Zusammenfassung
Einleitung 22–30% der Inhaftierten in Deutschland sollen intravenöse Drogenkonsumenten sein. In den ersten Wochen nach Haftentlassung steigt das Sterberisiko um das 12-fache, meist infolge einer Opioidüberdosis. Als möglicher Baustein zur Mortalitätsreduktion soll die Machbarkeit einer Drogennotfallschulung, inkl. Take-Home Naloxon bei inhaftierten Opioidabhängigen überprüft werden.
Methodik Eine Teilstichprobe im Rahmen des Bayerischen Take-Home Naloxon Modellprojektes umfasste inhaftierte Opioidabhängige in 5 bayerischen Justizvollzugsanstalten. Es erfolgte eine manualisierte Drogennotfallschulung, inkl. Take-Home Naloxon. Sämtliche Erhebungen erfolgten mit standardisierten Fragebögen oder teilstrukturierten Interviews.
Ergebnisse Durchschnittlich nahmen 3,9 (1–10) inhaftierte Opioidabhängige pro Schulung teil. Zum Zeitpunkt der Schulung waren die Opioidabhängigen seit 42 (1–228) Wochen in Haft und erwarteten ihre Haftentlassung in ca. 10 (1–64) Wochen. Es konnten 62 Opioidabhängige in Haft eingeschlossen werden (Alter: 36 (22–53) Jahre; 53,2% Frauen; Alter bei Opioid-Erstkonsum: 19,2 (10–31) Jahre). 68% waren bereits selbst von einem Drogennotfall betroffen. 84% erlebten bereits mindestens einen Drogennotfall bei einem anderen Konsumierenden, davon 36% sogar mehrmals. Knapp ein Drittel gab an, beim letzten erlebten Notfall nicht geholfen zu haben, meist aus Angst, etwas falsch zu machen. Knapp 50% riefen zumindest den Rettungsdienst. Immerhin 25% versuchten, zu helfen, allerdings mit wenig geeigneten Maßnahmen. 75% gaben an, häufig in Gegenwart anderer Personen zu konsumieren, meist mit Partner und/oder Freunden/Bekannten. Die inhaftierten Opioidabhängigen konnten gut zur Teilnahme motiviert werden und zeigten einen signifikanten Zuwachs an Wissen und Skills zum lebensrettenden Umgang mit einer Opioidüberdosierung.
Schlussfolgerung Die Machbarkeitsstudie zeigt, dass manualisierte Drogenotfallschulungen mit inhaftierten Opioidabhängigen, sowie die Vergabe von Take-Home Naloxon am Haftende umsetzbar sind. Ein Best-Practice Modell wurde etabliert, z. B. Reduktion anfänglicher Vorbehalte, praktische Organisation, Naloxon-Verordnung durch AnstaltsärztInnen. Die hohe Rate an bereits erlebten Drogennotfällen und der häufige Konsum im Beisein Anderer (potentielle Ersthelfer) belegt, dass die Zielgruppe erreicht wurde. Für eine messbare Senkung der Mortalität benötigt es jedoch eine breite Ausrollung.
Schlüsselwörter: Take-Home Naloxon, Drogennotfalltraining, inhaftierte Opioidabhängige
Abstract
Introduction Between 22 and 30% of prisoners in Germany are reported to be intravenous drug users. There is a 12-fold increase in mortality, mostly as a result of opioid overdose in the first weeks after release from prison. We evaluated the feasibility of first aid training for drug overdose, including take-home naloxone in incarcerated opioid addicts.
Methodology Within the Bavarian Take-Home Naloxone Model Project (BayTHN), a subsample of imprisoned opioid addicts was recruited in 5 Bavarian correctional facilities. Manualized first aid training for drug overdose, including take-home naloxone was provided. All surveys were conducted with standardized questionnaires or semi-structured interviews.
Results Sixty-two long-term opioid addicts were included (age: 36 years (22–53 years); 53.2% women; age at first opioid use: 19.2 years (10–31 years). On average, 3.9 (1–10) opioid addicts participated per training session. At the time of training, the opioid addicts had been in prison on average for 42 (1–228) weeks and expected their release from prison in about 10 (1–64) weeks. 68% of participants reported having experienced a drug overdose by themselves. 84% had already experienced at least one drug emergency with another person, 36% more than once. Nearly one-third had not offered helped in the last emergency they had experienced, mostly out of fear of doing something wrong. Only 50% of participants had called emergency services. 25% tried to help, however, by not very effective means. 75% often consumed in the presence of other persons, such as partners and/or friends. The incarcerated opioid addicts were well motivated to participate and showed a significant increase in knowledge and skills for effective first aid in an opioid overdose situation.
Conclusion The feasibility study carried out among imprisoned opioid addicts shows that manualized first aid training in handling opioid overdose, including take-home naloxone can be successfully implemented. A best-practice model for reducing initial caveats, organization, and prescribing take-home naloxone at release from prison was established. The high rate of drug overdoses and drug use in the presence of others (potential first responders) proves that the target group for successful use of first aid training along with take-home naloxone could be reached. However, a broad roll-out is needed to achieve a relevant reduction in mortality in opioid addicts after release from prison.
Key words: Take-home naloxone, Drug overdose first aid training, incarcerated opioid addicts
Einleitung
Von den geschätzt knapp 170.000 Opioidabhängigen in Deutschland 1 haben laut DRUCK-Studie des Robert Koch-Instituts von 2016 80% der injizierenden Drogengebrauchenden Hafterfahrung 2 . Entsprechend sollen 22 bis 30 Prozent der aktuell Inhaftierten in Deutschland intravenös Drogenkonsumierende sein 3 . Die Mehrzahl der abhängigen Gefangenen erfüllt dabei die Kriterien der Abhängigkeit von Opioiden oder multiplen Substanzen, inkl. Opioide 4 .
Opioidabhängige sind eine besonders vulnerable Personengruppe mit einer im Vergleich zu alters-/geschlechtsgleichen Nicht-Opioidabhängigen um das ca. 10fache erhöhten Sterblichkeit. Die häufigste Todesursache ist eine Opioidüberdosierung 5 . Das Risiko für eine tödliche Überdosis steigt in der ersten Woche nach Haftentlassung (im Vergleich zu 3–12 Monaten nach Haftentlassung) zusätzlich um das 12,5-fache 6 . Am Beispiel der JVA Regensburg wurde dargestellt, dass während der ersten zwei Monate nach Haftentlassung 44,5% der Opioidabhängigen einen Drogennotfall erlitten 7 . In dem dort untersuchten Zeitraum ereignete sich laut Landeskriminalamt in Bayern fast jeder 7. Todesfall aufgrund einer Opioidüberdosierung innerhalb der ersten zwei Monate nach einer Haftentlassung.
Ein möglicher Ansatz zur Reduktion dieser erheblich erhöhten Mortalität Opioidabhängiger nach Haftentlassung könnte das Angebot der evidenzbasiert wirksamen Substitutionsbehandlung sein. Durch sie können Verbesserungen in suchtbezogenen, psychosozialen, aber gerade auch in gesundheitlichen Aspekten erreicht werden 8 . Während sich knapp 60% aller Opioidabhängigen in einer Substitutionsbehandlung befinden sollen 1 9 lag die Substitutionsquote Opioidabhängiger in deutschen Haftanstalten 2018 bei 24%, mit einer Schwankungsbreite von 7 bis 96% je nach Bundesland 10 . Aber selbst dann gelingt ein nahtloser Übergang in eine Behandlung nach Haftentlassung oft nicht (z. B. fehlender Krankenversicherungsschutz, Wohnen bei ehemaligen Mitkonsumenten wegen fehlendem eigenem Wohnraum), was zu einem erhöhten Rückfallrisiko führt.
Besonders hoch ist das Rückfallrisiko naturgemäß für den weiterhin hohen Anteil in Haft entzogener Opioidabhängiger, denen bei Haftentlassung eine Opioidtoleranz fehlt. So weist diese Subgruppe Opioidabhängiger in den ersten vier Wochen nach Haftentlassung ein deutlich höheres Mortalitätsrisiko auf im Vergleich zu Opioidabhängigen, die in Haft eine Substitutionsbehandlung erhalten haben 11 .
Take-Home Naloxon als möglicher Baustein zur Risikoreduktion
In der Mehrzahl der Überdosierungsfälle sind potenzielle Ersthelfende anwesend 12 . Dies sind häufig Mitkonsumenten und zumeist medizinische Laien, jedoch zu einem hohen Prozentsatz gewillt, der überdosierten Person zu helfen 13 . Somit könnte ein sofortiges, lebensrettendes Eingreifen im Überdosierungsnotfall mittels geeigneter Erste-Hilfe Maßnahmen verbunden mit dem Einsatz des spezifischen Opioidantagonisten Naloxon zu einer Senkung des hohen Mortalitätsrisikos nach Haftentlassung beitragen.
Ziel des bayerischen Take Home Naloxon-Modellprojektes (BayTHN) war die Erarbeitung und Evaluation von Schulungs-Bedingungen/-inhalten, mit welchen es gelingt, Opioidabhängigen verschiedener Risikogruppen, u. a. auch Opioidabhängigen vor Haftentlassung, genügend Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, um eine Opioidüberdosierung zeitnah zu erkennen, mit geeigneten Erste-Hilfe-Maßnahmen richtig zu handeln sowie Take-Home Naloxon (THN) lebensrettend und sachgemäß anzuwenden. Die manualisierten THN-Schulungen wurden dabei so konzipiert, dass sie sich in den Alltag der unterschiedlichen Drogenhilfeangebote (z. B. Suchtberatung in Justizvollzugsanstalten) implementieren lassen.
Methodik
Die Untersuchung erfolgte als Ein-Gruppen Prä-Post- Design. Die Intervention bestand in einer manualisierten Drogennotfallschulung, inkl. Rezeptierung von nasalem Take-Home Naloxon.
Stichprobe
Inhaftierte Opioidabhängige (inkl. polyvalenter Drogenkonsum mit Leitdroge Opioide) zwischen 18 und 70 Lebensjahren, die, so weit absehbar, mind. 3 Monaten vor Projektende in das Einzugsgebiet eines der beteiligten Kooperationszentren entlassen werden sollten.
Die manualisierte THN-Schulung erfolgte durch geschulte TrainerInnen der externen Suchtberatung aus den Kooperationszentren (Augsburg, München, Nürnberg und Regensburg).
Inhalte der Schulung
Wesentliche Inhalte der Schulung sind das praktische Erlernen eines Ablaufplans im Falle eines Opioidüberdosierungsnotfalls mit den Schwerpunkten: Wie erkenne ich einen Opioidüberdosierungsnotfall? Worauf muss ich beim Absetzen eines Notrufes achten und warum ist er wichtig? Was muss ich wie prüfen (z. B. Puls) und was sind jeweils geeignete Erste Hilfe-Maßnahmen (z. B. Herzdruckmassage)? Worauf muss ich bei der Durchführung der jeweils geeigneten Erste-Hilfe-Maßnahme achten? Darüber hinaus werden die notwendigen Kenntnisse über Anwendung (z. B. Einmal-Nasenspray, bei unzureichender Wirkung zweites Nasenspray nach ca. 3 min), Wirksamkeit (z. B. nur bei Opioidbeteiligung) und Risiken (z. B. Umgang mit evtl. auftretendem Entzugssyndrom bzw. mit kurzer Wirkdauer) des Take-Home Naloxon. Aufgrund der Einfachheit der Anwendung wurde das in der EU zugelassene Naloxon-Einmal-Nasenspray (Nyxoid®) verwendet, das auf die Resorptionseigenschaften der Nasenschleimhaut angepasst ist.
Erhebungsinstrumente
Mittels standardisierter Fragebögen wurden soziodemographische Variablen, sowie Wissens zum Umgang mit Überdosierungsnotfällen vor und nach der THN-schulung erhoben.
Statistische Auswertung
Für alle Analysen wurde das Statistikpaket für Sozialwissenschaften (SPSS) V. 25 verwendet. Es erfolgten deskriptive Statistiken (arithmetischer Mittelwert und Standardabweichungen), sowie Varianzanalysen (ANOVA) mit Messwiederholung (Veränderungen des Wissen und der Einstellungen). P<0,05 wurde als statistisch signifikant angesehen.
Stichtag für die statistische Auswertung war der 02.02.2021.
Ethische und rechtliche Anforderungen
Die Aufklärung und Einwilligung der opioidabhängigen TeilnehmerInnen erfolgte mündlich und schriftlich. Die Zustimmung der Ethikkommission der Universität Regensburg wurde eingeholt. Die Untersuchung erfolgte gemäss der ethischen Standards der Deklaration von Helsinki in ihrer aktuell gültigen Fassung. Die Studie wurde beim Deutschen Register Klinischer Studien registriert: DRKS-ID: DRKS00023600.
Ergebnisse
Die Teilgruppe „Opioidabhängige in Justizvollzugsanstalten“ umfasste:
62 TeilnehmerInnen
Alter: 36 Jahre (22–53 Jahre; S D =6,2; N =62)
Geschlechterverhältnis: 54% Frauen, 46% Männer (w=33; m=28; d=0; N =61)
Alter bei Opioid-Erstkonsum: 19,2 Jahre (10–31 Jahre; SD =5,2, N =61)
68% der TeilnehmerInnen berichteten, bereits selbst von einem Überdosierungsnotfall betroffen gewesen zu sein. Bei einer anderen Person wurde er von 84% miterlebt, von 30% sogar mehrfach. 74% der TeilnehmerInnen gaben an, geholfen zu haben, davon 25% mit wenig zielführenden Hilfsmaßnahmen, die zu den typischen, in der Szene kolportierten Mythen über den Umgang mit Überdosierungen gehören, wie z. B. den Überdosierten in kaltes Wasser (Badewanne, Dusche) zu legen.
75% der TeilnehmerInnen gaben an, dass Sie häufig in Gegenwart anderer Personen (zumeist Partner oder Freunde) konsumieren.
Die Drogennotfallschulungen erfolgten in 5 Justizvollzugsanstalten in Bayern. Durchschnittlich nahmen 3,9 (1–10) Opioidabhängige pro Schulung teil. Zum Zeitpunkt der Schulung waren die Opioidabhängigen im Schnitt seit 42 (1–228) Wochen in Haft und erwarteten ihre Haftentlassung im Schnitt in ca. 10 Wochen (1–64 Tage).
Eine Varianzanalyse mit Messwiederholung zwischen den Messzeitpunkten vor der Schulung und nach der Schulung zeigte, dass durch die THN-Schulung eine hochsignifikante Zunahme des Wissens zum zielführenden Umgang mit einem Überdosierungsnotfall stattgefunden hat (F(1, 61)=95,197, p=.000, partielles η²=,609, N=62). Das partielle Eta-Quadrat deutet dabei einen großen Effekt an.
Diskussion
Die durch Opioidüberdosierung hohe Mortalität opioidabhängiger Inhaftierter nach Haftentlassung bedarf vor allem dann besonderer Berücksichtigung, wenn während der Haft ein Opioidentzug erfolgte bzw. keine nahtlose Weiterführung einer eventuellen Substitution sichergestellt werden kann 11 .
Als lebensrettende Sofortmaßnahme bei einer lebensbedrohlichen Opioidüberdosierung kann auch für Ersthelfer ein spezifisch wirksames Antidot (Naloxon) ein wichtiger Bestandteil sein. Hierfür eignet sich ein für die nasale Verabreichung optimiertes Präparat mittels Einmalvernebler (Nasenspray, Nyxoid®), das seit 2018 EU-weit zugelassen ist. Ersthelfende sollten jedoch in geeigneter Weise geschult sein, um das Naloxon-Nasenspray korrekt einsetzen und auch geeignete Erste-Hilfe Maßnahmen ergreifen zu können.
Insbesondere im angelsächsischen Sprachraum (Großbritannien, Australien, USA) werden zur Schadensminderung Take-Home Naloxon-Kits an Opioidabhängige, aber auch an Personen ausgegeben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Zeuge von Opioidüberdosierungen werden können 14 . Als besondere Hochrisikogruppe werden hier gezielt drogenabhängige Personen in Haft adressiert 15 .
Gut zwei Drittel der inhaftierten Opioidabhängigen in unserer Stichprobe berichteten bereits eigene Überdosierungsnotfälle. 84% waren bereits bei Drogennotfällen anderer dabei. Ähnliche Größenordnungen werden in der Literatur mit eigenen Überdosierungsnotfällen bei 75% aller Opioidabhängigen angegeben 16 . 75% der Teilnehmenden gaben an, häufig in Gegenwart anderer Personen zu konsumieren, sodass häufig ein potentieller Ersthelfer direkt beim Konsum vor Ort wäre. In unserer Machbarkeitsstudie gaben 74% der Teilnehmenden an, bereits früher bei Überdosierungsnotfällen geholfen zu haben. Diese prinzipiell hohe Bereitschaft Opioidabhängiger zur Hilfe im Bereich von 80% der Opioidabhängigen wurde auch aus anderen Erhebungen berichtet 13 . Allerdings gaben für die Vergangenheit immerhin 25% unserer Opioidabhängigen mangels besseren Wissens eher wenig zielführende Maßnahmen an, die zu den oft in der Szene kolportierten Mythen über den richtigen Umgang gehören. Auch dies spricht für eine geeignete Schulung vor einer THN-Vergabe.
Die Ergebnisse der Prä- und Post-Testung belegen, dass inhaftierte Opioidabhängige durch die manualisierte Drogennotfallschulung einen hochsignifkanten Zuwachs an Wissen und Fertigkeiten zum sichereren und effektiveren Umgang mit einer Opioidüberdosierung erwerben. Sollten sich diese Ergebnisse in einer größeren Stichprobe bestätigen lassen, könnte es sinnvoll sein, wie in Schottland und Wales seit 2011 üblich, inhaftierten Opioidabhängigen Take-Home Naloxon bei Entlassung kostenfrei zur Verfügung zu stellen 17 . Nach den vorliegenden Ergebnissen sollte dies jedoch zwingend mit einer an dieser Zielgruppe evaluierten und manualisierten THN-Schulung verbunden sein. Aufgrund dieser Ergebnisse könnte eine geeignete Drogennotfallschulung zu einer Schadensminderung und Reduktion von Drogentod beitragen.
Wenngleich die Stichprobe klein und die Ergebnisse nicht ohne Einschränkungen generalisierbar sind, belegen sie doch die Machbarkeit von gut plan- und auch durchführbaren Drogennotfallschulungen in Justizvollzugsanstalten. Die Opioidabhängigen in Haft ließen sich gut zu einer Schulungsteilnahme motivieren. Zudem sind Inhaftierte im Gegensatz zu Opioidabhängigen z. B. aus der Szene weder durch Drogenwirkung noch durch Entzugssymptome in der Aufnahmefähigkeit eingeschränkt.
Allerdings bedurfte es einiger Vorbereitung, die Leitung und/oder Anstaltsärzte der Justizvollzugsanstalten von dem Angebot einer THN-schulung und einer Take-Home Naloxon Vergabe bei Haftende zu überzeugen (s. best practice). Das Interesse an einer Beteiligung war regional sehr unterschiedlich und scheint die unterschiedlichen Einstellungen zur Behandlung opioidabhängiger Inhaftierter widerzuspiegeln 10 . Ohne dies aufgrund der begrenzten Fallzahl statistisch belegen zu können, war die Bereitschaft zu THN-schulungen in den Justizvollzugsanstalten höher, in denen auch Substitutionsbehandlungen für inhaftierte Opioidabhängige angeboten wurden.
Best-Practice Modell
Im Vorfeld sollten zunächst organisatorische Hürden sowie Vorbehalte bei den ministeriellen Aufsichtsbehörden und den Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalten abgebaut werden. So sollte im optimalen Fall vereinbart werden, dass das Naloxon-Nasenspray von den AnstaltsärztInnen verordnet und, wie evtl. andere Medikamente auch, bei Haftentlassung den geschulten Opioidabhängigen übergeben werden. Geeignete inhaftierte Drogenabhängige können meist durch Mitarbeitende der (externen) Suchtberatung angesprochen und zur Teilnahme an Gruppen- oder Einzelschulungen motiviert werden. Die Trainierenden sollten in der Vermittlung der Schulungsinhalte und der Zielgruppen-angepassten Didaktik geschult sein.
Einige offene Fragen bedürfen noch der Klärung, z. B. wie lange vor Haftentlassung lässt sich mit der Drogennotfallschulung ein ausreichend nachhaltiger Wissenszuwachs erreichen? Sollen auch Opioidabhängige geschult werden, deren Entlasszeitpunkt offen ist (z. B. U-Häftlinge)? Wie lässt sich eine Drogennotfallschulung, inkl. Vergabe von Take-Home Naloxon am Haftende als fester Baustein für Opioidabhängige in Haft integrieren?
Danksagungen
In loving memory of the much too early deceased Dr. phil. Heike Wodarz-von Essen
Fazit für die Praxis.
Zusammengenommen mit den internationalen Vorbefunden zeigt die Machbarkeitsstudie, dass Drogennotfallschulungen mit inhaftierten Opioidabhängigen, sowie die Vergabe von Take-Home Naloxon auch in Deutschland umsetzbar sind. Ein Best-Practice Modell zur Reduktion anfänglicher Vorbehalte, der praktischen Organisation und der Naloxon-Verordnung durch die AnstaltsärztInnen wurde etabliert. Die eingeschlossenen Opioidabhängigen hatten bereits sehr häufig Überdosierungen bei sich und anderen erlebt und zu einem hohen Anteil versucht, zu helfen, wenngleich nicht selten mit nicht zielführenden Maßnahmen. Unsere ersten Befunde zeigen, dass die inhaftierten TeilnehmerInnen gut erreichbar sind und hochsignifkant Wissen und Fertigkeiten für den lebensrettenden Umgang mit einer Opioidüberdosierung erwarben. Für eine relevante Senkung der Mortalität benötigt es jedoch eine breitere Ausrollung.
Literatur
- 1.Kraus L, Seitz N-N, Schulte B et al. Estimation of the Number of People With Opioid Addiction in Germany. Dtsch Arztebl Int. 2019;116:137–143. doi: 10.3238/arztebl.2019.0137. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- 2.Robert Koch-Institut . Abschlussbericht der Studie „Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland“ (DRUCK-Studie; Berlin. 2016.
- 3.Bühring P. Opioidabhängige Menschen in Haft: Am unteren Ende der Hierarchie. Dtsch Arztebl Int. 2019.
- 4.Bundeseinheitliche Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug; 2019
- 5.Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Europäischer Drogenbericht 2019: Trends und Entwicklungen, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg; 2019
- 6.Singleton N, Pendry E, Taylor C 2003.
- 7.Morano F, Krause T. Auswirkungen der derzeitigen Behandlung und Betreuung Drogenabhängiger im Strafvollzug: dargestellt am Beispiel Haftentlassener der JVA-Regensburg. Gesundheitswesen. 2016:78. doi: 10.1055/s-0036-1586700. [DOI] [Google Scholar]
- 8.Kunstmann W, Specka M, Wodarz N et al. Zusammenfassende Darstellung der wissenschaftlichen Grundlagen der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger. Gesundheitswesen. 2020;82:915–919. doi: 10.1055/a-1173-9588. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- 9.Atzendorf J, Rauschert C, Seitz N-N et al. The Use of Alcohol, Tobacco, Illegal Drugs and Medicines: An Estimate of Consumption and Substance-Related Disorders in Germany. Dtsch Arztebl Int. 2019;116:577–584. doi: 10.3238/arztebl.2019.0577. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- 10.Weiss M, Geißelsöder K, Breuer M et al. Behandlung opioidabhängiger Inhaftierter – Einstellungen und Behandlungspraxis des medizinischen Personals in bayerischen Justizvollzugsanstalten. Gesundheitswesen. 2021;116:137. doi: 10.1055/a-1399-9286. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- 11.Marsden J, Stillwell G, Jones H et al. Does exposure to opioid substitution treatment in prison reduce the risk of death after release? A national prospective observational study in England. Addiction. 2017;112:1408–1418. doi: 10.1111/add.13779. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- 12.Bayerische Akademie für Sucht-und Gesundheitsfragen. Prävention von DrogentodesfällenFakten, Zahlen und Beispiele aus der Praxis; 2017
- 13.Kraus L, Seitz N-N. 2018.
- 14.Strang J, McDonald R, Alqurshi A et al. Naloxone without the needle – systematic review of candidate routes for non-injectable naloxone for opioid overdose reversal. Drug Alcohol Depend. 2016;163:16–23. doi: 10.1016/j.drugalcdep.2016.02.042. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- 15.Parmar MK B, Strang J, Choo L et al. Randomized controlled pilot trial of naloxone-on-release to prevent post-prison opioid overdose deaths. Addiction. 2017;112:502–515. doi: 10.1111/add.13668. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- 16.European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) . Preventing fatal overdoses: a systematic review of the effectiveness of take-home naloxone. EMCDDA Papers. 2015 doi: 10.2810/396726. [DOI] [Google Scholar]
- 17.Meade A M, Bird S M, Strang J et al. Methods for delivering the UK’s multi-centre prison-based naloxone-on-release pilot randomised trial (N-ALIVE): Europe’s largest prison-based randomised controlled trial. Drug Alcohol Rev. 2018;37:487–498. doi: 10.1111/dar.12592. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]