Originalpublikation
Roessler M, Tesch F, Batram M et al (2022) Post-COVID-19-associated morbidity in children, adolescents, and adults: A matched cohort study including more than 157,000 individuals with COVID-19 in Germany. PLoS Med.; 19(11): e1004122. 10.1371/journal.pmed.1004122.
Fragestellung.
In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde die Morbidität nach COVID-19 bei Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen auf der Basis umfangreicher Krankenversicherungsdaten von etwa 46 % der deutschen Bevölkerung untersucht.
Hintergrund.
Längerfristige gesundheitliche Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion stellen eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar. Unter dem Begriff Post-COVID-Syndrom werden nach COVID-19 fortbestehende oder neu aufgetretene Krankheitssymptome und gesundheitliche Einschränkungen subsummiert. Bislang ist allerdings nur wenig darüber bekannt, wie viele Menschen betroffen sind und welche Beschwerden im Vordergrund stehen. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche.
Patienten und Methodik.
Für die retrospektive Kohortenstudie wurden Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen herangezogen. Anhand der dokumentierten Diagnosen wurden Versicherte identifiziert, bei denen durch Polymerasekettenreaktion (PCR) COVID-19 diagnostiziert worden war. Diese Kohorte wurde mit einer nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen gematchten Kontrollkohorte verglichen. Indexdatum für beide Kohorten war das jeweilige Datum der COVID-19-Diagnose. Erfasst wurden Erkrankungen, die mehr als 3 Monate nach der COVID-19-Diagnose dokumentiert worden waren. Insgesamt wurden 96 Endpunkte präspezifiziert, die 13 Diagnose‑/Symptomkomplexen und 3 Domänen (körperliche Gesundheit, psychische Gesundheit, körperlich-psychischer Überschneidungsbereich) zugeordnet wurden.
Ergebnisse.
Die Studienpopulation umfasste 11.950 Kinder/Jugendliche (48,1 % weiblich, 67,2 % im Alter von 0–11 Jahren) und 145.184 Erwachsene (60,2 % weiblich, 51,1 % im Alter von 18–49 Jahren). Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 236 Tage bei Kindern/Jugendlichen und 254 Tage bei Erwachsenen. Die COVID-19-Kohorte und die Kontrollkohorte waren in Bezug auf die Kovariaten sehr ausgewogen.
Bei Versicherten mit SARS-CoV-2-Infektion wurden mehr als 3 Monate nach der COVID-19-Diagnose häufiger physische und psychische Symptome und Erkrankungen diagnostiziert als in der Kontrollkohorte ohne COVID-19-Diagnose. Bei Kindern und Jugendlichen waren dies vor allem Unwohlsein, Müdigkeit und Erschöpfung, Husten sowie Schmerzen im Hals- und Brustbereich. Bei Erwachsenen standen Geruchs- und Geschmacksstörungen, Fieber und Dyspnoe im Vordergrund.
Für alle Endpunkte zusammengenommen waren die Inzidenzraten pro 1000 Personenjahre in der COVID-19-Kohorte signifikant höher als in der Kontrollkohorte. Dies galt sowohl für Kinder/Jugendliche als auch für Erwachsene.
Das relative Ausmaß der Morbidität war für alle 3 definierten Domänen ähnlich. In der COVID-19-Kohorte waren die Inzidenzraten in allen 13 Diagnose‑/Symptomkomplexen bei Erwachsenen und in 10 Diagnose‑/Symptomkomplexen bei Kindern/Jugendlichen signifikant höher als in der Kontrollkohorte. Die Schätzungen der Inzidenzratenratio (IRR) ergaben für die Altersgruppen 0–11 und 12–17 Jahre ähnliche Werte. Die IRR-Werte waren bei Kindern/Jugendlichen durchweg niedriger als bei Erwachsenen.
Schlussfolgerungen.
In dieser retrospektiven Kohortenstudie zeigte sich bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine signifikante neu auftretende Morbidität nach COVID-19, die sich auf 13 vordefinierte Diagnose‑/Symptomkomplexe erstreckte. Wie die Autoren ausführten, erweitern diese Ergebnisse die Erkenntnisse über Erkrankungen nach COVID-19 in jüngeren Altersgruppen und bestätigen frühere Ergebnisse bei Erwachsenen.
Zusammenfassung.
Dr. Kirsten Westphal.
Kommentar
Für Kinder und Jugendliche, die hausärztlich behandelt werden ergibt die Studie Hinweise:
Für sie war, wie für Erwachsene, die Post-COVID-Morbidität für alle geprüften Erkrankungen höher als bei nicht positiv PCR-Getesteten.
Sie zeigten eine geringere Häufigkeit von Krankenhaus- bzw. intensivmedizinischer Behandlung als Erwachsene im positiv getesteten Kollektiv: 1 % bzw. 0,4 % vs. 5,8 % bzw. 2,1 % bei Erwachsenen. (Ob die Krankenhausbehandlung bei zuvor positiv Getesteten ausschließlich oder überwiegend wegen COVID erfolgte [… hospitalized with COVID-19 …] ergibt sich aus der Studie nicht.)
Die Inzidenzrate (IR) aller Erkrankungen in der kombinierten Post-COVID-PCR-Gruppe war in der Erwachsenengruppe um 41 % höher als bei Kindern und Jugendlichen.
Nur bei Kindern und Jugendlichen, nicht bei Erwachsenen, tauchen die Erkrankungen „somatization disorder, anxiety disorder, depression“ unter den 10 Erkrankungen mit der höchsten IRR auf („somatization disorder“: F45.0–F45.9, „anxiety disorder“: F40.0–F41.9, „depression“ F32.0–F33.9, s. „S1 File outcome definitions“).
Das Wiederaufflammen oder die Verschlechterung vorbestehender Krankheiten werden in der Studie nicht erfasst, weil Personen, die im vorangehenden Jahr eine der in Folge erfassten Krankheiten zeigten, aus der Studie ausgeschlossen wurden. Die entsprechende Krankheitslast taucht daher in der Studie nicht auf (Zitat: „… we further excluded individuals from the analysis of post-COVID-19 incidence if the considered outcome was documented at least once within a 1-year look-back period …“).
Das Auftreten neuer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – auch im Sinn erhöhter Infektanfälligkeit – ist in der Studie teilweise, z. B. als erhöhte Rate an Husten und Halsschmerzen, erfasst.
Nach Beobachtung in unseren Praxen ist die Infektanfälligkeit allerdings sowohl für Kinder und Jugendliche, die an COVID erkrankt waren, als auch für nicht zuvor daran Erkrankte erhöht.
Das spiegelt sich offensichtlich in der erhöhten Rate an Husten und Halsschmerzen in dieser Studie wider. Dass wiederholte Infektionen der Atemwege auch bei Kindern dann in Erschöpfung und Müdigkeit resultieren, erscheint offensichtlich, ist damit aber nicht unbedingt eine direkte Folge der COVID-Infektion, wie sie aus unserer Sicht gelegentlich zu häufig als Long-COVID-Syndrom gedeutet wird.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Degener und T. Fröhlich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Footnotes
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3/29/2023
Zu diesem Beitrag wurde ein Erratum veröffentlicht: 10.1007/s44266-023-00040-4
Contributor Information
Lisa Degener, degener.altenberge@googlemail.com.
Thomas Fröhlich, Email: drfroehlich@me.com.
