder die Versorgung von Schwerbrandverletzten.

Leistungsbereich (LB) LG-Nr. Leistungsgruppe (LG) LG-Definition LG-Art Planungsebene Schwankungsbreite in % FZ 2019 Bedarf 2024 Differenz In %
Kardiologie 8.1 EPU/Ablation OPS + PatAlter Spez.LG Versorgungsgebiet 20 26.298 26.969 671 2,6
8.2 Interventionelle Kardiologie OPS + PatAlter Spez.LG Versorgungsgebiet 20 191.544 188.994 −2550 −1,3
8.3 Kardiale Devices OPS+PatAlter Spez.LG Versorgungsgebiet 20 9805 10.229 424 4,3
8.4 Minimal-invasive Herzklappenintervention OPS+PatAlter Spez.LG Regierungsbezirk 15 5136 5487 351 6,8
Herzchirurgie 13.1 Herzchirurgie OPS + PatAlter Spez.LG Regierungsbezirk 20 15.881 16.466 585 3,7
13.2 Herzchirurgie – Kinder und Jugendliche OPS + PatAlter Spez.LG Landesteil 25 759 759 0 0,0
13.4 Kardiale Devices OPS+PatAlter Spez.LG Versorgungsgebiet 20 9805 10.229 424 4,3
13.3 Minimal-invasive Herzklappenintervention OPS+PatAlter Spez.LG Regierungsbezirk 15 5136 5487 351 6,8
Gefäßmedizin 12.1 Bauchaortenaneurysma OPS Spez.LG Versorgungsgebiet 20 3737 3974 237 6,3
12.2 Carotis operativ/interventionell OPS Spez.LG Versorgungsgebiet 20 7658 8093 435 5,7
12.3 Komplexe periphere arterielle Gefäße OPS Spez.LG Versorgungsgebiet 15 15.175 16.055 880 5,8
Thoraxchirurgie 15.1 Thoraxchirurgie OPS Spez.LG Regierungsbezirk 20 4713 4940 227 4,8
Transplantation solider Organe 30.2 Herztransplantation OPS Spez.LG Landesteil 20 124 125 1 0,8
30.4 Lungentransplantation OPS Spez.LG Landesteil 20 48 48 0 0,0

Vorgegebene Qualitätskriterien

Allen Leistungsgruppen wurden jeweils qualitative Anforderungen in Form von Mindestvoraussetzungen (MV), die von jedem die jeweilige Leistungsgruppe erbringenden Krankenhausstandort erfüllt sein müssen, und ggf. darüber hinaus gehende Auswahlkriterien (AWK) zugeordnet.

Für jede Leistungsgruppe ist eine eigene Planungsebene festgelegt. Das ist für die Grundversorgung der Inneren Medizin und Chirurgie, die Intensivmedizin sowie die Geriatrie der Kreis bzw. die kreisfreie Stadt. Für die Leistungsgruppen der Herz-Kreislauf-Medizin ist es abhängig von der Leistungsgruppe das Versorgungsgebiet oder der Regierungsbezirk. NRW ist in 16 Versorgungsgebiete und 5 Regierungsbezirke eingeteilt. Organtransplantationen werden auf der Ebene der beiden Landesteile beplant. Auf jeder Planungseben soll es mindestens ein Leistungsangebot geben. In der Realität existiert jedoch meist eine Vielzahl von Leistungsangeboten auf den jeweiligen Planungsebenen. Diese Vielzahl soll gerade bei hochspezialisierten Leistungen mit der Umsetzung der neuen Krankenhausplanung reduziert werden. Dies kann auch über behördliche Auswahlentscheidungen geschehen, wenn sich mehr Leistungserbringer für die Versorgung bewerben, als aus Sicht der Planungsbehörden benötigt werden.

Die Qualitätskriterien der Leistungsgruppen beschreiben überwiegend Strukturqualität wie z. B. die vorzuhaltenden Fachärztinnen und Fachärzte sowie die vorzuhaltenden Geräte. Die AWK sollen dann zum Tragen kommen, wenn mehr Krankenhausstandorte ihre Leistung anbieten, als bezogen auf den Versorgungsbedarf benötigt werden. In diesem Fall kann eine behördliche Auswahl zwischen mehreren Krankenhausstandorten unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen und der Vielfalt der Krankenhausträger darüber entscheiden, welcher Krankenhausstandort den Zielen der NRW-Krankenhausplanung am besten gerecht wird. Zur besseren Operationalisierung von Auswahlentscheidungen hat das MAGS für die jeweiligen Leistungsgruppen einige Auswahlkriterien definiert, die über die Mindestvoraussetzungen hinausgehen. Für Fachkliniken und die belegärztliche Versorgung gelten in Teilen abweichende Vorgaben, die in jeweils eigenen Kapiteln des neuen Krankenhausplans erläutert sind [2]. Der Status Fachklinik kann auch für ein solitäres Herzzentrum in Betracht kommen, das keine allgemeine chirurgische und internistische Grundversorgung anbietet und nicht in den Kontext eines Maximalversorgers mit allen Fachabteilungen eingebunden ist.

Für die meisten Leistungsgruppen wird eine fachärztliche Mindestausstattung mit 3 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) sowie einem 24/7-Rufdienst unter Berücksichtigung der fachärztlichen Qualifikation für die jeweilige LG am Standort gefordert. Ausnahmen existieren für die LG „Herzchirurgie Erwachsene“ und die LG „Interventionelle Kardiologie“ sowie mittelbar für die LG „Minimal-invasive Herzklappenintervention“. Bei der Prüfung der fachärztlichen Mindestvoraussetzungen ist zu berücksichtigen, dass durch die vorgegebenen Mindestvoraussetzungen häufig weitere Leistungsgruppen am Krankenhausstandort vorgehalten werden müssen, woraus sich zusätzliche notwendige fachärztliche Vorhaltungen ergeben können. Für die LG „Thoraxchirurgie“ sollen in der Regel 3 fachärztliche Vollzeitäquivalente für Thoraxchirurgie verfügbar sein. Sofern jedoch auch die Leistungsgruppe Herzchirurgie am Standort vorhanden ist, reichen 2 Vollzeitäquivalente aus, die dann durch Herzchirurgen ergänzt werden müssen.

Von besonderer Bedeutung bezüglich der Auswirkung auf das Leistungsangebot ist die Vorgabe, dass ein Teil der Mindestvoraussetzungen am jeweiligen Krankenhausstandort selbst verfügbar sein muss. Betreibt ein Krankenhaus mehrere Standorte unter einer Krankenhausnummer (Institutskennzeichen), ist jeder Standort unabhängig von den anderen Standorten hinsichtlich der Mindestvoraussetzungen zu betrachten. Allerdings können die in Kooperation vorzuhaltenden LG/LB durch Kooperation mit anderen Standorten des eigenen Krankenhauses oder mit anderen Krankenhäusern nachgewiesen werden.

Besonderheiten in der Intensivmedizin

Basis für viele Leistungsgruppen ist die Trias aus der LG „Allgemeine Innere Medizin“, der LG „Allgemeine Chirurgie“ sowie der LG „Intensivmedizin“. Auf dieser Grundversorgung bauen dann weitere Versorgungsangebote auf. Für die Intensivmedizin wurde die allgemeine LG „Intensivmedizin“ geschaffen. Die Zuweisung ist eine direkte oder über die Verkettung mit der Abhängigkeit von den LG der „Allgemeinen Chirurgie“ und/oder „Allgemeinen Inneren Medizin“ mittelbare Voraussetzung für die Erbringung der meisten anderen LG. Für die LG „Intensivmedizin“ wurden 3 unterschiedliche Qualitätsanforderungen definiert (Basis, komplex und hochkomplex), die für die jeweiligen LG relevant sind (Abb. 1). Für die LG „EPU/Ablation“, „Interventionelle Kardiologie“, „Kardiale Devices“, „Bauchaortenaneurysma“ (Abb. 2) und „Carotis operativ/interventionell“ (Abb. 3) wird die komplexe Intensivmedizin gefordert. Für die LG „Herzchirurgie“, „Minimal-invasive Herzklappenimplantation“, „Thoraxchirurgie“, „Herztransplantation“ und „Lungentransplantation“ wird die hochkomplexe Intensivmedizin gefordert.

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Für die hochkomplexe Intensivmedizin ist ein Hintergrunddienst erforderlich, der ausschließlich aus Fachärztinnen oder Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin besteht.

Abb. 4 zeigt die intensivmedizinischen Anforderungen für die Leistungsgruppen der Herz-Kreislauf-Medizin und Thoraxchirurgie.

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Wichtige Grundsätze

Ein wesentlicher Grundsatz der neuen Krankenhausplanung ist, dass die in den jeweiligen Leistungsgruppen definierten Leistungen nur erbracht werden dürfen, wenn diese Leistungsgruppen im Feststellungsbescheid auch dem Krankenhausstandort zugewiesen wurden. Wird dem Krankenhausstandort eine allgemeine LG zugewiesen, darf das gesamte Leistungsspektrum des betreffenden Gebietes der WBO erbracht werden, soweit diese Leistungen nicht einer anderen spezifischen LG zugewiesen sind. Abb. 5 stellt diese wichtigen Zusammenhänge zwischen ausgewählten allgemeinen und spezifischen LG im Gebiet der Chirurgie sowie die daraus abzuleitenden Versorgungsaufträge dar.

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Eine systematische Besonderheit stellen die ehemaligen Teilgebiete – nunmehr Facharztkompetenzen – in der Chirurgie und der Inneren Medizin dar. Diese wurden in eigenen Leistungsbereichen abgebildet, wobei bei vielen Teilgebieten der Chirurgie (Viszeralchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie) ausschließlich spezifische LG existieren. Dies gilt auch für die Herzchirurgie, für die im engeren Sinne 2 Leistungsgruppen relevant sind. Hierzu gehören die LG „Herzchirurgie Erwachsene“ (Abb. 6) und die LG „Herzchirurgie Kinder und Jugendliche“.

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Abweichend von den Vorgaben für andere Leistungsgruppen ist für die Leistungsgruppe „Herzchirurgie Erwachsene“ die Vorhaltung von 5 Vollzeitäquivalenten der fachärztlichen Qualifikation „Herzchirurgie“ erforderlich. Darüber hinaus müssen die Leistungsgruppe „Interventionelle Kardiologie“ am Standort verfügbar sowie die Qualitätsanforderung der hochkomplexen Intensivtherapie erfüllt sein.

Die Qualitätsvorgaben in der Leistungsgruppe 13.2 „Herzchirurgie – Kinder und Jugendliche“ orientieren sich abweichend von den durch das MAGS definierten Kriterien für die anderen Leistungsgruppen an den Vorgaben der G‑BA-Richtlinie zur Kinderherzchirurgie (KiHE-RL).

Kardiologie

Für die Kardiologie existieren 4 Leistungsgruppen (Tab. 1), von denen die Leistungsgruppe „Interventionelle Kardiologie“ die fallzahlstärkste ist. Die in Abb. 7 dargestellte Leistungsgruppe bündelt diagnostische und therapeutische interventionelle Leistungen mit Ausnahme der TAVI sowie Leistungen aus dem Bereich der EPU/Ablation. Diese Leistungen sind jeweils in eigenen Leistungsgruppen definiert. Die Leistungsgruppe „Kardiale Devices“ bündelt die Implantationen komplexer Schrittmacher- und CRT-Systeme. „Einfache“ Schrittmacherimplantationen werden nicht spezifisch beplant und sind daher meist in den Leistungsgruppen „Allgemeine Innere Medizin“ und „Allgemeine Chirurgie“ mitenthalten. Sie dürfen von allen Krankenhäusern implantiert werden, denen diese Grundversorgungsleistungsgruppen zugewiesen wurden.

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Abweichend von den Vorgaben für andere Leistungsgruppen ist für die Leistungsgruppe „Interventionelle Kardiologie“ die Vorhaltung von 5 Vollzeitäquivalenten der fachärztlichen Qualifikation „Innere Medizin und Kardiologie“ erforderlich. Dieses Kriterium erfüllen wahrscheinlich nicht alle heute invasiv tätigen kardiologischen Einrichtungen in den NRW-Krankenhäusern.

Die Leistungsgruppe „Minimal-invasive Herzklappenintervention“ beinhaltet ausschließlich den kathetergestützten Aortenklappenersatz (TAVI) bei Erwachsenen mit den OPS-Kodes aus 5‑35a.0 (Minimal-invasive Operationen an Herzklappen: Implantation eines Aortenklappenersatzes).

Die jeweiligen Facharztanforderungen in den Leistungsgruppen sind nicht additiv zu sehen. Wenn eine Kardiologie über 5 Vollzeitäquivalente Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie verfügt, sind damit die fachärztlichen Voraussetzungen für alle kardiologischen Leistungsgruppen erfüllt.

Mehrfachzuordnungen und Fachabteilungsbezug

Die Leistungsgruppen „Minimal-invasive Herzklappenintervention“ und „Kardiale Devices“ sind sowohl dem Leistungsbereich „Kardiologie“ als auch dem Leistungsbereich „Herzchirurgie“ zugeordnet. Eigentlich wäre diese doppelte Zuordnung nicht notwendig gewesen, da die neue Form der Krankenhausplanung keine Fachabteilungen bzw. Fachgebiete beplant, sondern Leistungen aus Fachgebieten. Ein Krankenhaus, das eine Leistungsgruppe zugewiesen bekommen hat, kann diese Leistung in der Organisationsstruktur erbringen, die das Krankenhaus für richtig und notwendig hält. Selbstverständlich müssen die notwendigen Qualifikationen nach Weiterbildungsordnung bestehen. Dies wäre jedoch für die beiden genannten Leistungsgruppen durch Kardiologen und durch Herzchirurgen gegeben und bräuchte nicht durch die Doppelzuordnung der Leistungsgruppen zu 2 Leistungsbereichen dargestellt werden.

Für das Verständnis der neuen Systematik ist wichtig zu reflektieren, dass die Leistungsgruppen nicht Fachgebieten bzw. Fachabteilungen entsprechen. So bildet z. B. die über OPS-Prozedurenkodes und das Patientenalter definierte Leistungsgruppe „Herzchirurgie“ viele Leistungen aus dem Gebiet der Herzchirurgie ab, jedoch nicht alle Leistungen. In den von uns durchgeführten Analysen bei Häusern mit Herzchirurgie werden nur ca. 70 % der Patienten, die aus einer Herzchirurgie entlassen wurden, der Leistungsgruppe Herzchirurgie zugeordnet (Abb. 8). Die restlichen aus der Hauptfachabteilung Herzchirurgie entlassenen Fälle verteilen sich über verschiedenen Leistungsgruppen.

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Viele Fälle werden der Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ zugeordnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Leistungen von Allgemeinchirurgen bzw. in der Allgemeinchirurgie des Hauses erbracht werden. Diese Leistungsgruppe fängt lediglich als übergeordnete Gebietsleistungsgruppe (WBO-Gebiet Chirurgie) häufig Fälle auf, die in den spezialisierten Leistungsgruppen nicht abgebildet sind. Operativ versorgte Fälle, die keiner spezifischen Leistungsgruppe zugeordnet werden, und über eine internistische Station (z. B. Kardiologie) entlassen werden, werden sogar der Leistungsgruppe „Allgemeine Innere Medizin“ zugeordnet. Das Gleiche gilt für die Kardiologie. Fälle, die nicht in den 4 spezifischen kardiologischen Leistungsgruppen abgebildet sind, werden nach entlassender Fachabteilung, meist also der Leistungsgruppe „Allgemeine Innere Medizin“ zugeordnet.

Fachkliniken, wie z. B. solitäre Herzzentren, bekommen einen eingeschränkten Versorgungsauftrag für die LG „Allgemeine Innere Medizin“ und die LG „Allgemeine Chirurgie“ zugewiesen, um die Fälle abbilden zu können, die nicht in den spezifischen Leistungsgruppen enthalten sind. Damit ist gewährleistet, dass alle Fälle aus den Gebieten bzw. Teilgebieten Herzchirurgie, Kardiologie etc. auch an der Fachklinik behandelt werden können. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Klinik den Status „Fachklinik“ auch erhält. Dies bedeutet jedoch nicht, dass so eine Fachklinik dann die kompletten Fälle aus den WBO-Gebieten Chirurgie und Inneren Medizin behandeln kann und darf. Auch an der Notfallversorgung für die Patientinnen und Patienten aus diesen Gebieten muss sich die Fachklinik nicht beteiligen. Sie konzentriert sich in der Notfallversorgung auf die Patientinnen und Patienten, die eine kardiologische bzw. herzchirurgische Behandlung benötigen.

Versorgungsbedarf

Der planungsrelevante Versorgungsbedarf wird zukünftig nicht mehr in Form von Fachabteilungen und Betten, sondern in Fällen je Leistungsgruppe und Planungsebene (Kreis, Versorgungsgebiet, Regierungsbezirk oder Landesteil) ermittelt und ausgewiesen. Zur Ermittlung des Bedarfs wurden die NRW-Krankenhausdaten nach § 21 KHEntgG des Jahres 2019 genutzt, auf deren Basis unter Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie der demografischen Entwicklung, der Ambulantisierung und von Verweildauertrends der zukünftige Bedarf im Jahr 2024 für jede LG getrennt prognostiziert wurde. Für jede Leistungsgruppe ist eine prozentuale Schwankungsbreite festgelegt (Tab. 1), in deren Rahmen das Krankenhaus von der zugewiesenen Versorgungskapazität abweichen darf. Für die meisten LG mit chirurgischen Leistungen liegen die Schwankungsbreiten bei 15 oder 20 %.

Der Versorgungsbedarf für eine Planungsebene orientiert sich an den in 2019 von den auf der Planungsebene angesiedelten Krankenhäusern erbrachten Leistungen und bildet damit nicht den Versorgungsbedarf der auf der Planungsebene wohnenden Bevölkerung ab. Nach 2024 soll der Versorgungsbedarf unter Berücksichtigung der langfristigen Veränderungen des Versorgungsbedarfs neu ermittelt werden. Hintergrund ist die COVID-19-Pandemie, die zu deutlichen Fallzahlrückgängen in den Häusern geführt hat. Aktuell ist noch unklar, ob die Fallzahlen von 2019 (vor der Pandemie) zukünftig wieder erreicht werden. Perspektivisch ist eher damit zu rechnen, dass der stationäre Versorgungsbedarf sinkt, da neben medizinischen Fortschritten auch durch die Politik eine zunehmende Ambulantisierung forciert wird. Die Entwicklungen werden jedoch die Leistungsgruppen in unterschiedlichem Maß betreffen.

Bis 2024 wird in den meisten Leistungsgruppen ein zunehmender Bedarf gesehen. Lediglich in der LG „Interventionelle Kardiologie“ geht der prognostizierte Bedarf zurück, was möglicherweise auf einen antizipierten höheren Ambulantisierungsgrad und den Einfluss alternativer diagnostischer Verfahren (z. B. Cardio-MRT, Cardio-CT) zurückzuführen ist (Tab. 1).

Konsequenzen für die Krankenhäuser

NRW startet nun mit einer völlig neuen Form der Krankenhausplanung. Am 17.11.2022 mussten sich alle Krankenhäuser neu um ihre Versorgungsaufträge bewerben. Sie befinden sich damit nun in einer 6‑monatigen Verhandlungsphase (regionale Planungsverfahren) mit den Kostenträgern und den umliegenden Krankenhäusern mit dem Auftrag, gemeinsam die Versorgung auf der jeweiligen Planungsebene bedarfsgerecht auszugestalten. Gelingt dies nicht, wird nach 6 Monaten die jeweilig zuständige Bezirksregierung das Verfahren an sich ziehen und zur Entscheidungsreife führen.

Die Umsetzung in der Praxis wird zeigen, ob dieses neue System dazu geeignet ist, eine bedarfsorientiertere Krankenhausplanung durchzuführen und damit das eigentliche Ziel, nämlich eine qualitative hochwertige und verlässliche Versorgung der Bevölkerung, zu erreichen.

Alle Vorgaben aus der Krankenhausplanung sind auch im Kontext weiterer Vorgaben wie z. B. der G‑BA-Mindestmengen zu sehen. Aktuell werden eine Mindestmengen für TAVI sowie Herztransplantationen im G‑BA diskutiert. Sollten Mindestmengen festgesetzt werden, gelten diese auch für die Krankenhäuser, die die entsprechenden Leistungsgruppen in Nordrhein-Westfalen erhalten haben. Das Gleiche gilt für die neu festgesetzte Mindestmenge in der Thoraxchirurgie.

Jedes Krankenaus in NRW musste sich intensiv mit den Fragen auseinandersetzen, welche Leistungen es aktuell an seinen Krankenhausstandorten erbringt, und welche Leistungen bzw. Leistungscluster davon erfolgreich unter Berücksichtigung der Leistungsmöglichkeit und insbesondere unter Berücksichtigung der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen für die LG in der Zukunft an den Krankenhausstandorten angeboten werden können. Um die eigene Positionierung festzustellen, war zunächst das eigene Leistungsspektrum in die Systematik der neuen NRW-Krankenhausplanung zu überführen. Dies ist auch notwendig, um in den kommenden Jahren die Leistungsentwicklung in den einzelnen Leistungsgruppen messen und bewerten zu können. Die Überführung des Leistungsspektrums in die neue Systematik ist nicht trivial. Sie kann eigentlich nur algorithmisch, also mit einer speziellen Software, erfolgen, da die Zuordnung der Behandlungen zu den einzelnen Leistungsgruppen nach einem komplexen Algorithmus erfolgt. Einzelne Patienten können im selben Aufenthalt die Kriterien von mehreren Leistungsgruppen erfüllen. Sie werden aber nur einer Leistungsgruppe zugeordnet. So werden z. B. Patienten, die im selben Aufenthalt die Kriterien der Leistungsgruppe „Interventionelle Kardiologie“ und der LG „Herzchirurgie“ erfüllen, letztendlich der Leistungsgruppe „Herzchirurgie“ in einem hierarchischen System zugeordnet. Das MAGS sieht jedoch nicht vor, einen Grouper zu veröffentlichen [7].

Bei der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der stationären Behandlungsfälle spielt das Patientenpotenzial unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung, der Entwicklung des medizinischen Fortschritts und der Ambulantisierung eine große Rolle. Alle Einflussfaktoren sind im Kontext zu den Leistungsangeboten der jeweiligen Region zu bewerten und bei der Erstellung eines strategischen Medizinkonzeptes zu nutzen. In der Vorbereitung des Planungsverfahrens war nicht nur das eigene Leistungsangebot zu betrachten, sondern auch abzuschätzen, welche Leistungsangebote in Form von LG die benachbarten Krankenhausstandort voraussichtlich erbringen wollen. Es ist denkbar, dass es in sehr stark wettbewerblich geprägten Regionen von NRW bei einem Teil der LG häufiger zu Auswahlentscheidungen kommen wird, da die aktuelle Leistungskapazität nach dem MAGS-Gutachten den Bedarf übersteigt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Beteiligte am regionalen Planungsverfahren versuchen werden, zumindest in Ballungsgebieten durch Verschiebung von Leistungsvolumina die Anzahl der Standorte zu reduzieren, auch wenn bislang keine Überkapazitäten festgestellt werden konnten.

Bei der Entwicklung des eigenen Beantragungsrahmens waren insbesondere auch die Abhängigkeiten der LG voneinander zu berücksichtigen. Wenn ein Krankenhausstandort eine LG beantragt, die abhängig von anderen LB/LG ist, müssen die abhängigen LB/LG mitbeantragt werden. Das ganze Verfahren kann dann nur erfolgreich sein, wenn die notwendigen abhängigen LG auch dem Krankenhausstandort zugewiesen werden [5, 6].

Die Neuordnung der NRW-Krankenhausplanung stellt einen deutlichen Entwicklungsschritt dar, der auch andere Bundesländer oder die Bundesebene inspirieren könnte. Die bundesweit angestoßene Diskussion über die notwendigen Krankenhauskapazitäten in Deutschland wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass in allen Bundesländern die Krankenhausplanung aktiver als in den vergangenen Jahren ausgestaltet werden muss. Für die Umsetzung in NRW ist es in unterschiedlicher regionaler Ausprägung hilfreich, wenn sich Krankenhausträger untereinander über die Wahrnehmung eines gemeinsamen Versorgungsauftrages für eine Region verständigen. Hierzu gehören auch sinnvoll aufeinander abgestimmte Behandlungsangebote, die eine Gesamtbehandlung krankenhausstandort- bzw. krankenhausträgerübergreifend in guter Qualität gewährleisten.

Eine Reduktion des Leistungsspektrums in Fachabteilungen kann auch den Umfang der Ermächtigung zur Weiterbildung beeinflussen, mit dem Ergebnis, dass die Attraktivität einer Weiterbildungsstelle in dem Krankenhaus sinkt, da nicht mehr die komplette Weiterbildung in einem einzigen Krankenhaus absolviert werden kann. Betroffene Krankenhäuser sollten daher mit anderen Krankenhäusern Weiterbildungsverbünde abzustimmen, um gemeinsam die komplette Weiterbildung anbieten zu können.

Vertiefende Informationen zur neuen Krankenhausplanung in NRW sind in unserem Beitrag „Neuausrichtung der NRW-Krankenhausplanung“ [4] zu finden.

Bedeutung der neuen Krankenhausplanung für die Herzchirurgie

Die herzchirurgischen Leistungsangebote werden im Rahmen der Krankenhausplanung bei Erfüllung der Mindestvoraussetzungen für die Leistungsgruppen (13.1 und 13.2) nach unserer Einschätzung vermutlich krankenhausplanerisch Bestand haben. Es ist auch möglich, dass Standorte mit herzchirurgischer und kardiologischer Versorgung (Herzzentren) bevorzugt bei der Zuteilung von Leistungsgruppen berücksichtigt werden, die sowohl dem Leistungsbereich Herzchirurgie als auch dem Leistungsbereich Kardiologie zugeordnet wurden (8.3/13.4 „Kardiale Devices“ und 8.4/13.3 „Minimal-invasive Herzklappenintervention“). Anders wird dies jedoch wahrscheinlich für Standorte mit bislang isolierten kardiologischen Leistungsangeboten (z. B. Leistungsgruppe 8.2 „Interventionelle Kardiologie“) sein. Hier werden möglicherweise Standorte aufgrund der Mindestvoraussetzungen ausscheiden oder durch Auswahlentscheidungen aus der Versorgung gedrängt werden. Hierdurch könnten sich Zuweiserstrukturen für die herzchirurgischen Einrichtungen verändern, da bisherige herzchirurgische Zuweiser zumindest stationäre interventionelle Kardiologie zukünftig nicht mehr erbringen können. Diese Leistungen würden dann – sofern weiterhin stationär zu erbringen – auf andere kardiologische Leistungsanbieter umverteilt werden, die evtl. anderen Herzzentren zuweisen. Daher sollten herzchirurgische Einrichtungen ihre Hauptzuweiser bezüglich der Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung der Leistungserbringung nach Umsetzung der Krankenhausplanung evaluieren. Hierbei kann eine Orientierung an Fallzahlen und an evtl. bekannten Personalausstattungen (s. entsprechende Mindestvoraussetzungen für die Leistungsgruppe „Interventionelle Kardiologie“) erfolgen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

N. Roeder und W. Fiori geben an, dass sie die Krankenhausgesellschaft NRW bei der Neugestaltung des Krankenhausplans unterstützt haben und ansonsten kein Interessenkonflikt besteht.

Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Footnotes

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Literatur


Articles from Zeitschrift Fur Herz-, Thorax- Und Gefasschirurgie are provided here courtesy of Nature Publishing Group

RESOURCES